„Was für eine Aussicht“, sagt er und zeigt durch die Fenster auf die Stadt, die ihm zu Füßen liegt. Auf einigen Dächern stehen beleuchtete Weihnachtsbäume. In der Nacht hat es geschneit. Und ich denke an Gatsby. Diesen mysteriösen Mann aus F. Scott Fitzgeralds großem Roman.

Aber wir sind nicht auf Long Island. Und da draußen ist nicht New York. Und das ist keine Villa. Wir sind im Berliner Bezirk Tiergarten. Und wir stehen in einem Büro einer Außenstelle des Bundesinnenministeriums, eine vorübergehende Lösung. Und vor uns steht Philipp Amthor, der 33-jährige Parlamentarische Staatssekretär. Der CDU-Mann trägt einen braun-grauen-Anzug mit Streifen. Am Revers trägt er einen Deutschland-Fahnen-Pin. Auf seiner blauen Krawatte tanzen Hunderte gelbe Giraffen.

Und dann steht da vor seinem Schreibtisch noch eine echte große Deutschland-Fahne von einer verchromten Stange getragen auf dem dunklen, unsinnlichen Teppichboden. Dahinter versteckt sich einer dieser quietschmodernen Ventilatoren, die keine Rotorblätter mehr haben. Glamourös ist Politik nicht.

Amthor sagt: „Ich bin in ein Ministerium eingetreten, das es faktisch noch gar nicht gab.“ Das stimmt. Erst seit dieser Legislaturperiode gibt es das Bundesministerium für Digitales und Staatsmodernisierung. Sein Minister heißt Karsten Wildberger (CDU). Und in dieser Konstellation ist es so, das der Staatssekretär bekannter ist als der Minister. Das bestätigt eine spontane Umfrage auf dem Alexanderplatz: Einer der Befragten, der Amthor auf einem Bild erkennt, sagt: „Das ist doch der aus der ‚Heute-Show‘.“

Bei seinem Einzug in den Bundestag im Jahr 2017 war Philipp Amthor mit 24 Jahren einer der jüngsten Abgeordneten in der Geschichte der Bundesrepublik. Sein antiquiert-spleeniger Herrenausstatter-Stil, seine fast altkluge Art, AfD-Abgeordnete mit juristischer Finesse im Bundestag zu zerlegen, machten ihn schnell zu einem Medien-Phänomen. Für die „Heute-Show“ ist er seitdem das, was Karl Lauterbach (SPD) während der Pandemie bei „Markus Lanz“ war: Dauergast. Die Satire-Sendung macht dabei stets den gleichen Gag. Nämlich, dass Amthor eigentlich ein alter Mann sei.

Es gibt sogar einen zehnminütigen Zusammenschnitt aller Alters-Witze, die die „Heute-Show“ über Amthor gemacht hat. Amthor jedenfalls kommt gerne zur „Heute-Show“. Er spielt mit den Moderatoren kleine Sketche in seinem Büro, isst Wurst mit ihnen und tritt sogar in einem Quiz der „Heute-Show“ auf. Sichtbarkeit, so scheint es in diesem Moment, ist Amthors Antrieb.

Stolz erklärt er hier in seinem Staatssekretär-Büro: „Im vergangenen Monat konnte ich über vier Millionen Menschen über Social Media erreichen.“ Amthor hat 138.000 Instagram-Follower. Vize-Kanzler und Wirtschaftsminister Lars Klingbeil von der SPD nur 113.000. Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) hat sogar nur 35.400. Amthors Chef, der Minister, ist gar nicht bei Instagram unterwegs.

Tatsächlich macht Amthor nicht jeden Quatsch auf Social Media mit. „Heidi Reichinnek scheint zu glauben, dass ihr Gehampel im Reichstagskeller ernst zu nehmende Kommunikation ist“, sagt er über die Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, die gerne Rap- und Tanz-Videos im Reichstag aufnimmt.

Mit Reichinnek streitet er gerne. Zuletzt vor einigen Tagen bei „Hart aber fair“. Da sagte er in Richtung Reichinnek: „Ihre Sozialismus-Versprechungen sind eine riesige Gefahr für die Renten.“ Als Reichinnek dann Zahlen nannte, konterte Amthor: „Ihre Zahlen hat doch das Gregor-Gysi-Institut für Rentenmathematik errechnet.“

Schlagfertig kann er noch. Aber die Frage ist: Kann er auch Staatsmodernisierung und Bürokratieabbau?

„Auch die schlimmsten links-grünen Typen …“

16 Milliarden Euro will die Bundesregierung bis 2029 an Bürokratie-Kosten einsparen. Amthor spricht vom Heizungsgesetz. Vom „Betonberg der Bürokratie“. Er kritisiert die Ampel-Koalition. Nimmt sie dann doch in Schutz. „Auch die schlimmsten links-grünen Typen stehen morgens meistens nicht mit dem Vorsatz auf, Deutschland irrsinnig kompliziert zu machen“, sagt er. Und gleich kommt wieder der altkluge Amthor durch: „Bürokratie baut man nicht einfach ab. Da gilt: actus contrarius. Ich betreibe Bürokratierückbau.“ Er sagt staatsmännisch: „Ich habe eine große Prozessdemut.“ Es geht ihm darum, ein Gesetz durch ein weiteres Gesetz wieder aufzuheben.

