In einem Brandbrief aller zwölf Berliner Ordnungsamtsleitungen an die Senatskanzlei beschweren sich die Chefs über katastrophale Zustände bei Spätkäufen, Glücksspielläden und anderen Geschäften. Diese würden kaum noch kontrolliert oder überwacht, beklagen die Chefs in einem offenen Brief an den Regierenden Bürgermeister Kai Wegener (CDU). Der Wirtschaftsstandort Berlin sei in Gefahr, kritisieren sie in dem Schreiben: „Das Land Berlin verfügt derzeit faktisch über keine funktionierende Gewerbeüberwachung mehr – mit gravierenden Folgen für Rechtsstaat, Sicherheit und fairen Wettbewerb“, heißt es in dem Brief, aus dem der Berliner „Tagesspiegel“ zitiert.
Die Polizei sei seit Jahren machtlos, kritisieren die Amtsleiter weiter, das Landeskriminalamt „personell nicht mehr in der Lage“, die Aufgaben wahrzunehmen. Die Gewerbeaufsicht existiere praktisch nicht mehr: „Kontrollen in besonders sensiblen Bereichen“ erfolgten kaum noch. Dazu zählten etwa Spielhallen, Wettbüros, Prostitutionsstätten, Pfandleihern oder Finanzvermittler.
Dies führe dazu, dass sich „in Teilen dieser Stadt bereits Strukturen etabliert haben, die sich offenkundig nicht mehr an geltendes Recht gebunden fühlen“, heißt es in dem Brief weiter. Wenn der Staat in diesem Bereich dauerhaft nicht präsent sei, entstünden „Räume, in denen rechtsstaatliche Grundsätze keine Geltung mehr haben“, warnen die Amtsleiter.
Zuständigkeitswirrwarr verstärkt die Probleme
Die Probleme seien seit Langem bekannt, doch die geplante Neuaufstellung der Gewerbeaufsicht in Berlin, die Abhilfe schaffen sollte, ziehe sich seit Jahren hin. Die Zuständigkeiten seien ungeklärt, was das Problem aus Sicht der Ordnungsämter verschärfe: Wirtschafts- und Innenverwaltung des Berliner Senats seien für die LKA-Gewerbeeinheit zuständig, während die Aufsicht der Ordnungsämter bei der Senatskanzlei liege. Hinzu komme „fehlende Einheitlichkeit“ beim Vorgehen der Ordnungsämter in den Bezirken.
LKA und bezirkliche Ordnungsämter reklamierten für sich, zuständig zu sein – oder bestritten dies. Das LKA rücke aber nur noch zu Großeinsätzen in Gaststätten mit Clan-Bezug, Café-Casinos, Spielhallen oder Bordelle aus. Andere Gewerbebereiche würden gar nicht mehr überwacht oder überprüft. Dem „Tagesspiegel“ zufolge arbeiten nur noch 23 Mitarbeiter für das LKA in der Gewerbeaufsicht, während es in den 1980er- und 1990er-Jahren noch 200 waren. Die 23 Frauen und Männer schafften demnach im Jahr 2024 gerade noch 262 Kontrollen – vorgegeben waren 585 Kontrollen, was auch immer noch viel zu wenig sei, wie die Bezirke erklärten.
Die Folgen seien fatal, es bestehe „existenzieller Handlungsbedarf“. Die Hauptstadt riskiere, als Ort wahrgenommen zu werden, „an dem man machen kann, was man will“, wo „Gesetze keine praktische Wirkung mehr entfalten“ und Wirtschaftskriminalität folgenlos und Verstöße „mangels funktionsfähiger Verwaltung“ wirkungslos blieben, schreiben die Ordnungsamtschefs: „Es wurde viel geredet, Probleme wurden erkannt, Lösungsvorschläge erarbeitet, aber passiert ist dann nichts.“ Sie fordern nun eine politische Entscheidung und das Bekenntnis zu rechtsstaatlichen Strukturen. Eine Lösung sehen sie in der personellen Stärkung der Ordnungsämter, um die brachliegenden Aufgaben zu übernehmen.
Auf den Brandbrief folgten bereits erste Reaktionen. Ein Sprecher der Senatskanzlei erklärte dem „Tagesspiegel“ zufolge, unter Leitung der Wirtschaftsverwaltung laufe seit Längerem ein Projekt zur Neuaufstellung der Gewerbeüberwachung. Dabei würden auch Aufgabenverlagerungen geprüft. Die Senatskanzlei unterstütze die Vorschläge zur zentraleren Steuerung der Ordnungsämter. Nach dem Brandbrief solle das Thema Mitte November im Lenkungskreis der Ordnungsämter beraten werden – mit Staatssekretärin Martina Klement.
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