Er meldet sich jetzt wieder häufiger zu Wort. Ein großes Interview, ein Bürgergespräch am Rande Berlins, und ein Buch soll folgen. Olaf Scholz (SPD), von 2021 bis 2025 Bundeskanzler, hat seine sich selbst auferlegte Zurückhaltung ein halbes Jahr nach dem Ende seiner Amtszeit aufgegeben und will sich nun wieder häufiger öffentlich äußern – zu den „wirklich großen Fragen, die uns alle bewegen“, wie er es gerade in der „Zeit“ beschrieben hat. Ob dieser Termin im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern dazu zählt?

Kurz nach zehn an diesem Freitagvormittag betritt Scholz den Demmler-Saal des Schweriner Schlosses, in dem sich zuvor jene Abgeordneten samt Mitarbeitern versammelt haben, die den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) „Klimastiftung Mecklenburg-Vorpommern“ bilden. Der befasst sich seit mehr als drei Jahren mit einer jedenfalls aus Sicht des Landes Mecklenburg-Vorpommern tatsächlich großen Frage: Wie konnte es passieren, dass die hiesige Landesregierung ein derart großes Interesse am Bau einer zweiten Ostsee-Gas-Pipeline zwischen Russland und Deutschland entwickelte, dass sie zu diesem Zweck eine Schein-Stiftung gründete? Was eigentlich ein Mittel aus dem Graubereich halblegaler Steuervermeidung ist.

Scholz kann zur Beantwortung dieser Frage nur sehr bedingt beitragen. Sein entscheidender, in der dreistündigen Befragung in Varianten wiederholter Satz dazu: „Am Ende ist das eine Angelegenheit der Landesregierung gewesen und kein Projekt der Bundesregierung.“ Die Mitteilung von Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD), dass sie die „Stiftung Klima- und Umweltschutz Mecklenburg-Vorpommern“ ins Leben rufen werde, um den Bau der umstrittenen Gaspipeline Nord Stream 2 auch gegen mögliche Sanktionsdrohungen aus den USA zu vollenden, habe er Anfang 2021 „zur Kenntnis“ genommen. Damit legt Scholz von Beginn an ausreichend Distanz zwischen sich und den Untersuchungsgegenstand.

Ohnehin ist auffällig, dass der Altkanzler Wert darauf legt, dass es nicht an ihm gelegen habe, dass Deutschland sich und seine Energieversorgung in der Vergangenheit derart abhängig gemacht habe von russischen Gaslieferungen. Er habe „nie verstanden“, so der Kanzler gleich zum Auftakt seiner Befragung, warum Deutschland anders als andere Länder keine LNG-Infrastruktur aufgebaut habe.

Schon als Hamburger Bürgermeister habe er darauf gedrungen, auf diesem Wege eine alternative Energieversorgungsinfrastruktur zu schaffen. „Ich war seit sehr, sehr langer Zeit der Überzeugung, dass Deutschland LNG-Terminals braucht“, betont Scholz, verzichtet aber darauf, genauer auszuführen, warum er sich mit dieser Haltung mindestens genauso lange Zeit nicht hat durchsetzen können. Nicht in seiner Partei, in der viele in der Abhängigkeit von Russland kein Problem sahen. Und auch nicht gegenüber den Grünen, die die LNG-Terminals aus ökologisch-ideologischen Gründen so lange ablehnten, bis Robert Habeck, der grüne Wirtschaftsminister, sie dann als Reaktion auf den Angriff Russlands auf die Ukraine, holterdiepolter, doch errichten lassen musste.

Jahreswende 2020: Die zweite Ostseepipeline zwischen Russland und Deutschland ist fast fertig, doch die erste Trump-Regierung und der US-Kongress üben seit Monaten harten Druck auf Deutschland und die an dem Bau der Pipeline beteiligten Unternehmen aus, das Projekt zu beenden. Die Landesregierung in Schwerin, auch die Bundesregierung samt deren damaligem Vizekanzler und Finanzminister Scholz, suchen nach einem Ausweg aus dieser diplomatischen Krise.

Scholz, das bestätigt der damalige Bundesfinanzminister bei seiner Zeugenaussage in Schwerin erstmals persönlich, machte der Regierung Trump in einem Brief an seinen US-Kollegen Steven Mnuchin den Vorschlag, eigens für den Import von US-Flüssiggas milliardenschwere LNG-Anlagen in Deutschland zu bauen. Ein „Deal“, der es ermöglichen würde, auch US-Gas nach Deutschland zu verkaufen.

