Im thüringischen Nordhausen läuft derzeit ein bemerkenswertes Experiment: Junge Bürgergeldempfänger unter 25 Jahren werden dazu verpflichtet, gemeinnützige Arbeit zu leisten. Der Stundenlohn liegt bei 1,20 Euro. Wer der Aufforderung nicht nachkommt, wird morgens von Mitarbeitern des Landkreises besucht. Nun ist das Projekt gestartet, und die ersten Teilnehmer werden etwa im Schlosspark mit Laubarbeiten beschäftigt. WELT TV war dabei.
„Ich war jetzt anderthalb bis zwei Jahre arbeitslos. Dann kam der Brief vom Amt, und jetzt bin ich hier. Es macht sehr viel Spaß, ehrlich gesagt – Vorbereitung aufs Leben wieder“, sagt ein junger Mann namens Jason TV-Reporter Lutz Stordel. Nach eigener Aussage hat Jason zwar eine Ausbildung im Gartenbau gemacht, aber trotzdem seit anderthalb Jahren keinen Job.
Auf die Frage, ob die Zeit mit Bürgergeld einfach zu bequem gewesen sei, antwortet Jason offen: „Ich war ein bisschen faul, sag’ ich jetzt mal so. Jetzt muss es weitergehen.“ Das Bürgergeld habe eher schlecht als recht zum Leben gereicht, auch die aktuelle Bezahlung von 1,20 Euro pro Stunde sei zwar niedrig, aber aus Jasons Sicht ein Anfang: „Fürs Erste reicht’s, das Leben geht weiter.“
Die örtliche Arbeitsagentur hatte dem Landrat zuvor rund 200 Namen von Bürgergeldempfängern zur Verfügung gestellt. Rund 50 der genannten Personen meldeten sich daraufhin, 30 wurden in das Projekt aufgenommen. Auch WELT hatte über das Vorhaben berichtet, das Landrat Matthias Jendricke (SPD) per Verordnung eingeführt hat. Insgesamt waren nach Zahlen des Jobcenters im Oktober 3275 Menschen arbeitslos gemeldet, 342 waren unter 25 Jahre alt. 79,8 Prozent von ihnen haben gar keinen oder keinen anerkannten Berufsabschluss.
Zu ihnen zählt auch Justin, ebenfalls Projektteilnehmer. Wie Jason fegt er nun Laub im Schlosspark zusammen – allerdings nicht freiwillig. „Ich wurde rausgeklingelt“, erzählt er. Mitarbeiter des Ordnungsamts hatten zuvor morgens vor seiner Tür gestanden, um ihn an die Anordnung zu erinnern. Zweieinhalb Jahre sei er ohne Job gewesen, eine Ausbildung habe er nicht abgeschlossen, erklärt er. „Ich möchte auf jeden Fall wieder arbeiten gehen“, sagt Justin. „Hier macht’s Spaß, vielleicht wird’s ja was in der Richtung.“
Linke und Grüne hatten das Vorgehen in Nordhausen als Stigmatisierung junger Menschen kritisiert. Doch Landrat Jendricke hielt dagegen und führte den Erfolg eines ähnlichen Modells im benachbarten Landkreis Greiz im vergangenen Jahr an. 65 Asylbewerber konnten durch Arbeitspflichten in Beschäftigung gebracht werden. Dort waren nur Personen in Deutschkursen, Mütter mit Babys und Kleinkindern, Altersrentner und Erwerbsunfähige wie Kriegsversehrte oder Behinderte von der Anordnung befreit worden.
Als Begründung für die Arbeitspflicht führte der Landrat von Nordhausen an, dass viele Eltern zu wenig Druck auf ihre arbeitsfähigen Kinder ausübten. „In dem Alter wäre es gut, wenn Eltern Verantwortung übernehmen. Andernfalls muss der Staat Druck ausüben. Deswegen ist der Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit zu verzeichnen“, erklärte er. Mit der aktuellen Teilnehmerzahl des Projekts ist der Landrat deshalb auch noch nicht zufrieden.
Dass so viele junge Bürgergeldempfänger ohne Job sind, könnte auch an den Biografien der Teilnehmer liegen. „Ich habe früher die Verstöße gegen das Schulgesetz bearbeitet, klassische Schulschwänzer. Als ich die Liste am Montag gesehen habe, waren mir einige Namen gleich wieder präsent – auch die Mütter und Väter dazu“, sagte Sandra Hesse, die Leiterin des Vollzugsdienstes in Nordhausen. Sie gehört zu den städtischen Mitarbeitern, die die jungen Leute morgens zu Hause besuchen, wenn sie der Anordnung fernbleiben.
Viele der jungen Menschen hätten eine lange Vorgeschichte der Perspektivlosigkeit hinter sich, erklärt Hesse. Das Projekt hält sie deshalb für eine positive Entwicklung: „Wir haben sehr freundliche Rückmeldungen bekommen, auch von den Teilnehmern selbst. Am Anfang waren sie überrascht, dass wir wirklich kommen. Aber jetzt sind 14 von ihnen regelmäßig da – und pünktlich.“
Dabei seien Zwangsmaßnahmen ausgeschlossen, erklärt sie weiter. „Wir haben niemanden zugeführt, wir dürfen das auch gar nicht“, sagt die Ordnungsamtsmitarbeiterin. „Wir haben sie freundlich eingeladen, mit uns mitzufahren – und die Gespräche waren erstaunlich angenehm.“
Gerade die Umstellung auf einen festen Tagesrhythmus hält Hesse für einen entscheidenden Faktor bei den Teilnehmern. „Am Dienstag waren die Ersten noch im Bett. Aber heute waren alle pünktlich da. Der Körper gewöhnt sich daran.“ Das Projekt sei deshalb ein wichtiges Signal: „Ich finde, man sollte sie nicht aufgeben. Es ist wichtig zu zeigen: So kann es nicht weitergehen. Die Resonanz zeigt, dass es etwas bringt.“
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