Je abstrakter Politiker sprechen, desto brisanter die Lage. Dieses Gesetz gilt erst recht in Nahost. Und wenn man diesen Maßstab anlegt, dann muss die Lage rund um den Waffenstillstand im Gaza-Krieg gerade sehr schwierig sein.

Während Israel wieder Angriffe fliegt und die Hamas nur schleppend die sterblichen Überreste getöteter Geiseln übergibt, sitzen auf der Bühne des IISS Manama Dialogue 2025 in Bahrain, der wichtigsten Sicherheitskonferenz des Nahen Ostens, am Samstagmorgen die Außenminister dreier Staaten, die eng in Entstehung und Umsetzung des Friedensplans von Donald Trump eingebunden sind: Aiman Safadi, dessen Heimatland Jordanien gemeinsam mit anderen arabischen Ländern wichtige Impulse beigetragen hat; die Britin Yvette Cooper, deren Diplomaten im UN-Sicherheitsrat als Veto-Macht über die von vielen geforderte Gaza-Resolution verhandeln können; und Johann Wadephul, der Deutschland vertritt, einen der wichtigsten humanitären Spender für die Palästinenser, der wohl auch beim Wiederaufbau gefragt sein wird.

Der Jordanier und die Britin erklären mit viel Zweckoptimismus, dass der Friedensplan ein großer Fortschritt sei und jetzt nur umgesetzt werden müsse. Johann Wadephul wird deutlicher. „Aiman“, sagt der deutsche Außenminister, „wir haben uns ja erst vor zwei Tagen getroffen, und was den Friedensplan angeht, sind wir einer Meinung. Aber eines muss ich hinzufügen: Wir müssen die Umsetzung beschleunigen. Ich befürchte, dass uns die Zeit davonläuft.“

Der Waffenstillstand sei gut, auch weil damit die humanitäre Hilfe für den Küstenstreifen hochgefahren werden könne. „Aber wir müssen auch das Vakuum in Sachen Verwaltung und Sicherheit im Gaza-Streifen füllen, und zwar so schnell wie möglich. Sonst übernimmt die Hamas wieder die Macht. Und das wiederum könnte für Israel ein Grund sein, wieder militärisch vorzugehen.“ Wadephul appelliert an die Anwesenden: „Bitte, an Sie alle, lassen Sie uns anpacken!“

Kaum jemand hier am Golf drückt es öffentlich so deutlich und so ehrlich aus wie Wadephul. Aber die Sorge, dass Trumps Plan eigentlich schon gescheitert ist, kann man mit Händen greifen. Israel habe sich de facto nicht einmal auf die sogenannte gelbe Linie zurückgezogen, sagen arabische Diplomaten hier, sondern stehe noch ein paar Hundert Meter näher an der Küste als vereinbart.

Womöglich wolle Israel gar nicht wirklich abziehen, sondern nur die Hamas in dem kleinen, Anfang Oktober geräumten Abschnitt entlang des Strandes einkesseln – und den Rest de facto besetzen. Dem könnte man entgegnen, dass sich die Terrororganisation bisher nicht einmal bereit erklärt hat, ihre Waffen abzugeben. Doch auf solche Argumente erhält man von Vertretern arabischer Staaten nur ein ratloses Seufzen und ein Achselzucken. Will heißen: Nein, natürlich gibt die Hamas nicht freiwillig nach.

Zwei Punkte sind offenbar besonders neuralgisch: die Frage der Entwaffnung der Hamas und das Timing des israelischen Rückzugs. In Sachen Timing fühlen sich die Araber offenbar bereits betrogen. In den Verhandlungen, aus denen der Friedensplan hervorging, sei eigentlich ein fester Zeitplan für Israels weitgehenden Abzug aus Gaza festgeschrieben gewesen.

Dass Trump im veröffentlichten Dokument gar keine zeitlichen Vorgaben machte, sei für viele arabische Beteiligte eine herbe Überraschung gewesen, so ist zu hören. Derzeit will niemand den Waffenstillstand gefährden, deshalb bleibt der Ärger womöglich hinter verschlossenen Türen.

Aber es ist schon auffällig, wie Jordaniens Außenminister mehrfach wiederholt: „Wir brauchen einen klaren Zeitplan für den Abzug der Israelis.“ Dass Premier Benjamin Netanjahu sich noch nachträglich Fristen aufzwingen lässt, darf bezweifelt werden.

Wer will sich auf einen Nahkampf mit der Hamas einlassen?

Das Problem der Entwaffnung ist vielleicht noch gefährlicher, denn hier geht es im Zweifel auch um die Frage, ob Araber gegen Araber kämpfen oder Muslime gegen Muslime. Denn nicht nur, dass die Hamas keiner Entwaffnung zugestimmt hat – nicht einmal der Friedensplan erklärt, wem genau sie ihre Waffen abgeben soll.

Eine Idee: die palästinensische Polizei in Gaza, die aus Beamten der Palästinensischen Autonomiebehörde gebildet werden soll. Doch die säkulare Fatah, welche die derzeit nur im Westjordanland einflussreiche Behörde kontrolliert, schreckt vor der Entwaffnung zurück, weil sie erneute Kämpfe mit der Hamas befürchtet.

Alternative: die internationale Stabilisierungstruppe. Doch welche Armee der Welt will sich auf eine potenzielle Nahkampfsituation mit der Hamas einlassen? Arabische Staaten äußern sich noch immer nicht klar zu einer Beteiligung an der Truppe, weil sie fürchten, als Handlanger der Israelis zu erscheinen, wenn sie in Kämpfe mit der Hamas geraten. Darum scheinen weiter entfernte Mächte ins Spiel gebracht worden zu sein: Pakistan und Indonesien.

Pakistan hat einen eher gemischten Ruf. In den Augen vieler westlicher Staaten hat der Geheimdienst während des Afghanistankrieges etwas zu enge Kontakte zu den Taliban gepflegt. Doch ihre Sicherheitszusammenarbeit mit Pakistan gaben die USA nie auf. Und für Saudi-Arabien und Bahrain gelten die Pakistaner als treue Verbündete.

Tatsächlich ist in diesem Jahr nicht nur der Chef des pakistanischen Generalstabs nach Manama gereist, sondern auch ein Generaldirektor des Geheimdienstes ISI. Das könnte es erleichtern, hinter den Kulissen über Gaza zu reden. Die Indonesier, die ebenfalls über eine starke Armee verfügen, sind nur mit zivilen Diplomaten vertreten – vielleicht, um allzu praktischen militärischen Fragen aus dem Weg zu gehen.

Daniel-Dylan Böhmer, Senior Editor im Ressort Außenpolitik, bereist die Länder des Nahen Ostens seit Jahrzehnten. Er befasst sich vor allem mit regionalen und globalen Sicherheitsthemen und wird regelmäßig als Experte in nahöstlichen TV- und Radiosendern befragt.

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