Ob in Deutschland oder in den USA – der Kampf um Meinungsfreiheit wird immer unerbittlicher geführt. Exemplarisch für die Polarisierung an den politischen Rändern steht für viele die Wahl des künftigen New Yorker Bürgermeisters Zohran Mamdani. Dessen Wahlsieg wird über die Grenzen der größten amerikanischen Stadt hinaus kontrovers diskutiert – so auch in der ZDF-Talkshow „Markus Lanz“.
„Man muss sich die Dimension dieses Sieges so vorstellen in deutschen Verhältnissen, als wäre Heidi Reichenek (Fraktionsvorsitzende der Linken, d. Red.) Ministerpräsidentin von Bayern geworden“, sagte die „Spiegel“-Journalistin Melanie Amann in der Sendung am Donnerstag. Mamdani komme aus einem „ganz klar radikal propalästinensischen Milieu“. „In einer Stadt wie New York mit einer riesigen jüdischen Bevölkerung wird ein Erzsympathisant der Palästinenser Bürgermeister. Das ist ein ähnlicher Schocker.“
Unter anderem für seine propalästinensische Haltung sei Mamdami gewählt worden, insbesondere von jungen Wählern, die stark mit den Palästinensern sympathisierten. Vor allem aber – und da sieht Amann die Parallele zu Reichinnek – habe die „klar sozialistische Plattform“ eine Rolle gespielt, also etwa die Versprechen von niedrigen Mieten und Lebenshaltungskosten. Der Demokrat genieße zudem eine hohe Glaubwürdigkeit bei seinen Anhängern, so Amman. „Er hat eine Art, die Menschen anzusprechen und zu mobilisieren, die vorher keiner hatte.“ Zugleich habe er es geschafft, „Kanäle ins New Yorker Establishment zu legen“.
„Inkarnation des Feindbildes für das Weiße Haus“
Welche Auswirkungen hat die Wahl in New York, einer liberalen Ostküstenmetropole, die nicht repräsentativ für ganz Amerika ist, auf den Rest des Landes? Der frühere Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, der Mamdani die „Inkarnation des Feindbildes für das Weiße Haus“ nennt, ist skeptisch. Er verweist auf die gleichzeitig in New Jersey und Virginia stattgefundenen Gouverneurswahlen, wo sich ebenfalls Demokraten durchsetzten. Dort seien moderate Demokratinnen gewählt worden – „und zwar solche, die aus der Mitte des Spektrums kommen“. „Jetzt zu sagen, Mamdani ist das Erfolgsrezept der Demokraten, auch was das gesamte Land anbelangt, wäre zu kurz gegriffen.“ Mamdani müsse nun liefern – „und das wird in dieser Stadt unfassbar schwierig“.
Auch Amann glaubt, dass Mamdani dies nur schafft, wenn er sich bis zu einem gewissen Grad mit dem „Establishment“ arrangiere. Zudem könne US-Präsident Donald Trump Mamdani als „ideales Feindbild“ instrumentalisieren. „Er kann sagen: ‚Das sind die Demokraten: Linksradikale, Kommunisten, Terroristenfreunde, Antisemiten.“ Hinzu komme die Spaltung innerhalb der Demokraten in die „alte Garde“ und das Lager um Mamdani. Für die Republikaner sei es „sehr schön, wenn diese beiden Lager sich jetzt erstmal beharken“.
Damit leitete Lanz zum Thema Meinungsfreiheit über, die die Trump-Administration in Europa gefährdet sieht. US-Vizepräsident J.D. Vance hatte bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar angebliche Angriffe auf die Meinungsfreiheit in Europa verurteilt. Wie eng ist der Meinungskorridor wirklich?
CSU-Politiker zu Guttenberg spricht von einer „Diskursangst in weiten Kreisen“, sieht diese aber insbesondere in den USA. Es herrsche „eine Angst, zu sagen, was man denkt und sich in eine Auseinandersetzung hineinzubegeben, die auch in der Familie zu einer Spaltung führen könnte“. Gleichzeitig gebe es eine „grassierende Streitlust“. „Ein anderer Teil der Bevölkerung möchte einfach möglichst laut, möglichst schrill, möglichst brüllend seine Meinung kundtun.“
Meinungsfreiheit an amerikanischen Universiäten
Melanie Amann schildert Erlebnisse an der Harvard-Universität in den USA in den vergangenen Wochen. Immer wieder sei ihr aufgefallen, dass es dort keinen richtigen Austausch von Meinungen gegeben habe. Stattdessen habe man Positionen dargelegt und dann das Thema gewechselt. Als konkretes Beispiel führt die Journalistin einen Auftritt des republikanischen Politikstrategen Scott Jennings an, der die Republikaner bei einer öffentlichen Podiumsdiskussion als einzige Partei dargestellt habe, die die Meinungsfreiheit und westliche Zivilisation entschieden verteidige. Solche Aussagen seien widerspruchslos geblieben. Die Journalistin erklärt sich das mit einer „Verunsicherung und einem antiseptischen, sterilen Klima“. Viele wollten nicht „den Verdacht bestätigen, zu woke zu sein und Meinungen zu unterdrücken“.
