Die Welt von Olaf Scholz (SPD) ist kleiner geworden. Anstelle eines großen Polizeiaufgebots steht nur ein einzelner Wagen vor dem Veranstaltungssaal. Wo früher mehrere Leibwächter ein Auge auf ihn hielten, sichern nun zwei Männer den Bühnenaufgang – einer links, einer rechts. Rund 200 Menschen sitzen im Publikum, dennoch bleiben einige Plätze frei.

In diesem vergleichsweise kleinen Rahmen stellt sich der ehemalige Bundeskanzler auf Einladung des Netzwerks Studopolis am Dienstagabend den Fragen des Publikums. Es sind vor allem junge Menschen zwischen 20 und 30 Jahren, die mit Scholz in seinem eigenen Wahlkreis in Potsdam ins Gespräch gehen wollen.

Seit knapp sechs Monaten ist der SPD-Politiker nicht mehr Bundeskanzler. Angesprochen auf Fehler in seiner Regierungszeit, antwortet Scholz zunächst allgemein: „Die Idee, dass alles immer richtig läuft, sollte man jedenfalls für sich selbst nicht glauben.“ Es scheint anfangs, als wolle Scholz darüber nicht im Detail sprechen. „Ich glaube, dass wir sehr viele wichtige Weichen gestellt haben“, sagt er stattdessen. Als Beispiel nennt er die Reaktion Deutschlands auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine.

Dann kommt er aber doch zur Selbstkritik. „Ich glaube, das mit dem Heizungsgesetz ist nicht gut gelaufen. Das hat politischen Schaden ausgelöst, weil es die Notwendigkeit diskreditiert hat, dass wir den menschengemachten Klimawandel wirklich aufhalten müssen.“

Eine persönliche Schuld am Erfolg der AfD in seiner Amtszeit sehe er nicht, erklärt Scholz. „Es hätte sicher geholfen, wenn die Regierung für die aus meiner Sicht überwiegend richtigen Entscheidungen nicht immer so lange gebraucht hätte. Aber es hätte uns das Problem nicht wirklich erspart.“ Scholz nennt Finnland, Schweden oder die Niederlande als Beispiel: „Wenn wir uns umschauen, gibt es rechtspopulistische Parteien überall.“

An der Lockerung der Schuldenbremse habe kein Weg vorbeigeführt, betont der Altbundeskanzler. „Dass es nicht aufgeht, ohne dass wir zusätzliche Kredite aufnehmen, war offensichtlich.“ Dass die Lockerung auch auf Betreiben des damals designierten Bundeskanzlers Friedrich Merz (CDU) stattfand, der die Schuldenbremse wenige Wochen zuvor noch verteidigt hatte, habe ihn allerdings überrascht. „Dass es so schnell geht, das hätte ich jetzt auch nicht vorhergesagt.“ Nicht ohne Stolz berichtet Scholz nun, dass die Lockerung der Schuldenbremse offiziell noch in seine Amtszeit fiel. „Da steht meine Unterschrift im Bundesgesetzbuch.“ Das Publikum reagiert mit Lachen.

In Bezug auf den russischen Angriff auf die Ukraine sei er sich sicher, dass sich Wladimir Putin verkalkuliert habe. „Der russische Präsident war davon überzeugt, in zwei oder vier Wochen Kiew erobert zu haben.“ Schon vor dem Krieg habe Putin in Gesprächen mit ihm immer wieder von der Demilitarisierung der Ukraine gesprochen. „Der meinte echt ohne Waffen, ohne eigene Armee.“ Was Putin nun bekommen habe, sei ein Land, dass durch die internationale Unterstützung mehr für die Verteidigung ausgebe als für die eigene Wirtschaftsleistung.

