Die Junge Union (JU) geht vor ihrem Deutschlandtag auf Distanz zu Kanzler Friedrich Merz (CDU) – und zur schwarz-roten Bundesregierung. Die Nachwuchsorganisation der Union verlangt tiefgreifende Reformen in Sozial-, Steuer- sowie Gesellschaftspolitik und wirft der eigenen Parteiführung Mutlosigkeit vor. „Bisher fehlt auch der schwarz-roten Koalition der Mut zu konsolidierenden Reformen“, heißt es im Leitantrag, der dem Nachrichtenmagazin „Politico“ vorliegt.

Zentraler Streitpunkt: die Sozialbeiträge. Die JU fordert ein Moratorium – keine weiteren Erhöhungen in dieser Legislaturperiode, mittelfristig eine Senkung auf maximal 40 Prozent des Bruttolohns. „Die jetzige Regierung muss unsere sozialen Sicherungssysteme reformieren – sonst gehen Steuern und Sozialausgaben durch die Decke“, heißt es im Papier. Kanzler Merz, der am Samstag auf dem Deutschlandtag in Rust (Baden-Württemberg) auftreten wird, dürfte die Forderung als Affront verstehen: Sein Kabinett plant weder einen Beitragsdeckel noch einschneidende Rentenreformen.

Auch beim Rentenpaket der Regierung übt die JU scharf Kritik. Sie fordert, die Pläne zu stoppen, warnt vor steigenden Beitragssätzen und pocht auf Generationengerechtigkeit. Das Renteneintrittsalter soll künftig an die Lebenserwartung gekoppelt werden, Frühverrentung teurer werden. Außerdem will der Nachwuchs die Zuständigkeit für die geplante Rentenkommission von Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) ins Kanzleramt verlagern – „Chefsache“ nennt die Jugendorganisation das.

Der Empfang für den Kanzler am Samstag der kommenden Woche dürfte frostig werden. Neben der Sozialpolitik zielt die JU mit mehreren Vorschlägen aus dem fast 300 Anträge starken Buch auf Kurskorrekturen in zentralen Regierungsthemen – und auf Distanz zur eigenen Parteiführung. Sie lehnt eine Lockerung der Schuldenbremse ab, fordert die Abschaffung zweier Bundesministerien (Entwicklung und Bauen) und den sofortigen Stopp des geplanten Kanzleramts-Anbaus.

Geschlechtseintrag-Änderung nur nach Pflichtberatung

Auch gesellschaftspolitisch markiert die JU eine deutlich konservativere Linie: In einem Antrag werden Korrekturen am Selbstbestimmungsgesetz gefordert, das seit einem Jahr gilt. Minderjährige sollen ihren Geschlechtseintrag nur nach verpflichtender psychologischer Beratung und familiengerichtlicher Zustimmung ändern dürfen. Zudem fordert der Verband strengere Regeln für Schutzräume wie Frauenhäuser oder Justizvollzugsanstalten – ein klarer Gegenentwurf zur liberalen Linie der Bundesregierung und eine Rückkehr zu den Grundprinzipien des alten Transsexuellengesetzes.

In der Migrationspolitik verlangt die JU-Gliederungen einen jährlichen Bericht über die Gesamtkosten von Fluchtmigration und eine Arbeitspflicht für Asylbewerber. Rückführungen sollen effizienter werden – unter anderem durch die Nutzung ungenutzter Flughäfen wie Kassel als Abschiebestandort. In der Sicherheitspolitik fordert sie eine Kontingent-Wehrpflicht als Übergang zu einem verpflichtenden Gesellschaftsjahr und will Wehrdienst-Leistende mit der Übernahme von Führerscheinkosten belohnen.

Auch in der Steuerpolitik gibt es Anträge, mit denen sich der Parteinachwuchs von der Regierung abgrenzt. Die Schaumweinsteuer soll fallen, die Erbschaftsteuer gesenkt und vereinheitlicht werden. Eine Vermögensteuer lehnt die JU strikt ab. Gleichzeitig fordert sie mehr Forschung zur „Pille für den Mann“ und die Fortführung des Deutschlandtickets – allerdings mit flexibleren Preisen und Kündigungsbedingungen.

Politisch zeigt sich die JU geschlossen rechts der Mitte: keine Schulden, keine neuen Sozialgeschenke, keine ideologischen Experimente. Und sie bekräftigt die „Brandmauer“ der Union nach rechts und links – keine Zusammenarbeit mit AfD oder der Linkspartei.

Vor dem Deutschlandtag, der am 14. November im Europapark Rust beginnt, wird deutlich: Die Junge Union sieht sich als Mahnerin im eigenen Lager – und als konservatives Korrektiv zu einer Regierung, deren Chef sie selbst gestellt hat. Kanzler Merz wird am Samstag erwartet, Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) am Sonntag.

Rasmus Buchsteiner ist Chief Correspondent Berlin bei „Politico“ Deutschland.

Rixa Fürsen ist Head of Podcast „Politico“ Deutschland.

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