Um 14.17 Uhr eröffnete der Vorsitzende am Dienstag die Abstimmung HR4405 mit einem Hammerschlag. Nur 26 Minuten später stand das Ergebnis fest. Mit 427 Stimmen und einer Gegenstimme nahm das US-Repräsentantenhaus die Gesetzesvorlage an, die dem Justizministerium vorliegenden Akten über den Sexualstraftäter Jeffrey Epstein offenzulegen.
Keine drei Stunden später segnete auch der US-Senat das Gesetz ab, einstimmig. Nun muss US-Präsident Donald Trump es noch unterschreiben und damit erlauben, dass Ermittlungsmaterial zum jahrzehntelangen Missbrauch an mehr als tausend Mädchen und jungen Frauen öffentlich zugänglich wird – und damit auch berühmte Namen von Royals, Politikern, Diplomaten und Wirtschaftsvertretern.
Trump zeigte am Dienstagabend kein großes Interesse an dieser Entwicklung. „Mir ist es egal, ob der Senat das Gesetz heute Abend oder später annimmt. Was ich will, ist, dass sich die Republikaner auf all unsere großen Siege konzentrieren“, erklärte der US-Präsident in einer ersten Reaktion auf das historische Votum im US-Kongress.
Eine Reaktion, die Opfer wie Haley Robson in ihrer Skepsis bestätigen, ob diese Regierung ernsthaftes Interesse an der Aufklärung der Verbrechen hat. Robson hat feuchte Hände, als sie um kurz vor 15 Uhr die Zuschauertribüne des Repräsentantenhauses verlässt. Gemeinsam mit anderen Frauen, die Epsteins Missbrauch erleiden mussten, hat sie das Votum verfolgt. Ein lauter Jubelschrei, als der Sprecher des Repräsentantenhauses das Ergebnis verkündete, dann brandete Applaus der Abgeordneten auf.
„Wir haben noch viel Arbeit vor uns“
„Es fühlt sich unwirklich an. Zu sehen, dass das Versprechen endlich erfüllt wird“, sagte Robson mit bebender Stimme. Immer wieder wischte sie sich Tränen aus den Augen. 17 Jahre habe es gedauert, bis sie den Mut fand, über Epsteins Vergehen an ihr zu sprechen. „17 Jahre Schweigen. Das ist eine lange Zeit für ein Kind, solche Schmerzen auszuhalten.“ Robson war 16 Jahre alt, als sie zu einer lukrativen „Massage“ in einer Villa in West Palm Beach eingeladen wurde. Zwei Jahre lang war Robson Teil eines riesigen Netzwerks, das Epstein und dessen Partnerin Ghislaine Maxwell aufgebaut hatten.
„Es war ein sehr bewegender Moment, als sich alle Abgeordneten (nach dem Votum, d. Red.) zu uns umdrehten. Zum ersten Mal wurden wir wahrgenommen. Aber wir haben noch viel Arbeit vor uns, und dies ist erst der Anfang“, sagte Robson. Die 39-Jährige fügte hinzu, sie sei skeptisch, welche „Agenda“ hinter der Wende im Weißen Haus stecke. „Ich habe das Gefühl, dass Trump mit seiner Regierung hin und her schwankt und dann plötzlich in letzter Minute sagt, dass er uns unterstützt. Das verstehe ich einfach nicht. Ich habe kein Vertrauen. Ich glaube Donald Trump nicht.“
Das bittere politische Tauziehen um die Freigabe der Dokumente begann im vergangenen Juli. Nachdem Trump im Wahlkampf versprochen hatte, die Akten zugänglich zu machen, sorgte seine Justizministerin im Sommer für massiven Protest, vor allem in der MAGA-Bewegung. Pam Bondi hatte erklärt, dass es keine Liste der „Kunden“ von Epstein gebe, sie keine weiteren Akten öffentlich machen werde und Epstein im Sommer 2019 in New Yorker Untersuchungshaft nachweislich Suizid begangen habe. Eine Basta-Ansage.
In der Folge bildete sich eine ungewöhnliche Koalition aus Demokraten und Republikanern im US-Kongress, die die Herausgabe gesetzlich erzwingen wollten. Während der Trump-Getreue Mike Johnson seine Macht als Sprecher des Repräsentantenhauses nutzte, um den Gesetzesprozess zu blockieren, schloss sich die einstige MAGA-Ikone und nunmehr Trump-Feindin Marjorie Taylor Greene dem Gegenlager an. Greene und andere prominente Republikanerinnen traten öffentlich mit Epstein-Opfern auf und übten massiv Druck auf Trump aus.
Diese Koalition und deren Rückhalt in der eigenen Basis hat Trump unterschätzt. Einer Umfrage der Nachrichtenagentur Reuters und des Instituts Ipsos vom Montag zufolge befürworten nur 44 Prozent der Republikaner Trumps Umgang mit der Angelegenheit. Kurz vor dem Votum im US-Kongress forderte er zwar in einer Kehrtwende am vergangenen Wochenende, die Republikaner sollten dem Gesetz zustimmen. Trotzdem bestand der US-Präsident auch am Dienstag weiter darauf, dass die Epstein-Affäre eine „Erfindung“ der Demokraten sei.
Offenlegung von 100.000 Aktenseiten
Es ist nicht abzusehen, was der Offenlegung der Dokumente folgen wird, die dem Justizministerium zufolge mehr als 100.000 Aktenseiten umfassen. Wahrscheinlich werden auch prominente Namen auftauchen. Larry Summers, Finanzminister unter dem früheren demokratischen Präsidenten Bill Clinton, kündigte am Dienstag seinen Rückzug aus dem öffentlichen Leben an. Er steht genauso in den Akten wie der ehemalige britische Minister Peter Mandelson und Andrew Mountbatten Windsor, Bruder des britischen Königs Charles III.
Haley Robson fürchtet die Offenlegung nicht. „Ich habe vor nichts Angst. Die Leute, die wissen, dass sie in diesen Akten stehen und bald nicht mehr anonym sein werden, sollten mindestens Angst vor der Blamage haben. Und vor der Schande, die sie nun ertragen müssen – denn diese Schande war nie unsere“, sagte sie, unter lauter Zustimmung anderer Opfer, die neben ihr standen.
Bevor Robson das US-Kapitol verließ, rief sie: „Fünf Regierungen haben wir hinter uns, und alle fünf sind schuld. Sie alle müssen Rechenschaft ablegen und Verantwortung dafür übernehmen, dass sie uns im Stich gelassen haben.“
Stefanie Bolzen berichtet für WELT seit 2023 als US-Korrespondentin aus Washington, D.C. Zuvor war sie Korrespondentin in London und Brüssel.
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