Er spricht von unsinnigen Dokumentationspflichten in Gastronomie, Gesundheitswesen und Landwirtschaft. In Richtung des libertären Präsidenten Argentiniens Javier Milei, sagt er: „Kettensäge? Meinetwegen. Aber pauschal alles zu streichen oder abzuschaffen, führt nicht dazu, dass Dinge wirklich schneller und präziser funktionieren.“

Er sagt: „Nicht jede Form von Bürokratie ist schlecht. Es ist doch gut, dass etwa Unternehmen eine Bilanz vorlegen müssen und dass es lebensmittelrechtliche Standards gibt. Aber die Dosis macht das Gift.“

Amthor erzählt von den Dingen, die er auf den Weg bringen wolle: Vereinfachung des Arbeitsschutzes und die Einführung der digitalen Brieftasche, eine App, mit der man Personalausweis, Führerschein und andere Dokumente im Handy haben kann. Dann gibt er sich und der neuen Bundesregierung ein kleines Lob mit auf den Weg: „Es war wichtig und richtig, die Hälfte der Sonderbeauftragten der Bundesregierung zu streichen.“

Tatsächlich hat die neue schwarz-rote Bundesregierung gleich zu Beginn ihrer Amtszeit beschlossen, 25 Sonderbeauftragte zu streichen. Sonderbeauftragte sind dabei nicht zwangsläufig Bundestagsmitglieder. Sie sind manchmal auch extern und verdienen mitunter um die 11.000 Euro monatlich. Dazu kommen weitere Stellen für Beschäftigte, die den Sonderbeauftragten zuarbeiten.

Diese Sonderbeauftragten-Stellen zu reduzieren, ist also tatsächlich Bürokratieabbau. Gut für den Staat, schlecht für die Sonderbeauftragten. So müssen sich jetzt Leute wie der Radverkehrsbeauftragte, Meeresbeauftragte oder Sonderbeauftragte für internationale Klimapolitik nach neuen Jobs umsehen. Allerdings stockt die Bundesregierung an anderer Stelle deutlich auf.

Im Koalitionsvertrag wollte man noch acht Prozent des Personals in Bundestag und Verwaltung einsparen. Aber allein 2025 wurden laut Bund der Steuerzahler 8000 neue Stellen gegenüber 2024 geschaffen, wie der „Tagesspiegel“ berichtete. Wunsch und Wirklichkeit gehen auseinander.

Und da sind wir auch bei einem der größten Probleme dieser Bundesregierung. Wenn Versprechen und Realität auseinandergehen, verlieren die Bürger das Vertrauen. Noch im Wahlkampf hatte der heutige Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) die Senkung der Stromsteuer und das Einhalten der Schuldenbremse versprochen. Gekommen ist es anders.

Amthor spricht auch von einer Vertrauenskrise. So habe der Staat in der Vergangenheit den Bürgern zu sehr „misstraut“. Er meint damit unter anderem überbordende Dokumentationspflichten. Er kritisiert aber auch die Bürger dieses Landes und die Medien. „In der Art und Weise, wie über Politik diskutiert wird, entsteht eine Hermeneutik des Misstrauens, die suggeriert: In Wahrheit meinen es die Politiker gar nicht ernst – und jetzt überführen wir sie.“

Und da wird es schwierig. Denn es ist ja zweifelsohne die Aufgabe von Medien, Regierungen zu misstrauen. Und ihr Handeln zu überprüfen. Wir kommen auf Wolfram Weimer zu sprechen. Den Kulturstaatsminister, dessen Firma, die Weimer Media Group, in einer Broschüre dafür geworben hatte, für 80.000 Euro bei einem von ihm veranstalteten Mediengipfel „Einfluss auf politische Entscheidungsträger“ ausüben zu können.

Ebenfalls hatte Weimers Unternehmen eine Medienpartnerschaft mit der „FAZ“ angegeben, die es laut „FAZ“ nie gegeben hatte. Dazu hatte Weimer im Magazin „The European“ öffentliche Reden von Politikern als „Gastbeiträge“ veröffentlicht und die Politiker „Autoren“ genannt. Obwohl diese nicht zugestimmt hatten, dass ihre Reden dort veröffentlicht werden.

Für Amthor ist das eine unbequeme Situation. Einerseits weil Weimer ebenfalls Mitglied der Regierung ist, auch auf einem Merz-Ticket wie Amthor, andererseits, weil Amthor selbst vor einigen Jahren einen Vorteilsnahme-Skandal hatte. Es ging um einen Aufsichtsratsposten bei einem IT-Unternehmen.

Weimer verurteilen will Amthor also nicht. Amthor sagt: „Wolfram Weimer ist nicht zum Staatsminister berufen worden, weil er eine geile Werbepartnerschaft mit der ‚FAZ‘ oder vermeintlich tolle Gastautoren bei ‚The European‘ hatte. Er ist berufen worden, weil er eine klare kultur- und gesellschaftspolitische Haltung hat. Darauf sollte bitte auch der Schwerpunkt der Diskussion liegen.“

Am Ende machen wir noch Fotos. Amthor vor der Deutschland-Flagge. Da fallen mir seine Manschettenknöpfe auf. Amthor lacht spitzbübisch. Die Manschettenknöpfe erzählt er, seien Winchester-Patronen nachempfunden. Diese würde er bei der Jagd benutzen. Na dann, Waidmannsheil!

Frédéric Schwilden ist Autor im Politik-Ressort. Er interviewt und besucht Dorf-Bürgermeister, Gewerkschafter, Transfrauen, Techno-DJs, Erotik-Models und Politiker. Er geht auf Parteitage, Start-up-Konferenzen und Oldtimer-Treffen. Seine Romane „Toxic Man“ und „Gute Menschen“ sind im Piper-Verlag erschienen.

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