MDR AKTUELL: Es gibt ja gerade eine große Debatte um die Renten und einen großen – man möchte fast sagen – Streit zwischen CDU und SPD. Die CDU musste jetzt einige Zugeständnisse machen. Und die SPD beharrt auf ihrer Haltelinie. Ist so eine Haltelinie Ihrer Meinung nach sinnvoll?

Joachim Ragnitz: Es geht um diese Stabilisierung des Rentenniveaus bei 48 Prozent der durchschnittlichen Löhne. Das steht im Koalitionsvertrag drin, deshalb gibt es da bis 2031 erstmal keinen Streit. Den Streit, den wir derzeit haben, ist eher der, wie es danach weitergeht. Soll das Rentenniveau dann irgendwie abgesenkt werden, in welchem Tempo und so weiter. Die Rentenversicherung steht vor gewaltigen Problemen, vor allem in den 30er-Jahren, weil die geburtenstarken Jahrgänge in die Rente wechseln und die nachwachsenden Kohorten einfach zu schwach besetzt sind. Da entstehen Finanzierungslasten und diese Finanzierungslasten muss man irgendwie bewältigen.

Aus meiner Sicht wäre es gerecht, sie aufzuteilen zwischen der Rentnergeneration auf der einen Seite und den Erwerbsfähigen auf der anderen Seite. Also irgendwie da einen Kompromiss zu finden, was bedeuten würde, dass man dann halt das Rentenniveau etwas absenken würde – wohlgemerkt das Rentenniveau, nicht die Renten – die Beitragssätze sicherlich dann etwas erhöhen würde, aber diese Lasten halt irgendwie aufzuteilen. Das ist allerdings zumindest mit der SPD so nicht zu machen: Die wollen das Rentenniveau stabilisieren, Linke und Grüne wollen es sogar noch steigern.

Die Junge Union kritisiert die Festschreibung als nicht generationsgerecht. Teilen Sie diese Einstellung?

So wie es jetzt geplant ist, ist es nicht generationengerecht, weil da die Lasten alle ausschließlich bei der jungen Generation landen. Und das führt dann möglicherweise dazu, dass die sich entweder entziehen, indem sie halt weniger arbeiten, oder das halt überhaupt Leistungsanreize verloren gehen und letzten Endes dann halt das Wachstum insgesamt geschwächt wird.

Und dann haben wir eigentlich das Problem, weil 48 Prozent von relativ viel Geld ist schön – 47 Prozent von noch mehr Durchschnittseinkommen ist aber noch schöner. Da hat man eigentlich mehr davon und das geht völlig aus dem aus dem Augenmerk, dass wir mit diesen Entscheidungen über das Rentenniveau auch Entscheidungen über die Beitragssätze treffen und die Beitragssätze letzten Endes auch mitentscheidend sind für das Wachstumspotenzial, was wir in Deutschland haben.

Welche finanziellen Risiken entstehen durch diese Haltelinie und vor allem, was entsteht dann über die geplante Verlängerung hinaus?

Diese Stabilisierung bei 48 Prozent, die ist gegessen. Bis 2031 bleibt das so. Der Streit kommt dann eben danach: Wird es ab 2031 von dieser 48 Prozent-Haltelinie allmählich abgeschmolzen – das ist, was die SPD vorhat – oder springt man dann automatisch runter auf das, was man sonst erreicht hätte, nämlich ungefähr 47 Prozent und schmilzt es dann ab. Und dieser eine Prozentpunkt, der hört sich ganz wenig an, macht aber ungefähr 12 Milliarden Euro pro Jahr aus und da kommt dann diese große Summe her, die jetzt immer von der jungen Gruppe der CDU in den Vordergrund gerückt wird, diese 120 Milliarden Euro zusätzliche Ausgaben bis Ende der 30er Jahre.

Was hat das konkret für Auswirkungen auf die Generationengerechtigkeit?

Für meine Begriffe ist es so, dass die Jungen so oder so schon belastet sind durch die Alterung, das kann man nicht mehr ändern. Jetzt wird aber noch was draufgesattelt, indem wir die Renten auf einem höheren Niveau stabilisieren und das müssen die Jüngeren dann bezahlen. Und dass viele Jüngere dann irgendwie sagen: Nein, das ist jetzt nicht mehr generationengerecht, das kann ich sehr gut nachvollziehen. Zumal ja die Älteren, eigentlich auch schuld sind daran, dass wir zu wenige Kinder geboren haben in der Vergangenheit. Und deswegen ist die jüngere Generation so schwach besetzt und deswegen halte ich es für gerecht, wenn man diese Lasten aufteilt, aber sie nicht einer einzelnen Gruppe, nämlich der jüngeren Gruppe, aufbürdet.

Zum Unterschied zwischen Ost und West: Was hat denn das für Auswirkungen auf die Renten in Ostdeutschland, wo ja die Löhne generell etwas geringer sind und die Renten auch?

