Inhalt des Artikels:

  • Richtlinien zur Triage, die regelmäßig geprüft werden
  • Ärzteverband und Betroffene begrüßen Urteil des Bundesverfassungsgerichts
  • Triage sollte regelmäßig geübt werden

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Triage sollen die Länder über neue Regelungen entscheiden. Die für nichtig erklärten Vorgaben aus dem Paragrafen 5c des Infektionsschutzgesetzes wären für Ärzte allerdings nur in einer Pandemie verpflichtend gewesen. Dabei gibt es auch andere Situationen, in denen die Triage angewendet wird, zum Beispiel bei Unfällen mit vielen Verletzten, bei Naturkatastrophen, im Krieg.

Auch in der Notaufnahme wird triagiert, also eine Reihenfolge bestimmt, in der die Patienten behandelt werden. Dort kann in der Regel aber allen Menschen geholfen werden – es ist meist keine Entscheidung über Leben und Tod.

Auch in der Notaufnahme findet eine Triage statt. Bildrechte: picture alliance/dpa | Daniel Karmann

Deshalb sei eine Triage in einer Ausnahmesituation auch umso belastender, sagt Jörg Fierlings, einer der 14 Ärzte, die mit Unterstützung des Marburger Bundes gegen die Regelungen zur Triage geklagt hatten. "Normalerweise bin ich es als Mediziner gewohnt, jedem helfen zu können. Und dann komme ich in eine Situation, wo ich nicht mehr jedem helfen kann und das ist extrem belastend."

"Triage-Situation kommt schneller auf einen zu, als einem lieb ist"

So eine Triage-Situation komme schneller auf einen zu, als einem lieb sei. Als Beispiel nennt Fierlings, der Chefarzt einer Notaufnahme in Bremerhaven ist, einen Unfall mit zwei eingeklemmten Menschen, die nicht mehr atmen.

"Ich muss als erstes Rettungsteam vor Ort innerhalb von Sekunden entscheiden, wer die bessere Chance haben könnte. Das kann man schlicht und ergreifend nicht regeln. Da muss man sich auf seine Erfahrung verlassen. Wenn ich mich nicht entscheide, sind beide tot."

So etwas sei zwar nicht alltäglich, es komme aber mehrmals im Jahr vor, dass Notärzte so eine Situation erlebten.

Richtlinien zur Triage, die regelmäßig geprüft werden

Deshalb wünscht sich Jörg Fierlings, dass Richtlinien zur Triage erarbeitet werden, die für alle Szenarien gelten, in der sie notwendig werden könnten. Diese Richtlinien sollten ihm zufolge regelmäßig – zum Beispiel alle drei, fünf oder zehn Jahre – geprüft und überarbeitet werden.

Solche Richtlinien, wie sie bereits in der Corona-Pandemie erarbeitet wurden, seien besser als ein Gesetz, weil sie zwar Orientierung böten, aber keine unmittelbaren juristischen Konsequenzen zu befürchten seien, wenn man anders handele. Genau diese Befürchtung könnte Fierlings zufolge nämlich dazu führen, dass Ärzte aus Sorge, etwas falsch zu machen, in einem Triage-Fall erst zu spät eine Entscheidung treffen oder sogar überhaupt keine.

Ärzteverband und Betroffene begrüßen Urteil des Bundesverfassungsgerichts

Die Vorgaben im Infektionsschutzgesetz seien auch nicht praxistauglich gewesen. Je nach Situation hätten mindestens zwei Ärzte einvernehmlich entscheiden müssen, wer behandelt wird – teilweise wären daran sogar drei oder vier Ärzte beteiligt gewesen. Dadurch gehe wertvolle Zeit verloren, die man in einer Notlage, in der Menschen in Lebensgefahr sind, nicht habe, so Fierlings.

Auch die Vorsitzende des Ärzteverbandes Marburger Bund, Susanne Johna, begrüßt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Es zeige, wie wichtig die ärztlichen Therapiefreiheit sei. Selbst in medizinischen Dilemmasituationen müssten ärztliche Entscheidungen nach fachlicher Kenntnis und eigenem Gewissen in kollegialer Übereinstimmung getroffen werden. Unter den Bedingungen einer extremen Notlage mit begrenzten Ressourcen bedeute das alles zu tun, um die größtmögliche Zahl an Menschenleben zu retten.

Ein Patient, der bei der Triage in die Sichtungskategorie II (rot) eingeteilt wurde.Bildrechte: picture alliance / Jochen Tack | Jochen Tack

Nicht nur von Ärzten, auch von Menschen mit Behinderungen, nach deren Klage 2021 das Infektionsschutzgesetz um die Triage-Regelungen erweitert wurde, gibt es Zustimmung für das Urteil. Eine von ihnen ist Nancy Poser, die wegen der Krankheit Spinale Muskelatrophie im Rollstuhl sitzt. Sie sagte der Wochenzeitung "Zeit": "Das Gesetz war Murks, wir sind froh, dass es einkassiert worden ist."

Das Gesetz war Murks, wir sind froh, dass es einkassiert worden ist.

Nancy Poserüber das Triage-Urteil des Bundesverfassungsgerichts

Dass es darin hieß, dass Ärzte nur nach der "kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit" entscheiden sollten, wer medizinisch behandelt wird, hätte Poser zufolge begünstigt, dass Menschen mit Behinderungen wegen unbewusster Vorurteile benachteiligt werden. Und das, obwohl es in dem Gesetz ausdrücklich heißt, dass "eine Behinderung, das Alter, die verbleibende mittel- oder langfristige Lebenserwartung, der Grad der Gebrechlichkeit und die Lebensqualität" keine Rolle spielen sollen.

Triage sollte regelmäßig geübt werden

Neben Richtlinien braucht es auch regelmäßige Übungen zur Triage. Davon ist Jörg Fierlings überzeugt. Dadurch lernten Ärzte nicht nur, eine Triage durchzuführen, sondern könnten sich auch mit dem Vorgehen vertraut machen und sie im Ernstfall besser umsetzen.

Ohne solche Übungen wüssten viele Ärzte in einem Notfall wahrscheinlich nicht, woran sie sich halten müssen und wären womöglich auch überfordert, glaubt Fierlings. "Eine Triage-Situation ist die schlimmste Situation, in die ein Arzt kommen kann, weil er darüber entscheiden muss, wie er den Mangel verwaltet, die nicht vorhandene Kapazität an Beatmungsmaschinen, an Personal".

Solche Übungen brauche es auch, weil in einem Triage-Fall Ärzte beteiligt seien, die nicht in der Intensiv- und Notfallmedizin arbeiteten, sondern aus ganz anderen Bereichen kämen. "Die meisten Ärzte waren noch nie in so einer Situation und wenn sie dann entscheiden müssen, ist da auch eine gewisse Hilflosigkeit", erklärt Fierlings. Triage sei am Ende auch etwas, das man sich trauen müsse.

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