Vielen stecke zudem der Wahlsieg von Trump in den Knochen. „Und das Gefühl, vielleicht haben wir dazu beigetragen, vielleicht waren wir zu links, vielleicht zu woke, vielleicht haben wir nicht genug Meinungsfreiheit und vielleicht haben wir übertrieben.“ Hinzu kämen die Angriffe Trumps auf Universitäten, etwa mit dem Versuch, Gelder zu kürzen.
Zu Guttenberg berichtet, dass eine seiner Töchter in den USA an der Westküste studiert habe und „Ähnliches berichtet“ habe. Diese Entwicklung aber nur am Amtsantritt von Trump festzumachen, hält er für zu kurz gegriffen. „Das hat sich wirklich jetzt über einen langen Zeitraum aufgebaut und ist in Teilen auch eine beleidigte, vollkommen überzogene und außerhalb jeder Maßstäbe stehende Reaktion auch aus republikanischen Kreisen, die sich über Jahre selbst gecancelt gefühlt haben an gewissen Institutionen in Amerika. Es ist eine harte, rachsüchtige Gegenreaktion, die stattfindet.“ Trump habe zwar „Feuer gelegt an das Ganze, aber der Entwicklungsprozess ist ein langer.“ Er nehme in Europa mittlerweile „vergleichbare Tendenzen“ wahr, etwa an Universitäten in Großbritannien.
Kritik am Umgang mit AfD-Anhängern
In Deutschland zeigen sich Bruchlinien und Kämpfe derzeit exemplarisch am Umgang mit der AfD und der sogenannten Brandmauer. Zu Guttenberg hatte gegenüber dem „Stern“ -Magazin gesagt, er sehe „eine falsche Strategie im Umgang mit extremen Tendenzen im Land“. Anschließend hatte der CSU-Politiker klargestellt, nicht für eine Aufweichung der sogenannten Brandmauer gegenüber der AfD eingetreten zu sein, sondern am Beibehalten des Unvereinbarkeitsbeschlusses gegenüber der AfD festzuhalten.
Auf die Frage, was er mit seiner Aussage gemeint habe, bekräftigte er: „Dass man ihnen nicht mit Schweigen begegnen sollte und dass man eine offene Auseinandersetzung braucht.“ Das heiße: den politischen Gegner stellen und ihn nicht den eigenen Filterblasen überlassen. „Das ist nämlich die Alternative für die sogenannte Alternative, mit der sie extrem erfolgreich geworden ist– bei Telegram, TikTok und hinter der Brandmauer.“
„Hinter die Brandmauer gehören die Extremisten, gehören die Neonazis, gehören die Funktionäre einer AfD, die mit jedem Zynismus ihr Programm bespielen“, sagte zu Guttenberg und kritisierte „Das Problem ist, dass die Brandmauer oftmals um die Wähler mit herum gezogen wird.“ Hier brauche es eine Differenzierung.
Zu Guttenberg kritisierte zudem, dass über die Parteigrenzen hinaus kaum noch eine politische Auseinandersetzung stattfinde. „Die wenigsten stellten sich.“ Es gehe um eine offene Auseinandersetzung mit ebenso offenem Visier. „Und davor scheuen sich immer noch viele.“
Amann plädiert zwar ebenfalls nicht für einen Boykott politischer Gegner, hält aber die Hoffnung, dass die Strategie der reinen Konfrontation aufgeht, für „trügerisch“. „Die Auseinandersetzung suchen setzt voraus, dass Du auf der anderen Seite jemanden hast, der sich mit Dir auseinandersetzen will und in den argumentativen Nahkampf gehen will.“ Bei der AfD sei das nicht der Fall. „Die wollen ja nicht Argumente austauschen, und die wollen auch gar nicht hören, was die Argumente der Gegenseite sind.“
Im Wahlkampf müssten sich die Parteien auf ihre eigenen Inhalte konzentrieren. Anstatt sich auf die „schlimme AfD, falsche Argumente, falsche Ideen und Verfassungsfeinde“ zu konzentrieren, müsse sich die Union – etwa vor der anstehenden Landtagswahl in Sachsen-Anhalt – darauf besinnen, was sie selber ausmache. „Was ist ihre Story? Was ist ihr Sound, was ihr Gemeinschaftsgefühl und ihre Botschaft?“ Die SPD müsse die Frage noch dringender beantworten als die Union– bei der CDU aber nehme sie eine größere Verunsicherung wahr.
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