Der zweitägige Verhandlungsmarathon in Berlin ist noch nicht zu Ende, als sich Bundeskanzler Friedrich Merz sichtbar optimistisch gibt. „Zum ersten Mal seit Kriegsausbruch ist ein Waffenstillstand vorstellbar“, sagte er am Montagnachmittag im Kanzleramt. Dorthin war auf seine Einladung hin nicht nur der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, sondern auch Donald Trumps Verhandlungsteam gekommen, bestehend aus dessen Schwiegersohn Jared Kushner und dem Sondergesandten Steve Witkoff.

Am Sonntagabend und Montagmorgen verhandelte die US-Delegation mit dem ukrainischen Präsidenten – mal zusammen mit dem Kanzler, mal allein. Zu Papier gebracht wurde zwar noch kein Abkommen, aber die USA, die Ukrainer und die Europäer haben sich wohl auf ein Paket verständigt, das die Hoffnung auf einen Frieden zu Weihnachten wachsen lässt.

Ausschlaggebend dafür war laut Selenskyj das, was die amerikanischen Verhandler auf den Tisch gelegt hätten: Sicherheitsgarantien auf dem Niveau der Nato-Beistandsgarantie. Aus US-Regierungskreisen wurde dies noch am Abend bestätigt. „Das wird nicht für immer auf dem Tisch liegen“, hieß es zugleich. Den Aussagen zufolge wäre Trump sogar bereit, eine solche Garantie vom US-Senat ratifizieren zu lassen, was maximale rechtliche Verbindlichkeit bedeuten würde. Damit wäre eine zentrale Forderung der Ukraine und der Europäer erfüllt.

Merz spricht von „beachtlichen“ Vereinbarungen

Merz würdigte das amerikanische Zugeständnis als rechtlich und materiell „beachtlich“. Es handele sich dabei um eine Vereinbarung, „die wir bisher nicht hatten“. Auch die Europäer würden sich an den Garantien beteiligen, so Merz. „Wir werden den Fehler von Minsk nicht wiederholen“, sagte er in Bezug auf die gescheiterten Abkommen, die nach 2014 die Ost-Ukraine befrieden sollten, und versprach, zusammen mit anderen Staaten einen Waffenstillstand abzusichern.

Dafür wolle man eine „multinationale Truppe“ einer Koalition der Willigen für die Ukraine bereitstellen, die auch von den USA unterstützt wird, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung am Abend. Diese soll die ukrainischen Streitkräfte unterstützen, den Luftraum sichern und im Schwarzen Meer aktiv sein. Es ist außerdem von „Operationen innerhalb der Ukraine“ die Rede. Wo die Truppe stationiert werden soll, wird allerdings nicht spezifiziert. Zudem soll es einen „von den USA geführten Mechanismus zur Waffenstillstandsüberwachung“ geben.

Am Abend empfing Merz im Kanzleramt zahlreiche weitere europäische Staats- und Regierungschefs, darunter die Frankreichs, Großbritanniens, Polens und Italiens sowie die Spitzen von Nato und EU. Beim Dinner soll zusammen mit Kushner und Witkoff über die Details gesprochen werden.

Mit dem Angebot von Sicherheitsgarantien auf Nato-Niveau ist der Ukraine eine große Sorge genommen, die es ihr bislang nicht erlaubt hat, weitere Zugeständnisse zu machen. Ohne solche Garantien, die sie vor künftigen Angriffen schützen würde – so hieß es aus in den vergangenen Tagen und Wochen stets aus Kiew – könne man nicht über territoriale Fragen sprechen.

Die Forderung der amerikanischen Delegation war diesbezüglich klar. Die USA drängen weiterhin auf Zugeständnisse, berichtete die Nachrichtenagentur AFP noch am Montagmittag. „Wir haben bei dieser Frage Differenzen, so ehrlich kann ich sein“, sagte Selenskyj bei der Pressekonferenz und implizierte, dass Witkoff und Kushner sich die russische Position zu eigen machen. Moskau fordert, dass die Ukraine den noch nicht eroberten Teil der Oblast Donezk kampflos aufgibt.

