Es war das große Ereignis am Samstagabend im russischen Staatsfernsehen. Waleri Gerassimow, der Chef des Generalstabs der russischen Armee, berichtete Präsident Wladimir Putin über den großen Sieg in der Oblast Kursk. Die Ukraine habe eine empfindliche Niederlage erhalten, versicherte Gerassimow seinem obersten Dienstherren in einer Videoübertragung. Gleichzeitig lobte der General erstmals offiziell den Einsatz der nordkoreanischen Volksarmee. „Die Soldaten und Offiziere, die Seite an Seite mit den russischen Soldaten bei der Abwehr der ukrainischen Invasion kämpften, zeigten hohe Professionalität, Standhaftigkeit, Mut und Tapferkeit.“

Die US-Regierung, die auf ein Ende des Ukraine-Kriegs dringt, forderte zwar umgehend den Stopp des Militäreinsatz Pjöngjangs. Aber dies dürfte im Kreml wenig Gehör finden. Putin bedankte sich persönlich für den Einsatz der „koreanischen Freunde“, sie hätten „aus einem Gefühl der Solidarität, Gerechtigkeit und echter Kameradschaft gehandelt“.

Die Erfolgsmeldung aus Moskau wurde bereits einen Tag danach infrage gestellt. Denn die staatliche Nachrichtenagentur RIA meldete anhaltende Gefechte zwischen ukrainischen und russischen Truppen in Kursk. Prorussische Militärblogger bezichtigten Stabschef Gerassimow einer Lüge und berichteten ebenfalls von weiteren Kämpfen.

Auch die Ukraine dementierte den vollständigen Verlust der russischen Gebiete in Kursk und sprachen von „Propagandatricks“. Die operative Lage sei zwar schwierig, hieß es in einem Statement der ukrainischen Militärführung auf Telegram, aber ihre Einheiten würden die Stellungen weiterhin halten.

Dies mag durchaus der Wahrheit entsprechen, allerdings ist das von der Ukraine kontrollierte Gebiet in Kursk mittlerweile nur mehr ein Bruchteil des Territoriums, das sie im August erobert hatte. Damals konnten die ukrainischen Streitkräfte über 1000 Quadratkilometer innerhalb von nur vier Tagen ihrer Überraschungsoffensive einnehmen. Heute ist das Gebiet auf einige wenige Quadratkilometer geschrumpft. Aber auch die dürften in den nächsten Tagen und Wochen aller Wahrscheinlichkeit nach verloren gehen.

Trotzdem ist dies für den Kreml kein Grund zum Feiern. Präsident Putin hatte seinen Soldaten im vergangenen Jahr eine Frist von vier Wochen gesetzt und die dann um zwei Monate verlängert, um das russische Staatsgebiet zurückzuerobern. Am Ende dauerte es acht Monate, bis die ukrainischen Streitkräfte entscheidend zurückgedrängt werden konnten – und dies nur mithilfe nordkoreanischer Truppen.

Diktator Kim Jong-un hatte 11.000 Soldaten zur Unterstützung Russlands geschickt und dann noch einmal 3000, um die Verluste auszugleichen. Pjöngjang ist seit Kriegsbeginn ein entscheidender Verbündeter Moskaus. Recherchen der Nachrichtenagentur Reuters zufolge verschießen russische Artillerieeinheiten mittlerweile fast ausschließlich Munition aus Nordkorea.

Zwischen September 2023 und März 2025 haben vier unter russischer Flagge fahrende Schiffe 64 Fahrten unternommen und dabei fast 16.000 Container mit bis zu sechs Millionen Granaten von Nordkorea in russische Häfen transportiert.

Pjöngjang liefert ebenfalls Artilleriegeschütze sowie Langstreckenraketen für die tödlichen Luftschläge auf ukrainische Dörfer und Städte. Ohne die Unterstützung der kommunistischen Diktatur hätte Russland längst die Intensität seines Angriffskriegs in der Ukraine signifikant herunterschrauben müssen.

Der Alptraum von ukrainischen Soldaten auf dem Boden der Russischen Föderation ist für den Kreml aber noch lange nicht zu Ende. Die Ukraine ist im März mehrere Kilometer in die russische Oblast Belgorod eingedrungen und hält dort ebenfalls Gebiete besetzt.

Damit sollen in erster Linie russische Truppen gebunden werden, um deren Einsatz anderswo an der Front zu verhindern. In Kursk waren dies im Januar ukrainischen Angaben gemäß zwischen 62.000 und 73.000 Soldaten, die Moskau dort stationiert hatte.

Die russische Armee ist in den vergangenen Tagen weder in der Region Kursk, noch in Belgorod weiter vorgedrungen, berichtet die US-Denkfabrik Institute for the Study of War (ISW) in ihrem neusten Bericht. Auch sonst läuft es für Moskau derzeit nicht besonders. Vor über einem Jahr war Russland in die Offensive gegangen und hatte Stück für Stück insgesamt 4772 Quadratkilometer in der Ukraine besetzt.

