Vertreter von Union und SPD haben nach einem mehrwöchigen Streit über das neue Wehrdienstgesetz grundsätzliche Einigung erzielt. Über das Ergebnis sollen nach WELT-Informationen am Donnerstag ab 8 Uhr zunächst die Fraktionen informiert werden. Ab 9:15 Uhr ist ein Pressestatement geplant.
An dem Krisentreffen am Mittwochabend nahmen Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), die Fraktionschefs von Union und SPD, Jens Spahn (CDU) und Matthias Miersch (SPD) sowie Verteidigungsexperten aus beiden Fraktionen teil. Details wurden zunächst nicht genannt. Nachdem ein erster Versuch einer Einigung im Oktober in einem Eklat endete, soll der Weg für einen Bundestagsbeschluss des Gesetzes nun im Dezember frei werden.
Nach Informationen der „Bild“ sollen künftig alle jungen Männer eines Jahrgangs zur Musterung antreten. Melden sich unter den „wehrtauglich“ gemusterten Männern nicht genügend Freiwillige, käme in einem zweiten Schritt das Losverfahren zum Zug. Per Los solle dann entschieden werden, wer zur Bundeswehr muss. Verteidigungsminister Pistorius hatte auf die Musterung eines kompletten Jahrgangs gedrängt.
Nach Reuters-Informationen aus Regierungs- und Parlamentskreisen sollen demnach wie im ursprünglichen Gesetzentwurf von Pistorius geplant, Anfang 2026 in einem ersten Schritt alle 18-Jährigen mit einem Fragebogen angeschrieben werden. Männer müssen ihn beantworten, Frauen können. Der Fragebogen dient bereits als Teil der Musterung.
Im ersten Jahr sollen zunächst um die 20.000 Freiwillige aus einem Jahrgang gewonnen werden. Ab Mitte 2027 soll ein kompletter Jahrgang mit etwa 300.000 Männern vollständig gemustert werden, um einen Überblick über Wehrfähige zu gewinnen. Das erwogene Losverfahren in diesem Schritt entfällt.
Für den Fall aber, dass freiwillige Rekruten fehlen, könnte es in einer nächsten Phase den Angaben zufolge dennoch eine Wehrpflicht geben. In das Wehrdienstgesetz soll aber nur eine vergleichsweise allgemeine Formel wie faires oder gerechtes Auswahlverfahren geschrieben werden. Die Details würden dann in einem zweiten Gesetz verankert. Dieses muss erst in dem Fall beschlossen werden, wenn zwangsweise eingezogen werden muss. Zuvor muss die Regierung den Mangel feststellen und auch der Bundestag zustimmen. Diese Hürde vor dem Zwang stand bereits in Pistorius' Ursprungsgesetz und ist vor allem für die SPD wichtig.
Kein doppeltes Losverfahren
Pistorius hatte in seinem ursprünglichen Gesetzentwurf zum neuen Wehrdienst zunächst auf Freiwilligkeit gesetzt, um Rekruten für die Bundeswehr zu gewinnen. Die Union forderte Zielmarken für den Aufwuchs der Truppe und das Auswahlverfahren für den Fall, dass sich nicht ausreichend Männer und Frauen für einen freiwilligen Dienst melden.
Fachpolitiker von CDU/CSU und SPD im Bundestag hatten deshalb Mitte Oktober einen Kompromissvorschlag ausgearbeitet. Demnach sollte ein Losverfahren bestimmen, wer zur verpflichtenden Musterung muss. Finden sich dabei nicht genügend Freiwillige, sollten gemäß dem Bedarf der Bundeswehr per weiterem Losverfahren ausgewählte Männer zum Wehrdienst verpflichtet werden.
Minister Pistorius wiederum hatte dieses doppelte Losverfahren – das nun offenbar vom Tisch ist – abgelehnt und eine offizielle Verkündung der Vereinbarung durch die Parlamentsvertreter gestoppt. Strittig war auch der künftige Status der Wehrdienstleistenden – als freiwillige Wehrdienstleistende oder finanziell besser gestellte Soldaten auf Zeit.
Nach dem Willen von Pistorius soll das neue Wehrdienstgesetz Anfang 2026 in Kraft treten. Er pochte immer wieder auf eine flächendeckende Musterung aller jungen Männer eines Jahrgangs. Für ihn ging es dabei nicht nur um die aktuelle Aufstockung der Truppe, sondern auch darum, „im Verteidigungsfall wirklich handlungsfähig sein zu können und wirklich zu wissen, wer ist denn überhaupt in der Lage, eingezogen zu werden“, wie er erst am Montag noch einmal erklärt hatte. Dies müsse im Gesetz geregelt werden.
Die Union hatte bereits signalisiert, dass sie da mitmachen würde. Strittig war aber bis zuletzt, wie weiter verfahren werden sollte, wenn aus dieser Musterung nicht genügend Freiwillige hervorgehen.
Zweifel an Freiwilligkeit
Wegen der Bedrohung durch Russland und der deswegen veränderten Nato-Planungen soll die Bundeswehr um rund 80.000 auf 260.000 Männer und Frauen in der stehenden Truppe wachsen. Zudem soll es 200.000 Reservisten geben, deren Zahl vor allem mit dem neuen Wehrdienst gesteigert werden soll. Schon das bisherige Ziel von 203.000 Soldaten wurde allerdings nie erreicht.
Vor allem Politiker der Union haben wiederholt angezweifelt, dass Freiwilligkeit ausreichen wird, um einen ausreichend schnellen Aufwuchs der Bundeswehr zu garantieren. In den Koalitionsverhandlungen setzte sich die SPD aber mit der Forderung nach Freiwilligkeit durch.
Die Wehrpflicht war 2011 ausgesetzt worden, ist aber weiter im Grundgesetz verankert. Sie kann mit einfacher Mehrheit im Bundestag wieder eingeführt werden und tritt auch in Kraft, wenn der Bundestag den Spannungs- oder Verteidigungsfall feststellt.
Das Grundgesetz sieht die Wehrpflicht für Männer vor. Um die Frage, ob und wie Frauen eingebunden werden sollen, gibt es immer wieder Diskussionen, ohne dass eine Mehrheit für eine Änderung des Grundgesetzes aktuell erkennbar wäre.
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