Australien setzt am 10. Dezember um, was andere Staaten noch diskutieren: Jugendliche unter 16 Jahren sollen künftig weder TikTok noch Instagram, Facebook, Snapchat oder YouTube nutzen dürfen. Die Regierung verkauft das Gesetz als weltweit führenden Jugendschutz. Premierminister Anthony Albanese sagt, Social Media richte „sozialen Schaden“ an. Er wolle „Kinder Kinder sein lassen“.
Für die Plattformen läuft nun die Zeit. Bis zum Stichtag müssen sie Minderjährige unter 16 Jahren identifizieren und blockieren. Wer keine „angemessenen Schritte“ einleitet, riskiert Bußgelder von fast 50 Millionen australischer Dollar, umgerechnet fast 30 Millionen Euro. Meta begann bereits Ende November, Hunderttausende Nutzer zwischen 13 und 15 Jahren auf die bevorstehende Kontoschließung hinzuweisen.
Die größte praktische Hürde liegt in der Altersverifikation – eine Aufgabe, die vollständig bei den Plattformen bleibt. Die Regierung schreibt lediglich vor, dass ein Ausweis nicht die einzige Prüfmethode sein darf. Manche Dienste setzen daher auf ein Sammelsurium an Optionen: vom Abgleich mit einem australischen Bankkonto über die Kontrolle von Reisepass oder Führerschein bis hin zu Selfies, die mit einer Gesichtserkennungstechnologie ausgewertet werden.
Dabei tritt jedoch ein strukturelles Problem zutage: Australien verfügt weder über ein nationales Ausweissystem noch über staatliche Identitätsdokumente für unter 18-Jährige. Fachleute erwarten daher, dass vor allem Gesichtserkennung zum Einsatz kommt – ein Verfahren mit Fehlerquoten von drei bis fünf Prozent.
Der deutsche Digitalisierungsexperte Robert Gerlit, der die Einführung von Sydney aus beobachtet, sieht darin eine Quelle für „Verunsicherung“. Zwar befürworte eine breite Mehrheit das Gesetz. Doch Jugendliche und Eltern rätseln, wie zuverlässig die Altersprüfung funktionieren wird. In Onlineforen kursieren bereits Umgehungsstrategien per VPN – ein Vorgeschmack auf die Schwierigkeiten, alle Minderjährigen tatsächlich vom Zugang auszuschließen.
Medienwissenschaftler Terry Flew sagt, dass der Erfolg weniger von der Technik abhänge als von der Akzeptanz. „Einer der Gründe, warum viele junge Menschen auf Social-Media-Plattformen sind, ist, dass ihre Altersgenossen dort sind.“ Bricht dieser Netzwerkeffekt weg, könne die Nutzung rasch sinken.
Das Gesetz schaffe einen Rahmen, der insbesondere Eltern stärker in die Pflicht nehme, denen es bislang an der nötigen Erfahrung, Sensibilität oder Durchsetzungskraft fehlte, um ihre Kinder wirksam vor digitalen Risiken zu schützen, erklärt Flew. Das Verbot könne allein zwar nicht alle Schutzlücken schließen, aber „einen neuen verbindlichen Rahmen“ schaffen.
Doch aus der Forschung kommen auch deutliche Gegenstimmen. Catherine Page Jeffery von der Universität Sydney gehört zu den 140 Akademikern, die eine Petition gegen das Gesetz unterzeichnet haben. „Ein Verbot, das junge Menschen ausschließt, ist eine stumpfe Reaktion auf ein komplexeres Problem“, sagt sie.
Stattdessen brauche es sichere Räume auf den Plattformen. Sie warnt zudem vor unbeabsichtigten Folgen: Die klare Trennung von Online- und Offline-Welt existiere für Jugendliche nicht mehr. Ein Verbot könne sie dorthin treiben, „wo sie sich mit Gleichaltrigen in weniger regulierten Räumen verbinden – gewissermaßen in den Untergrund“.
Verfassungsrechtlich könnte das Gesetz noch wackeln. Die Digital Freedom Coalition hat – unterstützt von zwei Jugendlichen – eine Beschwerde eingereicht. Ihrer Ansicht nach greift das Verbot in das implizite Recht junger Menschen auf politische Kommunikation ein. Die Erfolgsaussichten sind offen.
Zwar könnte die Regierung mit Jugendschutz argumentieren, doch ein generelles Kommunikationsverbot für eine gesamte Altersgruppe stellt einen weitreichenden Eingriff dar – und dürfte zumindest teilweise vor Gericht nachjustiert werden müssen.
International findet der Verstoß bereits Nachahmer: Die EU prüft ein ähnliches Vorgehen, Handelskommissar Maros Sefcovic nannte das Gesetz jüngst einen „wegweisenden Ansatz“. Mehrere europäische Länder, darunter Dänemark, Norwegen, Frankreich und die Niederlande, prüfen eigene Vorschläge. Doch die Widerstände sind groß: Gerlit verweist etwa auf die politischen Gräben und die Marktmacht der Plattformbetreiber.
Wie Australiens Verbot am Ende bewertet wird, hängt auch davon ab, ob Studien später tatsächliche Verbesserungen in der psychischen und sozialen Gesundheit Jugendlicher zeigen. Sollte sich beides abzeichnen, werde es Kritikern deutlich schwerer fallen, ähnliche Maßnahmen zu verhindern, glaubt Gerlit. Denn dann müssten sie erklären, „warum europäische Kinder weniger Schutz verdienen als australische“.
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