Aus den Lautsprechern klingt die Rockhymne „Vamos por la Gloria“ (Auf zum Ruhm), im Saal sind hunderte Mobiltelefone in Richtung violetter Bühne gerichtet. Von dort leuchtet ein riesiges „Gracias“ auf die Anwesenden herab. Um kurz nach 22.30 Uhr Ortszeit tritt der strahlende Sieger Javier Milei vor seine jubelnden Anhänger und verspricht: „Heute beginnt der Aufbau Argentiniens.“ Er weiß, ab sofort werden die Karten in Argentinien neu gemischt.
Ein in dieser Höhe nicht einmal von den Libertären selbst für möglich gehaltener Sieg bei den Parlamentswahlen verleiht dem Präsidenten nach schwierigen Wochen mit Korruptionsvorwürfen gegen den engsten Zirkel und einer schweren Niederlage bei den Provinzwahlen in Buenos Aires nicht nur neuen Rückenwind, er sortiert auch die Kräfteverhältnisse im Senat und Kongress neu. Mit fast 41 Prozent der Stimmen ist „La Libertad Avanca“ als stärkste politische Kraft aus dem aus aller Welt mit Spannung beobachteten Urnengang hervorgegangen.
Im Grunde hat die Ära Milei damit am Sonntagabend erst so richtig begonnen, denn nun hat der Präsident auch in den Parlamenten eine ernst zu nehmende Basis und muss nicht mehr gegen eine potenzielle Zwei-Drittel-Mehrheit anregieren. Sie konnte islang jedes Veto und jeden Reformversuch überstimmen.
Zwar verfügt Milei noch immer nicht über eine eigene Mehrheit in den beiden Kammern, aber dieser Wahlsieg verleiht ihm einen demokratischen Rückenwind für mögliche Bündnisse. Weil die Kammern stets im Zwei-Jahres-Rhythmus in Teilen neu gewählt werden, ist eine komplette Veränderung der Mehrheitsverhältnisse nur schwer möglich. Die knallharte libertäre Sicherheitsministerin Patricia Bullrich gewann ihren Senatsposten in Buenos Aires mit beeindruckenden 51 Prozent. Sie betonte, das argentinische Volk habe Mileis Sieg bei den Präsidentschaftswahlen von 2023 damit erneut bestätigt.
Milei nahm am Abend die Vorlage dankend auf: „Ab dem 10. Dezember werden wir den reformwilligsten Kongress in der Geschichte haben“, sagte der Präsident in seiner kurzen Ansprache. Und blickte zurück: „Argentinien war ein Minenfeld.“ Eines, das wegen Totalverschuldung, Hyperinflation und Ineffizienz jederzeit hätte explodieren können: „In diesen zwei Jahren haben wir verhindert, dass Argentinien in den Abgrund stürzt“, sagte Milei. Nun will er in der zweiten Hälfte die Früchte seiner Reformen einfahren: Und das bedeutet Wirtschaftswachstum und ausländische Investitionen.
Ein Blick auf die Zahlen verdeutlicht, wie sehr sich die Kräfteverhältnisse verschoben haben. Im Kongress konnten die Libertären ihre Sitze auf jetzt 93 mehr als verdoppeln (plus 56), die linksgerichteten Peronisten stehen nun bei 96 (minus zwei). Im Senat verdreifachten die Libertären ihren Anteil von sechs auf nun 19 Sitze, die Peronisten verloren acht Sitze und schrumpften auf 26 Senatsplätze zusammen. Milei hat dank einer Kooperation mit anderen reformwilligen Kräften in den Parlamenten eine breite Mehrheit.
„Die Argentinier haben Milei in den Kongresswahlen klar den Rücken gestärkt. Das Ergebnis liegt deutlich über den Umfragewerten und kommt einem Triumph gleich“, sagt Hans-Dieter Holtzmann von der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung in Buenos Aires zu WELT. „Damit hat Milei nun einen klaren Wählerauftrag, im Konsens mit anderen Reformkräften den Stabilisierungs- und Reformkurs für eine erfolgreiche Zukunft des Landes und der Argentinier fortzusetzen.“
Aldo Abram, vom wirtschaftsliberalen Think Tank „Libertad y Progreso“ sagt zu WELT, dass „nach den letzten Monaten der großen Unsicherheit darüber, wie die Menschen abstimmen würden“, nun ein Prozess der Währungsstabilisierung zu erwarten sei: „Wir werden einen fallenden Dollar, steigende Vermögenswerte Argentiniens und zurückkehrende Ersparnisse sehen, was zu einem Rückgang des Wechselkurses führen wird.“
Und ab sofort beginnt auch der Wahlkampf für die Präsidentschaftswahlen 2027. Schon jetzt ist klar: Gibt es keine gravierenden Überraschungen, wird Milei als alles überstrahlender Kandidat des libertär-konservativen Lagers in den Kampf um eine zweite Präsidentschaft ziehen. Auch seine ins Zentrum der Kritik geratene Schwester Karina ist wieder dabei. Der Präsident bedankte sich ausdrücklich bei den beiden anderen Eckpunkten des „eisernen Dreiecks“, wie er es nannte: Bei Karina Milei und Santiago Caputo, die als Strategen „dieses Wunder möglich gemacht haben“.
Im linkspopulistisch-peronistischen Lager ist dagegen die Führungsfrage ungeklärt. Die wegen Korruption verurteilte Ex-Präsidentin Cristina Kirchner versucht aus dem Hausarrest die Bewegung zu führen und befindet sich in einem internen Abnutzungskampf mit Provinz-Gouverneur Axel Kicillof aus Buenos Aires. Er hatte in der Nacht vor dem Wahltag in ganz Buenos Aires wegen der US-Finanzhilfe noch schnell anti-amerikanische Plakate aufhängen lassen.
Die argentinischen Wähler haben sich in diesen Wochen als sehr differenziert erwiesen. Bei den Provinzwahlen in der bevölkerungsreichen Provinz Buenos Aires erteilten sie den Libertären wegen der Korruptionsvorwürfe im engeren Umfeld des Präsidenten einen herben Denkzettel. Diesmal aber ging es um ihre eigene Zukunft, um die politische Ausrichtung ihrer Heimat, und da stellten sich die Argentinier deutlicher als erwartet hinter den Reformkurs von Milei. Und der kann nun endlich wirklich Präsident sein.
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