Beate Zschäpe befindet sich im 15. Jahr ihrer Inhaftierung. Im kommenden Jahr wird ihr das Oberlandesgericht München, das sie im Juli 2018 wegen Mittäterschaft in zehn Morden und drei Sprengstoffanschlägen zu lebenslanger Haft verurteilt und dabei die „besondere Schwere der Schuld“ festgestellt hat, die Mindestverbüßungszeit mitteilen.
In der vergangenen Woche wurde Zschäpe an zwei Tagen als Zeugin im Prozess gegen die langjährige Neonationalsozialistin Susann Eminger befragt, ihre einst beste Freundin während der Zeit im „Nationalsozialistischen Untergrund“. Die Rechtsterroristin weiß, dass es sich positiv auf die Haftzeit auswirken könnte, wenn sie über ihre Kameraden auspackt und sich von ihrer menschenverachtenden Ideologie distanziert.
Wer hier ernsthafte Bemühungen erwartete, wurde jedoch enttäuscht. Zschäpe trat zwar selbstbewusst auf und versuchte gar, den Ablauf der Verhandlung zu bestimmen. Zahlreichen wichtigen Fragen wich sie jedoch aus. Andere wichtige Fragen wurden erst gar nicht gestellt. Ihre früheren Netzwerke, die sie für einen glaubhaften Ausstieg aufdecken müsste, schützt sie weiterhin.
Rückblick in den Juli 2016: Im Münchner NSU-Prozess steht der 295. Verhandlungstag an. Die Hinterbliebenen der rassistisch motivierten Mordserie treten in dem Verfahren als Nebenkläger auf. Ihre Anwälte stellen Zschäpe an diesem Tag rund 300 Fragen. Etwa: Warum und wie wurden Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat und Michèle Kiesewetter als Mordopfer ausgesucht? Zu welchen Personen hatten Sie an den Tatorten Kontakt? Von wem wurden Sie nach dem Untertauchen unterstützt? Welche Spenden erreichten Sie aus der Szene und auf welchem Wege erhielten Sie das Geld?
Haben Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt während ihrer Zeit im Untergrund Beziehungen geführt und wenn ja, zu wem? Wie ist die Ankündigung einer „DVD 2, Paulchens neue Streiche“ am Ende des Bekennervideos zu verstehen? Wurden Sie, Mundlos oder Böhnhardt, zu irgendeiner Zeit von einem Nachrichtendienst oder dem polizeilichen Staatsschutz angesprochen? Wenn ja, von wem, mit welchem Ziel, und wie haben Sie darauf reagiert?
Zschäpe schwieg damals zu jeder einzelnen der 300 Fragen. Sie hatte sich im Prozess als unwissende Hausfrau dargestellt und zur Aufklärung des Komplexes nichts beigetragen. Dafür klagte sie etwa über fehlende Weihnachtsgeschenke ihrer Mittäter. Sie schlüpfte in eine bequeme Opferrolle und verharmloste ihr eigenes Handeln. Bereits die Fragen der Nebenkläger zeigten, wie widersprüchlich und konstruiert ihre Einlassungen zum damaligen Zeitpunkt waren und wie diese dazu dienten, ein positives Selbstbild zu inszenieren. Die Fragen sind noch immer offen und für die Hinterbliebenen noch immer quälend.
Dass die 50-Jährige dennoch in ein Aussteigerprogramm aufgenommen wurde, verwundert daher. Um aufgenommen zu werden, braucht es vor allem echtes Interesse und Bereitschaft zur Veränderung. Zschäpes wenige Sätze zu den ideologischen Hintergründen der NSU-Morde hörten sich in der vergangenen Woche in Dresden allerdings wie zurechtgelegt und auswendig gelernt an. Nach echter Reue klang das nicht. Nach einem echten Bruch, echter Aufklärung und einer Offenlegung des gesamten Täterwissens erst recht nicht.
Was die Hinterbliebenen nicht vergessen haben
Viele Angehörige der Mordopfer können nicht nachvollziehen, dass Zschäpe in ein Aussteigerprogramm aufgenommen wurde und dieser Schritt ihr möglicherweise dabei hilft, die Haftzeit zu verkürzen. Sie fühlen sich übergangen, nachdem sie ohnehin lange allein gelassen und sogar selbst verdächtigt worden waren. Sie haben nicht vergessen, dass die Polizei nach den Morden nicht im rechtsextremen Milieu ermittelte, sondern in vielen Fällen gegen die Familien der Opfer. Sie haben nicht vergessen, dass Medien diskriminierend von „Döner-Morden“ schrieben.
Sie haben nicht vergessen, dass im Bundesamt für Verfassungsschutz wenige Tage nach der Selbstenttarnung des NSU vorsätzlich umfangreiche Akten vernichtet wurden – über die Rekrutierung von V-Leuten zwischen 1996 und 2003 im Thüringer Heimatschutz, einem Zusammenschluss neonazistischer Kameradschaften, zu dem auch die späteren NSU-Terroristen gehörten.
Und sie haben nicht vergessen, dass in den NSU-Untersuchungsausschüssen ein Unterstützungsnetzwerk von mehreren Dutzend Personen festgestellt wurde, von denen aber die allermeisten straffrei blieben. Dass Ermittlungsverfahren gegen Helfer, die den Untergetauchten Wohnungen anmieteten, Identitäten liehen und Waffen besorgten, eingestellt wurden. Dass der NSU sich im Bekennervideo selbst als „Netzwerk von Kameraden“ bezeichnete – und weiterhin unklar ist, wer das Kerntrio bei der Auswahl von Tatorten, Opfern und Fluchtwegen unterstützte.
Die Befragung von Zschäpe im Oberlandesgericht Dresden wird Ende Januar des kommenden Jahres fortgesetzt. Dann hat sie noch eine Chance, endlich auszupacken. Nebenkläger sind in diesem Verfahren nicht zugelassen. Es ist darauf zu hoffen, dass die Richter und Vertreter des Generalbundesanwalts die richtigen Fragen stellen. Und die Zeugin nicht wieder mit Widersprüchen und Lücken davonkommen lassen.
Politikredakteur Frederik Schindler berichtet für WELT über die AfD, Islamismus, Antisemitismus und Justiz-Themen. Dies ist die 30. Ausgabe seiner zweiwöchentlich erscheinenden Kolumne „Gegenrede“.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.