Ifo-Chef Clemens Fuest warnt vor einem weiteren Verfall der deutschen Wirtschaft und fordert ein größeres Reformkonzept. „Deutschland befindet sich seit Jahren in einem wirtschaftlichen Niedergang. Die Lage ist mittlerweile dramatisch“, sagte Fuest der „Bild am Sonntag“.
„Während die staatlichen Ausgaben immer weiter steigen, sinken die privaten Investitionen“, warnte der Chef des Münchner Ifo-Instituts. „Damit ist Deutschlands Wohlstand akut in Gefahr, denn weniger private Investitionen bedeuten mittelfristig weniger Wachstum, weniger Steuereinnahmen und damit auch weniger Geld für staatliche Leistungen.“
Schon länger stagniere der durchschnittliche Lebensstandard. „Millionen Bürger erleben bereits, dass ihr Lebensstandard sinkt.“ Der Ökonom forderte die Bundesregierung auf, in den nächsten sechs Monaten ein umfassendes Reformkonzept vorzulegen, das weit über den Koalitionsvertrag hinausgeht. Das Gesamtkonzept müsse bis spätestens Frühjahr 2026 vorliegen.
Fuest schlägt umfassende Sozialreformen vor. So müsse etwa die Mütterrente gestoppt werden. Stattdessen sollte die Regierung dafür sorgen, dass die Beiträge nicht weiter steigen.
Firmen müssten konsequent bei Bürokratie entlastet werden, zum Beispiel durch Wegfall von Dokumentationspflichten bei CO₂, Lieferketten, Mindestlohn. Die verursachten nur Kosten, brächten aber nichts, sagte Fuest. Das könnte jährlich bis zu 146 Milliarden Euro zusätzlichen Wohlstand bringen.
Bentele: Arme Menschen werden gegen noch ärmere aufgehetzt
Die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, beobachtet hingegen laut eigener Aussage mit Entsetzen die Aushöhlung des Sozialstaats. Wichtige Errungenschaften würden einkassiert, um vermeintlich das Gerechtigkeitsgefühl der Bevölkerung zu bedienen, sagte sie in ihrer Kanzelrede am Sonntag in der evangelischen Erlöserkirche in München-Schwabing laut Redemanuskript. Dabei sei ein zuverlässiger und starker Sozialstaat die beste Erfindung der deutschen Geschichte.
„Wenn es um soziale Gerechtigkeit geht, erwacht schnell das Misstrauen, es könnten Menschen von sozialen Wohltaten profitieren, die das gar nicht verdient haben“, bedauerte Bentele, die auch Vorsitzende des VdK-Bayern ist. „De facto münden manche politischen Entscheidungen gerade darin, dass arme Menschen gegen noch ärmere Menschen aufgehetzt werden“, sagte sie etwa zur Debatte ums Bürgergeld. Dieses solle das Recht auf Teilhabe sicherstellen. „Schon jetzt ist mehr als fragwürdig, ob dafür die Höhe der Geldleistungen genügt.“
Das gesparte Geld werde aber nicht umverteilt, sagte Bentele. „Bestenfalls werden Löcher im Haushalt gestopft – und zwar nur die ganz kleinen Löcher. Richtig was zu holen gäbe es woanders.“ Mindestens 100 Milliarden Euro mehr könnte der Staat in der Kasse haben, wenn Steuerbetrug wirksam bekämpft würde. Auch mit Blick auf die Barrierefreiheit würden in Bayern bisherige Errungenschaften zurückgefahren, etwa die Pflicht zum barrierefreien Bauen oder Fördertöpfe für den barrierefreien Umbau für pflegebedürftige Menschen.
Rund zwei Millionen Menschen in Bayern lebten mit einer Behinderung. „Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Ausgrenzungen erleben, ist hoch“, sagte Bentele. Je mehr Bevölkerungsgruppen aber ausgeschlossen und zurückgelassen würden, desto instabiler werde die Gesellschaft. „Das Gift des Misstrauens wirkt bereits: Wenn Alter mit Armut, Pflegebedürftigkeit mit Vernachlässigung und Einwanderung mit Kriminalität gleichgesetzt wird, kommt der gesamte Staat für viele auf den Prüfstand.“ Enttäuschte Menschen seien offener für extremistische Positionen.
Seit 1997 lädt die Evangelische Akademie Tutzing zweimal im Jahr zur Kanzelrede in die Münchner Erlöserkirche ein. Zu den Rednern gehören unter anderem Joachim Gauck, Christian Springer, Charlotte Knobloch, und Abt Johannes Eckert.
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