Angesichts des schwindenden Vertrauens in die deutsche Demokratie stellt Caren Miosga ihre Sendung am Sonntagabend unter eine zentrale Frage: „Haben wir den Kompromiss verlernt?“ Ein Jahr nach dem Bruch der Ampel-Regierung ist das Vertrauen in die schwarz-rote Bundesregierung drastisch gesunken. Vor allem die anhaltenden Konflikte über Wehrdienst, Rente und Haushalt belasten das politische Klima.
In der Runde sitzen Ricarda Lang, die nach ihrem Rückzug vom Grünen-Parteivorsitz als einfache Bundestagsabgeordnete teilnimmt, „Zeit“-Vize-Chefredakteur Martin Machowecz und Schriftsteller Ferdinand von Schirach. Letzterer hatte vor vier Jahren eine Initiative für eine moderne europäische und deutsche Verfassung gestartet, in der er unter anderem ein „Recht auf Wahrheit“ fordert: Äußerungen von Politikern und Amtsträgern sollten der Wahrheit entsprechen.
Schirach sieht das derzeitige Vertrauen in die Politik schwer beschädigt. „Das Problem ist, dass die Leute kein Vertrauen mehr haben. Und das nicht vorhandene Vertrauen führt dazu, dass sie die AfD wählen“, sagt er. Die AfD-Wählerschaft bestehe zu großen Teilen aus Menschen, „die von der Politik enttäuscht sind“, nicht aus Protestwählern oder Verschwörungstheoretikern.
Mit Blick auf politische Entscheidungsprozesse führt er ein Beispiel aus der Hauptstadt an: „Das Pergamonmuseum wird 14 Jahre renoviert. Also wenn ich Oberbürgermeister in Berlin wäre, würde ich den Mann, der mir das sagt, aus dem Zimmer jagen und sagen, komm wieder, wenn du einen Zweijahresplan hast.“ Solche Abläufe seien für Bürger schwer nachvollziehbar und schadeten der Glaubwürdigkeit.
Schirach: AfD-Verbot ist „etwas zutiefst Undemokratisches“
Weiter sprach er sich gegen ein Verbot der AfD aus: Bei seiner Ansprache zum 9. November hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ein Parteiverbot als „Ultima Ratio“ ins Spiel gebracht. „Der Bundespräsident hat eine Haltung“, sagt Schirach. „Aber ich teile sie nicht.“ Ein Verbot sei aus seiner Sicht undemokratisch. Die 1000 Seiten umfassende Zusammenfassung des Verfassungsschutzes zur Einstufung der AfD als gesichert rechtsextremistisch gebe ein solches Verfahren nicht her.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte die AfD Anfang Mai als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ eingestuft. Dagegen geht die AfD juristisch vor. Die Einstufung ist bis zu einer Entscheidung vor Gericht ausgesetzt.
Ein Verbotsantrag wäre „eine Pleiteerklärung für die Partei, die es einreicht“, betont Schirach. Es sei ein „Offenbarungseid“, dass die Parteien es nicht geschafft hätten, den Wählern ein richtiges Angebot zu machen. „Jetzt wird so getan, als wäre es etwas ganz Tolles, ein AfD-Verbot zu haben. Das ist es nicht. Es ist etwas zutiefst Undemokratisches, weil man den demokratischen Konkurrenten verbietet.“ Das wirkliche Problem sei der Vertrauensverlust der Wähler, die sich der AfD zuwenden.
Erschüttert werde das Vertrauen insbesondere durch nicht eingehaltene Versprechen, Ungerechtigkeit und nicht benannte Probleme. „Alle drei Dinge sind passiert“, sagt er. Bundeskanzler Friedrich Merz verspreche, was er nicht halten könne.
Darüber hinaus sei das Bürgergeld „vollkommen falsch angepackt worden“. Es gehe dabei nicht ums Sparen, sondern „um Gerechtigkeit“. Zudem funktioniere die deutsche Infrastruktur „in vielen Bereichen nicht mehr“ – ein Problem, das nicht klar benannt werde. Dazu komme: „Wir haben mittlerweile 50 Prozent der Verwaltungsrichter ausschließlich mit Asylverfahren beschäftigt. Das kann auf Dauer nicht gut gehen.“
Schirach fordert weitreichende Reformen der Demokratie. Der Bundeskanzler solle für sieben Jahre gewählt werden und danach nicht erneut antreten dürfen. Alle Landtage sollten gleichzeitig für dreieinhalb Jahre gewählt werden. Außerdem plädiert er für sogenannte „Kanzlergesetze“: Der Regierungschef soll während seiner Amtszeit drei Gesetze ohne das Parlament verabschieden dürfen, die zuvor durch das Bundesverfassungsgericht geprüft würden. Nach drei Jahren soll das Parlament die Möglichkeit haben, diese Gesetze wieder abzuschaffen. Nur so könnten „schwierige Sachen wie die Rentenreform, eine Reform des Arbeitsmarktes, eine Reform der Steuern“ gelingen. In den heutigen Koalitionskonstellationen gehe das „schief“.
„Es ist vielleicht eine Definition von Dummheit, immer wieder das Gleiche zu machen und jedes Mal ein anderes Ergebnis zu erwarten. Wenn wir uns nicht zusammenreißen und sagen, wir erneuern das System, wird’s nix“, sagt Schirach.
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