Der Oldenburger Verfassungsrechtler Volker Boehme-Neßler hält eine Rekrutierung von Wehrdienstleistenden über ein Losverfahren für schwer vereinbar mit dem Grundgesetz. Ein den gesamten Jahrgang erfassendes Musterungssystem sei dem Losverfahren, wie es derzeit in den Bundestagsfraktionen von SPD und Union diskutiert wird, verfassungsrechtlich vorzuziehen, sagte der Professor dem Evangelischen Pressedienst. Der Jurist ist nach eigenen Angaben seit mehr als 40 Jahren Mitglied der SPD.

Der Vorschlag sieht vor, den Kreis der zu Musternden per Los zu bestimmen, wenn sich nicht genügend Freiwillige für den Wehrdienst finden. Dies sei zwar weniger aufwendig als eine flächendeckende Musterung, wie sie bis zur Aussetzung der Wehrpflicht 2011 bestand. Aus Verfassungssicht sei dies aber kein Argument, betonte der Jurist. „Der Staat darf es sich nicht zu leicht machen. Wir reden hier über Einschränkungen der Grundrechte auf Freiheit und Leben.“ Ein Losverfahren könne nur die ultima ratio sein.

Wenn der Staat mehr Soldaten haben wolle, müsse er eine Infrastruktur schaffen, die eine „möglichst grundrechtsschonende“ Rekrutierung ermöglicht, sagte Boehme-Neßler. Ausgewählt werden müsse dabei wie bis 2011 nach Kriterien der Eignung und der Wehrgerechtigkeit, also beispielsweise nach Gesundheit und familiärer Bindung.

Die schwarz-rote Koalition startet am Donnerstag in die parlamentarischen Beratungen über einen neuen Wehrdienst. Nach dem überraschenden Platzen einer Einigung der Unterhändler von Union und SPD am Dienstag pocht die Union weiter auf deutliche Nachbesserungen am Gesetzentwurf von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) – inklusive eines Losverfahrens.

Ein Gesetzentwurf von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) setzt auf einen Wehrdienst, der zunächst auf Freiwilligkeit beruht. Hintergrund ist, dass Pistorius die Bundeswehr um rund 80.000 auf 260.000 Soldaten vergrößern will. Die Union bezweifelt, dass über Freiwilligkeit genug Wehrdienstleistende angeworben werden können, fordert klare Zielmarken für die Anwerbung und konkrete Mechanismen, falls diese nicht erreicht werden.

In diesem Fall soll automatisch eine „Bedarfswehrpflicht“ eingeführt werden. Das bedeutet, das nur ein Teil eines Jahrgangs gemustert und eingezogen werden soll. Die Verteidigungsexperten der Union sind der Meinung, dass ein Losverfahren für Musterung und Verpflichtung die gerechteste Lösung ist, die bei möglichen Klagen auch vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben könnte.

In der SPD-Fraktion gab es keine Zustimmung für den Kompromiss

Die Fachpolitiker beider Koalitionsfraktionen hatten sich am Montagabend nach tagelangen Verhandlungen auf Eckpunkte für ein Wehrdienstmodell mit Losverfahren verständigt. In der SPD-Fraktion gab es am Dienstag aber keine Zustimmung dafür. In der Union wird Pistorius vorgeworfen, Stimmung gegen den Kompromiss gemacht zu haben. Eine bereits angekündigte Pressekonferenz zu den Details der Einigung der Unterhändler wurde schließlich kurzfristig wieder abgesagt.

Pistorius bekräftigte öffentlich seine Bedenken gegen die auf Fachebene gefundene Lösung. „Ja, ich habe von einem faulen Kompromiss gesprochen“, sagte der SPD-Politiker. Er wendet sich vor allem dagegen, dass die Union nur einen Teil eines Jahrgangs mustern will. „Es geht um die flächendeckende Musterung, die ich einfach brauche, für die Einsatzfähigkeit und für die Fähigkeit, einzuberufen im Ernstfall.“

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