Michael Vassiliadis, Chef der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE), warnt vor Beginn des Gewerkschaftskongresses vor dem Ende ganzer Branchen. „Das größte Sorgenkind ist für mich nicht der Strompreis, sondern der CO-Zertifikatehandel“, sagte er im Interview mit den Pro-Newslettern „Industrie und Handel“ sowie „Energie und Klima“ des Nachrichtenmagazins „Politico“. „Wir sind mit der Transformation der Energie-Infrastruktur nicht da, wo wir sein wollten“, gab er zu. „Wenn die Politik bei der Verknappung der Zertifikate nicht nachjustiert, wird das ein Aus für viele Industrien bedeuten.“ Berlin dürfe nicht starr an selbst gesteckten Zielen festhalten.

Aktuell sieht es so aus: Ab 2026 wird das europäische CO-Grenzausgleichssystem (CBAM) stufenweise eingeführt. Parallel dazu fällt die Zuteilung von kostenlosen Zertifikaten für besonders CO-intensive Branchen schrittweise weg. Ab 2034 soll endgültig Schluss sein.

„Was wir brauchen, ist eine Zeitenwende für die Industrie“, sagte Vassiliadis. „Für den Ernst der Lage sind die Debatten in der Politik zu oberflächlich.“ Ein Beispiel sei die Initiative „Made for Germany“, zu dem Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) Ende Juli ins Kanzleramt eingeladen hatte. Bei dem Treffen hatten 61 Firmen zugesagt, in den kommenden drei Jahren insgesamt 631 Milliarden Euro in Deutschland zu investieren. „Für die ganzen Bedarfe der Wirtschaft ist das nicht besonders viel Geld“, kommentiert Vassiliadis.

Er warnte außerdem davor, allzu große Hoffnungen in Start-ups zu setzen. „Start-ups sind wichtig, und wir werden sie brauchen“, sagte Vassiliadis „Politico“. „Aber wenn die großen Industrien wegbrechen, fallen auch den Start-ups wichtige Kunden weg.“

Auch beim Thema Wasserstoff äußerte sich der Gewerkschaftschef zurückhaltend, denn der Hochlauf kommt nur schleppend voran. Es helfe niemandem, die Technologie als den Heilsbringer für alle Probleme zu verstehen, sagte der Gewerkschafter, der selbst im Nationalen Wasserstoffrat sitzt. Man wird nicht alle Unternehmen in Deutschland halten können, sagte der IGBCE-Vorsitzende. „Aber wenn ganze Industrien abwandern, dann halte ich das auch im Sinne der Resilienz für eine Katastrophe.“

Stichwort Resilienz: Erst kürzlich hat das Unternehmen Neptune Energy in Sachsen-Anhalt riesige Lithiumvorkommen entdeckt. Vassiliadis sieht beim Abbau von Seltenen Erden grundsätzlich ein großes Potenzial für Deutschland – aber gehoben werde es wohl nicht. „Ich glaube, dass es sehr schwer wird, dafür gesellschaftliche Akzeptanz zu gewinnen.“ Eine große Bergbau-Renaissance erwarte er deshalb nicht.

Beim Kohleausstieg wird es laut Vassiliadis „tendenziell“ bleiben. Die Aussage lässt Spielraum für Interpretationen. Aber: „Alles ist heute längst auf Ausstieg angelegt — die Abbaumengen, die Tagebaue, die Aufschlüsse, die gesamte Infrastruktur.“ In der Lausitz soll das letzte Kraftwerk 2038 heruntergefahren werden, in Nordrhein-Westfalen bis 2030. Man könne nicht einfach sagen, man mache jetzt fünf Jahre länger, betonte Vassiliadis. „Das funktioniert technisch gar nicht so schnell.“

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