Selenskyjs Dilemma damit ist klar: Den von der Ukraine gehaltenen Rest des Donbas abzugeben, wäre sein politisches Ende. Zwar würde inzwischen eine knappe Mehrheit der Ukrainer die Tatsache einer russischen Besatzung bereits verlorener Gebiete akzeptieren, doch für eine Abtretung des noch gehaltenen Territoriums gibt es keine Mehrheit. Insgesamt kontrolliert Kiew noch rund ein Viertel der Oblast Donezk. Darin befinden sich die strategisch wichtigen Städte Kostjantyniwka, Slowjansk und Kramatorsk. Sie wurden von der ukrainischen Armee zu Festungen ausgebaut, an denen Russland seit jeher scheitert, beziehungsweise in deren Nähe es noch gar nicht gekommen ist. Zudem befinden sie sich auf einer Anhöhe, was sie zu einem wichtigen Verteidigungspunkt für die Ukraine machen. Damit wäre ihre kampflose Aufgabe nicht nur ein schweres politisches Zugeständnis, sondern auch ein militärisches, wodurch sich die Ukraine bei einem künftigen russischen Angriff in einer schwachen Ausgangsposition wiederfinden würde.

Am Ende müsste darüber das ukrainische Volk in einem Referendum abstimmen. Bislang halten Selenskyj und die Europäer an ihrer Position fest, dass die Frontlinie als Ausgangspunkt für Verhandlungen über territoriale Fragen gilt. Mit den in Aussicht gestellten US-Garantien gerät er aber jetzt unter Zugzwang. Am Montag bezeichnete der ukrainische Präsident diese Frage nur als „schmerzlich“. Am kommenden Wochenende sollen weitere Gespräche darüber in Miami folgen.

Lob für Trumps Team

Deutschland und die Ukraine bemühten sich am Montag, Trumps Repräsentanten ausdrücklich zu danken. Kushner und Witkoff hätten eine „Schlüsselrolle“ gespielt, sagte Merz und fügte an: „Ohne sie hätten wir nicht positive Dynamik, die wir in diesen Stunden erleben“. Dass Donald Trump dem Sondergesandten Steve Witkoff seinen Schwiegersohn Jared Kushner an die Seite stellte, ist ein Zeichen, dass der US-Präsident die Berliner Verhandlungsrunde nicht für gänzlich unwichtig erachtete. Dafür spricht auch, dass Vizepräsident J.D. Vance seinen engen Vertrauten Spiro Ballas mit nach Deutschland schickte. Begleitet wurde das Verhandlungsduo außerdem von Joshua Gruenbaum, einem Berater von Trump, dem Beamten Chris Curran aus dem Außenministerium und dem Oberkommandeur der Nato in Europa, Alexus Grynkewich.

Noch in der vergangenen Woche ließ der US-Präsident mitteilen, dass er zunehmend müde von den zahlreichen Treffen der Europäer ist. Erst am Mittwoch trafen sich Macron, Starmer und Merz in London und telefonierten dabei mit ihm. Das Gespräch beschrieb Trump hinterher als „schwierig“. In Medienberichten war von einer „hitzigen“ Diskussion die Rede. „Der Präsident ist extrem frustriert über beide Seiten dieses Krieges und hat Treffen satt, die nur um des Treffens willen stattfinden“, sagte Karoline Leavitt am Freitag.

Auch von ukrainischer Seite kam Lob für Trumps Team: „Es ist unfair, die Herangehensweise des amerikanischen Teams falsch darzustellen, während es Zeit, Mühen und Ressourcen in die Friedensbemühungen investiert“, schrieb der stellvertretende ukrainische Außenminister Sergiy Kyslytsya auf X. Beide Seiten hörten einander aufmerksam zu. „Ich bin positiv beeindruckt davon, wie gut die amerikanischen Partner die Interessen und die Position der Ukraine verstehen.“

Merz sprach angesichts der getroffenen Vereinbarungen von der „größten diplomatischen Dynamik“, die es gegeben hätte. „Es liegt jetzt nur noch an Russland, ob ein Frieden bis Weihnachten gelingt“, sagte der Kanzler und forderte zumindest über die Weihnachtstage einen Waffenstillstand: „Lassen Sie das ukrainische Volk wenigstens über Weihnachten unbehelligt.“

Gregor Schwung berichtet als außenpolitischer Korrespondent über transatlantische Beziehungen, internationale Entwicklungen und geopolitische Umbrüche mit einem besonderen Schwerpunkt auf der Ukraine und den USA.

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