Man muss ein bisschen achtgeben. Die Löhne sind niedriger, ja, aber das schlägt sich bislang nicht in den Renten nieder. Die Renten, also die geringeren Löhne in Ostdeutschland, sind immer aufgewertet worden. Man hat so getan, als ob es keinen Ost-West-Unterschied gäbe. Heißt, man hat da trotzdem relativ hohe Rentenansprüche draus generieren können.

Und hinzu kommt, dass die Beitragszeiten oder die angenommenen Beitragszeiten in Ostdeutschland einfach länger waren, weil gerade die Frauen viel früher ins Erwerbsleben eingetreten sind. Dann hat man gut und gerne da auch mal 45 Jahre gearbeitet. Das haben die Westfrauen eben nicht gemacht. Im Osten kommen halbwegs vernünftige Rentenansprüche erst mal aus aus den Einkommen und darüber hinaus aus den längeren Beitragszeiten zusammen. Wir haben dann das Phänomen, dass die Ansprüche aus der gesetzlichen Rente bei Frauen höher sind als das im Westen der Fall ist, wegen dieser Unterschiede in der Erwerbsbiographie.

Bei Männern ist der Unterschied eher so, dass Männer im Osten ein bisschen weniger bekommen als Männer im Westen. Aber im Großen und Ganzen sind diese Unterschiede eher minimal. Viel wichtiger erscheint mir, dass man berücksichtigen muss, dass Alterseinkünfte nicht nur aus Einkommen aus der gesetzlichen Rentenversicherung stammen, sondern auch aus anderen Quellen – sowas wie Betriebsrenten, Vermögen beispielsweise, Einnahmen aus Vermietung oder sonst was. Da ist es dann in der Tat so, dass der Osten ein bisschen stärker benachteiligt ist, weil Betriebsrenten gibt es nicht so oft und Vermögen sind auch viel geringer.

Da ist es so, dass wir bei Paarhaushalten ungefähr einen Einkommensunterschied bei den Älteren von 20 Prozent haben. Das ist ungefähr genauso viel wie bei den Löhnen auch. Da könnten wir drüber reden, dass das irgendwie ungerecht ist. Aber dann müsste man natürlich irgendwie anfangen, bei der Vermögenssituation anzufangen oder ähnlichem oder insgesamt Lohnsteigerungen zu haben, die höher sind, sodass da insgesamt auch mehr bei rumkommt. Das ist dann aber eine ganz andere Debatte.

Aber das ist ja spannend, wenn Sie das sagen. Führt die Debatte, die wir gerade führen, nicht eigentlich an Rentendiskussionen in Ostdeutschland vorbei?

Ja, ziemlich. Wir haben einen ausgeglichenen Rentenwert und wir haben diese Stabilisierung des Rentenniveaus bei 48 Prozent. Da sind ja die Ost- und Westdeutschen eben gleich betroffen. Davon trennen müsste man eigentlich eine Debatte über sonstige Einkünfte. Das hab ich gerade gesagt. Darüberhinaus aber auch eine Debatte über Leute, die tatsächlich sehr geringe Renten haben, weil sie unterbrochene Erwerbsbiographien haben, also arbeitslos geworden sind, irgendwann in der Vergangenheit oder im Niedriglohnsektor beschäftigt waren oder Ähnliches. Die haben tatsächlich ganz niedrige Rentenansprüche. Aber im Osten genauso wie im Westen.

Das ist also keine Ost-West-Debatte, sondern eine Debatte zwischen den verschiedenen sozioökonomischen Gruppen. Und da müsste man in der Tat irgendwie rangehen. Wenn man Altersarmut verhindern will, muss man diese Leute dann ganz gezielt unterstützen. Das kann man aber nicht erreichen, indem man den Rentenwert irgendwie höher setzt – weil da profitieren ja alle Renten davon, sowohl die Armen als auch die Reichen. Die Reichen haben es nicht nötig, die Armen hätten es nötig.

Was würden Sie sich von der Bundesregierung zum Thema Rente wünschen?

Wir wissen eigentlich seit 30 Jahren, dass die Rentenversicherung ab 2030 in Probleme reinläuft. Das wird aber – aus wahrscheinlich wahltaktischen Gründen – weder angesprochen noch wirklich ernst genommen. Das heißt, es gibt überhaupt keine richtigen Reformbemühungen, weil man Sorge um die Wählerstimmen hat. Die Renten sind eben wahlentscheidend und da erwarte ich eigentlich von der Bundesregierung, dass sie dann sagt: Na ja, wir haben hier ein Problem und wir suchen jetzt eine sachgerechte Lösung. Und sie sollten dann nicht versuchen, sich da mit ideologischen Vorstellungen raus zu mogeln.

Die Lösungsvorschläge liegen alle auf dem Tisch, da brauchen wir auch keine Kommission mehr. Jeder, der sich mit dem Thema auskennt weiß, was zu tun ist. Nur die Politik traut sich es nicht umzusetzen und diesen Mut, den vermisse ich bei der Politik.

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