Die Verhandlungen über den neuen Friedensplan für die Ukraine sind derzeit auch in Russland ein Top-Thema. Während im Westen betont wird, dass der 28-Punkte-Plan einer Wunschliste des Kremls nahekommt, beurteilen Akteure in Russland die Lage lange nicht so eindeutig. Eine klare Vorgabe, den Plan zu verteufeln, gibt es nicht. Aber das bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass man ihn gutheißen muss.

Die Staatsmedien folgen dem erprobten Muster der letzten Monate: Das Problem sind nicht die Amerikaner, sondern die Europäer und die Ukrainer. In den Abendnachrichten am Sonntag und der Morgensendung am Montag sendet ein Auftritt Wladimir Putins die zentrale Botschaft.

Der Kremlchef nehme an, Trumps Plan „könnte zur Grundlage einer abschließenden Friedensregelung“ werden, heißt es. Der 28-Punkte-Plan ist laut Putin eine angepasste Fassung des Plans, der beim bilateralen Gipfel in Alaska abgestimmt wurde.

Russland sei „bereit für Friedensgespräche, für die Lösung von Problemen auf friedlichem Wege“. Man sei bereit, „flexibel“ zu sein, aber ohne alle Details zu besprechen sei das unmöglich, betonte Putin. Ukraine und Europa teilten noch immer die „Illusion“, Russland eine „strategische Niederlage“ zufügen zu können.

Die Realität sehe aber anders aus: Russland werde weiter vorrücken, vielleicht nicht so schnell, wie gewünscht, aber „insgesamt ist das für uns akzeptabel“, so der russische Präsident. Was in Kupjansk geschehen sei, werde sich „unweigerlich“ wiederholen.

Am Tag zuvor hatte Putin in Militäruniform einen Kommandoposten der Gruppe „West“ besucht und sich von Generalstabschef Waleri Gerassimow berichten lassen, dass die russische Armee die strategisch wichtige Stadt in der Region Charkiw eingenommen habe.

Frieden ist für Putin keine Notwendigkeit, nur eine Option

Es geht also darum, das Land und seinen Oberbefehlshaber ins beste Licht zu rücken. Das Problem ist demnach nicht, dass Russland in der Ukraine einmarschiert ist, sondern die Ukraine selbst. Das Staatsfernsehen betitelt die Nachrichtensegmente mit „Europa fordert Blut“ und „Provokationen europäischer Falken“. Zugleich will Putin zeigen: Der Friedensschluss ist für ihn keine Notwendigkeit, nur eine Option.

Ob Moskau überhaupt an dem Plan in ursprünglicher Form oder in der mit Europäern und Ukrainern verhandelten Fassung interessiert wäre, ist also noch völlig offen. Dazu gibt es aus Kreml-Sicht mehrere Gründe. Im März 2022 hatte Russland eine Reduktion der ukrainischen Streitkräfte auf 50.000 Mann gefordert und harte Obergrenzen für Waffensysteme wie Panzer oder Helikopter.

Nun soll man dem Entwurf nach mit einer mehr als zehnmal so großen ukrainischen Armee ohne jede Auflagen für Waffensysteme einverstanden sein. Das ist schwer vorstellbar. Auch die faktische Enteignung russischen Auslandsvermögens zugunsten des Wiederaufbaues der Ukraine klingt aus russischer Sicht nicht gerade attraktiv, käme das doch faktisch Reparationen gleich.

Die angeblichen Sicherheitsgarantien der Amerikaner, die dem Artikel fünf der Nato-Charta nachempfunden sein sollen, könnte Moskau als eine faktische, wenn auch nicht formale Nato-Mitgliedschaft werten. Selbst in der ursprünglich an US-Medien geleakten Fassung wäre der Plan ein Maximum dessen, was für Putin theoretisch zustimmungsfähig wäre.

Ließe er sich jetzt, nach dieser „Megafon-Diplomatie“, wie sein Außenminister Sergej Lawrow das Vorgehen der Amerikaner nennt, von besseren Bedingungen für die Ukrainer überzeugen, wäre das ein Zeichen von Schwäche. Putin sieht sich aber immer noch auf der Gewinnerseite, wenn nötig, mit militärischen Mitteln.

Während die offiziellen russischen Falken wie Dmitri Medwedjew und Außenministeriums-Sprecherin Maria Sacharowa auffällig schweigen, sind die „Kriegsblogger“ umso lauter. Gemeint ist jene meist vom Kreml tolerierte Gruppe, die den Krieg teilweise im Auftrag von Staatsmedien begleitet. Der Konflikt werde nicht eingefroren, schrieb der kremlnahe russische Militärjournalist Alexander Kots bei Telegram an seine mehr als 500.000 Follower, man werde „weiterkämpfen“ statt mit einer „kriminellen Vereinigung“ zu verhandeln – gemeint sind die Ukrainer. So wertet er Putins Aussagen der vergangenen Tage.

Der Schriftsteller und nationalistische Hardliner Sachar Prilepin schrieb, „die Ukraine sei mit nichts einverstanden“. Er wünschte „ihnen allen“ – also den Ukrainern wie dem Westen – die „Pest“ an den Hals. Und weiter: „Den Frieden und neue Territorien wird Russland nur der russische Soldat bringen“. Boris Kortschewnikow, Chef des russisch-orthodoxen Propagandasenders „Spas“, sprach vom „Stuss der ‚Friedenspläne‘“, die billig, schändlich und verräterisch seien.

„Der ‚Frieden‘, den sie brauchen, ist die Niederlage Russlands, die Grundlage einer endlosen künftigen Schwäche Russlands, von Instabilität, Schande, Zerfall unseres Landes“. Zugleich warnte er von einem „künftigen Krieg“, der „schrecklicher“ sein werde als der jetzige.

Pavel Lokshin ist Russland-Korrespondent. Im Auftrag von WELT berichtet er seit 2017 über Russland, die Ukraine und den postsowjetischen Raum.

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