Auf die Frage, ob Scholz US-Präsident Donald Trump traue, gibt er sich diplomatisch. „Die Frage ist, ob das die Frage ist. Wir müssen mit den USA zusammenarbeiten.“ Die Entwicklung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg wäre ohne die USA „nicht denkbar“ gewesen. Daher baue er auch zukünftig auf gute Beziehungen zwischen Deutschland und seinem wichtigsten politischen Partner. „Getanzt wird mit denen, die im Saal sind.“

Das neue Wehrdienst-Modell befürwortet Scholz, wie er erklärt. In einer Demokratie sei es wichtig, dass sich alle mit der Frage auseinandersetzten, was es für eine Landesverteidigung brauche. „Dass wir das nicht abschieben auf Leute, die das von Berufswegen machen. Deshalb finde ich die Lösung, die Boris Pistorius vorgeschlagen hat, ganz gut.“

Das neue Wehrdienstgesetz von Verteidigungsminister Pistorius sieht vor, dass alle Jugendlichen mit 18 Jahren ihre Bereitschaft für den Wehrdienst angeben. Männer sind verpflichtet, Frauen freiwillig. Ob sie tatsächlich dienen, bleibt ihnen überlassen. Scholz äußert sich nicht zum derzeitigen Koalitionsstreit über ein Losverfahren bei zu wenigen Freiwilligen.

Allerdings sei er schon immer Anhänger der Wehrpflicht gewesen und habe nicht verstanden, als Union und FDP diese 2011 aussetzten. „Man hat mich selten mit offenem Mund gesehen, aber da hätte man mich wahrscheinlich so fotografieren können.“

Bei Entscheidungen rund um einen Wehrdienst dürfe es keinen Fraktionszwang geben, betont Scholz. „Ich sage ausdrücklich, wer solche Entscheidungen trifft, der muss das machen, weil er oder sie die Verantwortung dafür auch als einzelner Abgeordneter vollständig sieht. Man kann keine Soldaten ins Ausland schicken und sagen, ich bin eigentlich dagegen, aber der Fraktionszwang. Das ist nun wirklich eine Frage, da muss man sich selbst überzeugen.“

Auf eine emotionale Ebene lässt sich Olaf Scholz an diesem Abend nicht ein. Auf die Frage der Moderatorin, ob er 2021 nach der Bundestagswahl Momente gehabt habe, in denen er dachte, er sei nur Bundeskanzler geworden, weil seine Konkurrenten Fehler gemacht hätten, antwortet er: „Die haben Fehler gemacht, aber ich hatte schon das Konzept, in jedem Fall zu gewinnen.“ Während Armin Laschet (CDU) unter anderem eine unpassende Reaktion während der Flutkatastrophe im Ahrtal vorgeworfen wurde und sich Annalena Baerbock (Grüne) mit Plagiatsvorwürfen konfrontiert sah, war Scholz damals vergleichsweise schadensfrei durch den Wahlkampf gekommen.

Andere spannende Fragen an diesem Abend bleiben aus. Weder wird der ehemalige Kanzler dazu befragt, wie sich der Rollentausch vom Bundeskanzler zum einfachen Abgeordneten anfühlt, noch zu seiner Haltung zum Gaza-Friedensplan.

Gefragt zum harten Umgangston und Hass, mit dem Politiker zuweilen klarkommen müssen, entgegnet Scholz: „Wenn man wirklich viel Politik macht, muss man es aushalten, jeden Tag auf eine Weise beleidigt zu werden, dass man mit den Leuten, die das gesagt haben, nie wieder reden würde. Wenn man sie auf der Straße sieht, die Straßenseite wechselt.“ Er sagt es nicht, aber es liegt nah, dass Scholz von eigenen Erfahrungen berichtet.

„Was Social Media betrifft, müssen wir die bürgerliche Zivilität zurückbringen.“ Wenn er auf der Bühne etwas „schlimmes“ sage, könne er dafür verklagt werden. Das Gleiche gelte auch in den sozialen Netzwerken. „Nur dass das Durchsetzen dieser Normalität dort nicht sehr einfach ist. Plattformbetreiber müssten eine andere Verantwortung haben als heute. „Wenn sie die Anonymität als Geschäftsmodell haben, müssen sie mindestens so verantwortlich sein, wie eine Zeitungsredaktion für den Leserbrief. Wenn dort Straftaten gedruckt werden, ist der Verleger oder der Herausgeber auch dran.“

Politikredakteur Nicolas Walter berichtet für WELT über gesellschaftspolitische Entwicklungen im In- und Ausland.

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