Als sich Mitte November die Gründung der Bundeswehr zum 70. Mal jährte, gaben die beiden Parteivorsitzenden der AfD, Tino Chrupalla und Alice Weidel, eine gemeinsame Erklärung ab. „Die AfD-Fraktion steht fest an der Seite unserer Bundeswehr und wird weiter dafür kämpfen, dass sie die notwendigen Mittel erhält, um ihren Auftrag, Deutschland zu verteidigen, erfüllen kann“, heißt es darin. „Und wir setzen uns dafür ein, dass der Bundeswehr und unseren Soldaten der Respekt entgegengebracht wird, den sie verdienen.“

Chrupalla hat nun in seiner Funktion als Kreistagsmitglied in Görlitz für ein Werbeverbot für Bundeswehr und Rüstungsindustrie gestimmt. Am Mittwochnachmittag entschied der Kreistag im östlichsten Landkreis Deutschlands über einen Antrag des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) sowie der Freien Wähler Zittau mit dem Titel „Landkreis Görlitz – Landkreis des Friedens“. Gemeinsam mit den Stimmen der AfD-Fraktion, einem Mitglied der Linken sowie der rechtsextremen Gruppe Bündnis Oberlausitz/Freie Sachsen erhielt der Antrag eine Mehrheit.

Darin heißt es: „In den Gebäuden, Einrichtungen, Unternehmen und auf den Fahrzeugen des Landkreises sowie auf allen sonstigen Präsentationsflächen im Verantwortungsbereich des Landkreises wird auf Werbung für Militärdienst und Rüstungsprodukte verzichtet. Gleiches gilt für Veranstaltungen, die durch die Landkreisverwaltung oder landkreiseigene Unternehmen organisiert, durchgeführt oder unterstützt werden.“

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Werbung für den Militärdienst oder für Rüstungsprodukte stehe „im Widerspruch zu den Prinzipien einer auf Frieden und Verständigung ausgerichteten Politik“, heißt es in dem Beschluss weiter. „Öffentliche Einrichtungen dürfen nicht als Plattform für militärische Rekrutierung oder Rüstungsinteressen dienen.“ Damit werde „kein generelles Urteil über die individuellen Entscheidungen von Menschen gefällt, die sich für den Dienst in der Bundeswehr entscheiden“.

Der Kreistag hatte einen solchen Beschluss bereits Anfang Oktober gefällt. Der Landrat Stephan Meyer (CDU), selbst Reserve-Offizier, legte allerdings Widerspruch ein, daher wurde eine erneute Abstimmung notwendig. Bei der ersten Beschlussfassung war Chrupalla nicht anwesend, nun stimmte er nach WELT-Informationen selbst zu. Zwei AfD-Kreistagsmitglieder, die sich Anfang Oktober enthalten hatten, stimmten am Mittwoch wie die restliche Fraktion ebenfalls zu. Ein AfD-Kreistagsmitglied, der bei der ersten Abstimmung mit Nein gestimmt hatte, blieb der aktuellen Abstimmung fern.

Rüdiger Lucassen, verteidigungspolitischer Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, hatte nach der ersten Abstimmung im Oktober darauf verwiesen, dass erst im Dezember 2024 71,5 Prozent der Teilnehmer einer AfD-Mitgliederbefragung für eine Wiedereinsetzung der Wehrpflicht im Bundestagswahlprogramm gestimmt hatten. „Dieses eindeutige Votum verpflichtet jeden Mandatsträger unserer Partei, zum wohlfeilen Friedensgequatsche der linken Parteien Abstand zu halten“, sagte Lucassen damals. „Auch für Ostsachsen sind Beschlüsse der Bundespartei bindend.“

„Das ist Chrupalla-Land“

Chrupalla wollte sich auf WELT-Anfrage nicht zu seiner Zustimmung zu dem Antrag äußern. Sein Büro verwies auf eine Stellungnahme des Görlitzer AfD-Fraktionsvorsitzenden Hajo Exner, der zudem für die AfD im Sächsischen Landtag sitzt. „In der Ukraine, und damit in Europa, beherrscht der andauernde Krieg noch immer das Leben vieler Familien“, heißt es darin. „Deshalb stehen für die Fraktion der Alternative für Deutschland Deeskalation, Diplomatie und Frieden im Mittelpunkt. Eine Werbung für die Rüstungsindustrie ist daher ausgeschlossen.“

Die Befähigung der Bundeswehr zur Landes- und Bündnisverteidigung erreiche man durch Investitionen in deren Infrastruktur, „nicht durch steuerfinanzierte Plakate an Rathäusern“, so Exner weiter.

Nachdem im Bundestagswahlprogramm aus diesem Jahr die Reaktivierung der Wehrpflicht gefordert worden war, entschied die Führung der Bundestagsfraktion im Oktober, diese Forderung bis zu einer AfD-Regierungsbeteiligung und Beendigung des Ukraine-Kriegs nicht mehr zu erheben. Insbesondere Chrupalla wollte die Forderung zum aktuellen Zeitpunkt nicht stellen und hatte sich intern und öffentlich immer wieder kritisch dazu geäußert. „Keine Wehrpflicht für fremde Kriege“, hieß es zudem im September in einem gemeinsamen Statement der ostdeutschen AfD-Landtagsfraktions-Vorsitzenden um den Thüringer Björn Höcke.

Unter AfD-Verteidigungspolitikern, die für die Wehrpflicht eintreten, sorgt die Entscheidung, die bisherige Grundsatzposition abzuräumen, allerdings für Unmut. Viele von ihnen sind oder waren selbst Soldaten. Aus der Fraktion war keine aktuelle Stellungnahme zu Chrupallas Abstimmungsverhalten im Görlitzer Kreistag zu erhalten. Der Ökonom Max Otte, AfD-Kandidat bei der Wahl des Bundespräsidenten im Jahr 2022, nannte die Entscheidung in Görlitz auf dem Portal X eine „kleine Revolution“. „Das ist Chrupalla-Land“, schrieb er.

CDU-Landrat Meyer kündigte an, erneut Widerspruch einzulegen. Der Beschluss sei rechtswidrig, da Fragen der Verteidigung und Nachwuchswerbung ausschließlich in die Zuständigkeit des Bundes fielen. Die Rechtsaufsicht über die Landkreise wird über das weitere Vorgehen entscheiden. Bereits Ende Oktober war eine von Meyer einberufene Sondersitzung des Kreistags zu einer erneuten Abstimmung gescheitert, da die AfD-Fraktion der Sitzung vollständig fernblieb und vom BSW lediglich ein Mitglied erschien.

Politikredakteur Frederik Schindler berichtet für WELT über die AfD, Islamismus, Antisemitismus und Justiz-Themen. Zweiwöchentlich erscheint seine Kolumne „Gegenrede“.

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