Der Oldenburger Verfassungsrechtler Volker Boehme-Neßler hält eine Rekrutierung von Wehrdienstleistenden über ein Losverfahren für schwer vereinbar mit dem Grundgesetz.
Ein den gesamten Jahrgang erfassendes Musterungssystem sei dem Losverfahren, wie es derzeit in den Bundestagsfraktionen von SPD und Union diskutiert wird, verfassungsrechtlich vorzuziehen, sagte der Professor dem Evangelischen Pressedienst (epd). Der Jurist ist nach eigenen Angaben seit mehr als vierzig Jahren Mitglied der SPD.
Der Vorschlag sieht vor, den Kreis der zu Musternden per Los zu bestimmen, wenn sich nicht genügend Freiwillige für den Wehrdienst finden. Dies sei zwar weniger aufwändig als eine flächendeckende Musterung, wie sie bis zur Aussetzung der Wehrpflicht 2011 bestand. Aus Verfassungssicht sei dies aber kein Argument, betonte der Jurist. „Der Staat darf es sich nicht zu leicht machen. Wir reden hier über Einschränkungen der Grundrechte auf Freiheit und Leben.“ Ein Losverfahren könne nur die ultima ratio sein.
Wenn der Staat mehr Soldaten haben wolle, müsse er eine Infrastruktur schaffen, die eine „möglichst grundrechtsschonende“ Rekrutierung ermöglicht, sagte Boehme-Neßler. Ausgewählt werden müsse dabei wie bis 2011 nach Kriterien der Eignung und der Wehrgerechtigkeit, also beispielsweise nach Gesundheit und familiärer Bindung.
Steinmeier skeptisch – Schülervertreter wollen mitreden
Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sieht ein Losverfahren skeptisch. „Die (Koalitionäre) müssen selbst bewerten, ob das Losverfahren wirklich ein taugliches Verfahren ist. Lassen Sie mir etwas Zweifel zu“, sagte er dem SWR-Magazin „Zur Sache Rheinland-Pfalz“. Steinmeier sprach sich anschließend erneut für eine Dienstpflicht für alle aus. Junge Männer und Frauen sollte sich dann zwischen einer sozialen Pflichtzeit und einer Wehrpflicht entscheiden können.
Der Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz, Quentin Gärtner, beklagte, dass junge Menschen in der Debatte über die Wehrdienstreform nicht gehört würden. „Vielleicht sollte sich die Bundesregierung erst mal anständig mit den Betroffenen auseinandersetzen, statt sich in koalitionsinternen Scharmützeln zu verkämpfen“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).
„Die andauernde Verunsicherung führt bestimmt nicht zu mehr Akzeptanz bei jungen Menschen. Wir befinden uns ohnehin schon in einer Krise der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen“, sagte der Schülervertreter. „Man zockt nicht um junge Menschen.“
Heute Bundestagsdebatte zum neuen Wehrdienst
Am Dienstag war eine Einigung von Unterhändlern der schwarz-roten Koalition auf ein Losverfahren überraschend geplatzt. Damit gehen Union und SPD heute ohne ein gemeinsames Konzept in die ersten parlamentarischen Beratungen über einen neuen Wehrdienst.
Auslöser des jüngsten Streits in der Koalition war die Frage, ob möglicherweise ein Losverfahren bei der Wehrpflicht eingeführt werden soll, wenn sich nicht genügend Freiwillige zum Wehrdienst melden. Als Präsident muss Steinmeier das Gesetz unterschreiben, damit es in Kraft tritt. Zuvor hat er ein Prüfungsrecht, das unter anderem die Frage umfasst, ob das Gesetz mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
Heute befasst sich der Bundestag erstmals mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zum neuen Wehrdienst.
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