Im Gegenzug sollten die USA ihren Widerstand gegen Nord Stream 2 aufgeben. Mnuchin ging auf diesen Vorschlag nicht ein, was Scholz bis heute bedauert. „Es wäre besser gewesen, dass die Antwort auf meinen Brief positiv gewesen wäre“, findet der Altkanzler.

Auf die Frage des AfD-Abgeordneten antwortet Scholz: „Nö“

Gemessen an früheren Auftritten in Untersuchungsausschüssen – Stichwort Cum-Ex – weicht Scholz den Fragen der Abgeordneten in Schwerin eher selten mit Verweisen auf Gedächtnislücken aus. Stattdessen verweist er bei Detailfragen zur Klimastiftung wiederholt auf die Zuständigkeit des Bundeslandes.

Auf die Frage des AfD-Abgeordneten Michael Meister, ob Scholz denn wisse, woher die Idee zur Gründung der Klimastiftung stamme, antwortet der Altkanzler kurz und norddeutsch: „Nö“. Auf die Frage des Grünen-Ausschussmitglieds Hannes Damm auf mögliche Kontakte zu der zum russischen Gazprom-Konzern gehörenden Nord Stream 2 AG, antwortet Scholz: „Ich kenne Bundeskanzler Gerhard Schröder.“

Wenn es ums große Ganze geht, zeigt sich der 67-Jährige weniger kurz angebunden. Zum Beispiel schildert Scholz recht ausführlich, wie er sich nach seinem Amtsantritt als Kanzler „große Sorgen“ gemacht habe, dass Russland nach einem möglichen Start von Nord Stream 2 den Betrieb der durch die Ukraine führenden Gasleitungen einstelle. „Das durfte nicht die Konsequenz der Eröffnung von Nord Stream 2 sein“, so der Kanzler. Die Bundesregierung habe deshalb einen hochrangigen Diplomaten beauftragt, die Verlängerung der Verträge über den Betrieb der Ukraine-Pipelines sicherzustellen. Dies sei dann auch geschehen.

In Mecklenburg-Vorpommern schlug Regierungschefin Schwesig in dieser Zeit einen anderen Weg ein. Sie griff zu Beginn des Jahres 2021 eine Idee auf, deren Urheberschaft bis heute nicht so richtig geklärt ist. Die Ministerpräsidentin wollte eine Klimastiftung gründen, die offiziell dem Naturschutz gewidmet war, die im Grunde aber vor allem einen Zweck hatte: Sie sollte dafür sorgen, dass die Nord-Stream-2-Leitung auch gegen den ungebrochenen Widerstand der Amerikaner zu Ende gebaut und in Betrieb genommen werden kann. Als Landesstiftung wäre sie anders als Privatunternehmen und Geschäftsleute vor Sanktionen der USA geschützt. Das nötige Stiftungskapital brachten im Verhältnis 100:1, also 20 Millionen zu 20.000 Euro, die Nord-Stream-2-AG und die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns ein.

Scholz äußert sich im Schweriner Schloss nicht zu der Frage, was er von diesem bemerkenswerten Konstrukt gehalten habe. Auf Nachfragen der Abgeordneten zieht er sich entweder auf die Begrenzung seiner Aussagegenehmigung durch das Bundeskanzleramt zurück; diese verpflichtet frühere Kabinettsmitglieder, nicht über interne Beratungen früherer Regierungen zu berichten. Oder Scholz wiederholt sich ein ums andere Mal, indem er betont, wie „klug“ es gewesen sei, dass die Bundesregierung die Stiftung als Landesangelegenheit betrachtet habe.

Klar, auch darauf legt Scholz sehr viel Wert, sei allerdings gewesen, „dass es im Fall eines Angriffs Russlands auf die Ukraine nicht weitergehen kann mit Nord Stream 2“. Andersherum habe er aber auch keinen Zweifel daran, „dass die Pipeline eröffnet worden wäre, wenn Russland den Krieg nicht begonnen hätte.“

Scholz ist der drittletzte Zeuge, den der Untersuchungsausschuss vernehmen wollte. In den kommenden beiden Wochen sollen mit Landesinnenminister Christian Pegel (SPD) und Ministerpräsidentin Schwesig noch die Landespolitiker verhört werden, die sich lange Zeit am intensivsten für die Gründung der Klimastiftung und den Bau von Nord Stream 2 eingesetzt hatten. Schwesig hat mittlerweile eingestanden, dass dieses Engagement ein Fehler gewesen sei.

Ulrich Exner ist politischer WELT-Korrespondent und berichtet vor allem aus den norddeutschen Bundesländern.

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