Es waren unaufhörliche, kleinere Angriffe, mit Gebietsgewinnen von ein, zwei Kilometern, ohne Aussicht auf einen strategischen Durchbruch. Aber das Momentum ist in den letzten drei Monaten abgeflaut. Die Gebietsgewinne haben sich deutlich reduziert.

Die russische Armee scheint nach ihrer Daueroffensive erschöpft zu sein. „Ihr gehen die Fahrzeuge aus und sie verschleißt ihre Soldaten, ohne wirklich Erfolge vorweisen zu können“, erklärt Phillips P. O‘Brien, Professor für strategische Studien an der schottischen Universität von St. Andrews. „Dabei sind die russischen Verluste extrem hoch.“

Schätzungen zufolge verliert Russland an im schlimmsten Fall bis zu 2000 Soldaten an einem Tag. Die Reduzierung der Truppenstärke würde erklären, warum immer wieder Soldaten auf Krücken und selbst im Rollstuhl auf das Schlachtfeld geschickt werden.

Russische Sturmeinheiten nutzen zudem vermehrt zivile Pkw statt gepanzerte Militärfahrzeuge sowie Motorräder. Deren Einsatz soll ausgeweitet und „systematisch in die Offensivoperationen im Sommer und Herbst 2025 eingebunden werden“, schreibt das ISW. Das russische Verteidigungsministerium veröffentlichte jüngst Filmmaterial, in dem Einheiten auf einem Übungsplatz zu sehen sind, die offensive und defensive Taktiken auf Motorrädern üben.

„Die Wahrheit ist, dass das russische Militär in einem Sumpf feststeckt“, schreibt O'Brien in seinem aktuellen Newsletter. Er glaubt, Russland habe einen Waffenstillstand wohl genauso nötig, wenn nicht sogar nötiger als die Ukraine. Die USA haben im Rahmen ihrer Friedensinitiative einen bedingungslosen Waffenstillstand gefordert, zudem bisher nur Kiew bereit ist.

Russland hat am Montag überraschend eine kurzfristige Waffenruhe vom 8. bis 11. Mai angekündigt, scheinbar aus Anlass des Jahrestags des Sieges im 2. Weltkrieg über Nazi-Deutschland. Ob sich Moskau tatsächlich daran hält, weiß man nicht.

Für die Osterfeiertage hatte der Kreml ebenfalls eine Waffenpause ausgerufen, aber den Krieg trotzdem bedingungslos weitergeführt. „Wir sehen hier keine siegreichen russischen Streitkräfte in Aktion“, meint Historiker O'Brien. „Wir sehen eine Streitmacht, die vor unseren Augen zerfällt.“

Dabei hat Russland die Rüstungsindustrie hochgefahren. Rund 130 Panzer sollen jeden Monat vom Fließband rollen, wovon die meisten allerdings recycelte Modelle aus der Sowjetzeit sind. Aber der Nachschub aus den Depots vergangener Zeiten wird immer knapper, wie Satellitenbilder zeigen.

Viele der Vorräte sollen größtenteils bereits geplündert sein. Dies würde sich mit den Einschätzungen von Militärexperten decken, die erste russische Ressourcenmängel für die zweite Hälfte 2025 prognostizierten.

US-Präsident Donald Trump hatte behautet, Kiew habe „keine Karten“ gegen ein übermächtiges Russland. Deshalb müsse sein ukrainischer Amtskollege Wolodymyr Selenskyj ungünstige Bedingungen für ein Friedensabkommen akzeptieren.

„Dabei ist die Lage der Ukraine bei weitem nicht so schlecht, dass sie solche Zugeständnisse machen müsste, vor allem, wenn Russland zu keinen wirklichen Zugeständnissen bereit ist“, sagte Jakub Janovsky der ukrainischen Medienplattform „Kyiv Post“. Janovsky ist ein in Prag ansässiger Militäranalyst des Open-Source-Projekts Oryx, das die Verluste ukrainischer und russischer Ausrüstung akribisch auflistet.

Außerdem sei es keine „praktikable Strategie“, in einem so riesigen Land wie der Ukraine einen Kilometer nach dem anderen „voranzuschleichen“, so Janovsky. Neue potenzielle Gewinne Russlands hängen seiner Meinung nach von den Ressourcen ab, die Moskau in Zukunft bereitstellen kann – angesichts der Realität einer „erheblich schrumpfenden“ Ausrüstung in den von der Sowjetunion geerbten Waffendepots.

Alfred Hackensberger hat seit 2009 aus mehr als einem Dutzend Kriegs- und Krisengebieten im Auftrag von WELT berichtet. Vorwiegend aus den Ländern des Nahen- und Mittleren Osten, wie Libyen, Syrien, dem Irak und Afghanistan, zuletzt aber auch aus Bergkarabach und der Ukraine. Hier finden Sie alle seine Artikel.

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