Deutschland und andere EU-Länder wollen das in der EU eingefrorene Vermögen der russischen Zentralbank für langfristige Kredite an die Ukraine zu nutzen. Russland soll die Mittel nur dann zurückbekommen, wenn es nach einem Ende seines Angriffskriegs gegen die Ukraine Reparationszahlungen leistet.

Doch vor der heutigen Entscheidung beim EU-Gipfel in Brüssel bahnt sich Widerstand an. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán hatte bereits angekündigt, sich grundsätzlich gegen weitere Finanzhilfen für die von Russland angegriffene Ukraine zu stellen. „Geld zu geben, bedeutet Krieg“, sagte der Politiker, der weiter enge Kontakte nach Moskau pflegt. Er wolle keine EU im Krieg sehen.

Orbán glaubt, die Sache sei erledigt, weil es auf Spitzenebene keine ausreichende Unterstützung für den Plan gebe. Die Idee, jemandem das Geld wegzunehmen, sei dumm. Wenn die EU das täte, würde sie zu einer der Kriegsparteien werden, warnte er. „Das ist ein Marschieren in den Krieg.“ Den Verdacht, im Interesse Moskaus zu handeln, wies Orbán zurück. „Ich arbeite nur für den Frieden“, sagte er.

Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni warnte ebenfalls vor Problemen. Eine rechtlich zulässige Möglichkeit dazu zu finden, sei „alles andere als einfach“, sagte die Regierungschefin. Meloni erklärte, sie unterstütze Bemühungen, Russland die Kosten seines seit fast vier Jahren andauernden Angriffskriegs tragen zu lassen. Sie zeigte sich auch grundsätzlich offen für die Pläne zur Nutzung des russischen Staatsvermögens, aber nur, wenn die rechtliche Lage dafür solide sei. „Wäre die rechtliche Grundlage dieser Initiative nicht solide, würden wir Russland den ersten wirklichen Sieg seit Beginn dieses Konflikts schenken“, sagte sie weiter.

Merz fordert Entscheidungen bei russischem Vermögen

Unterdessen rief Bundeskanzler Friedrich Merz die europäischen Partner noch einmal eindringlich dazu auf, der Nutzung des eingefrorenen russischen Staatsvermögens zuzustimmen. „Aus meiner Sicht ist das in der Tat die einzige Option“, sagte der CDU-Vorsitzende in Brüssel. Er machte deutlich, dass die Aufnahme von Schulden als einzige denkbare Alternative für ihn nicht infrage komme.

Merz äußerte erneut Verständnis für die rechtlichen und politischen Bedenken vor allem Belgiens, wo der größte Teil des dreistelligen Milliardenbetrags lagert. „Aber ich hoffe, dass wir sie gemeinsam ausräumen können.“ Die EU müsse ein Zeichen der Stärke und der Entschlossenheit an Russland senden. Zu den Einigungschancen äußerte Merz sich zuversichtlich. „Mein Eindruck ist, dass wir zu einem Ergebnis kommen können.“

Polens Tusk: Entweder heute Geld oder morgen Blut

Auch Polens Regierungschef Donald Tusk drängte auf Zustimmung. „Jetzt haben wir eine einfache Wahl: Entweder heute Geld oder morgen Blut“, sagte Tusk vor Beginn der Beratungen. Er meine damit nicht nur die Ukraine, sondern auch Europa. „Diese Entscheidung müssen wir treffen, und nur wir allein.“ Alle europäischen Staats- und Regierungschefs müssten sich endlich dieser Herausforderung stellen.

Als zentral für die Umsetzung des Plans gilt die Zustimmung Belgiens – auch wenn das Vorhaben theoretisch per Mehrheitsentscheidung beschlossen werden könnte. Grund ist, dass der mit Abstand größte Teil der russischen Mittel, die für die Ukraine genutzt werden sollen, von dem belgischen Unternehmen Euroclear verwaltet wird. Dabei geht es um etwa 185 der insgesamt 210 Milliarden Euro in der EU.

Belgien verhandlungsbereit

Der belgische Regierungschef Bart De Wever hat bereits Verhandlungsbereitschaft signalisiert. Vielleicht sei es nicht unmöglich, dass Belgien bei der gemeinsamen Übernahme von Rechtsrisiken ein klein wenig flexibel sein könne, sagte De Wever bei einer Sitzung der belgischen Abgeordnetenkammer unmittelbar vor dem Gipfeltreffen der europäischen Staats- und Regierungschefs.

Bei seiner Forderung nach einer Liquiditätsgarantie für das Finanzunternehmen Euroclear sei allerdings „keinerlei Flexibilität möglich“, so De Wever vor den Abgeordneten. „Wir fordern insbesondere Liquiditätsgarantien für Euroclear, wenn die Gegenpartei die Herausgabe ihrer Vermögenswerte verlangen kann. Euroclear muss in der Lage sein, diese freizugeben.“ Das sei wirklich entscheidend.

De Wever sagte weiter: „Darüber hinaus verlangen wir Schutz vor russischen Gegenmaßnahmen, und auch das ist essenziell, etwa vor Beschlagnahmungen in Russland oder in Drittstaaten.“ Die Europäische Kommission habe hierzu bislang keine zufriedenstellende Antwort gegeben.

Selenskyj: Scheitern der EU-Verhandlungen über russische Vermögen wäre „großes Problem“

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj rief die in Brüssel versammelten EU-Staats- und Regierungschefs zur Zustimmung auf. Er hoffe, dass beim EU-Gipfel „eine positive Entscheidung“ getroffen werde, sagte Selenskyj vor seiner Abreise nach Brüssel. Sollte keine Einigung erzielt werden, wäre dies „ein großes Problem für die Ukraine“.

Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas versuchte derweil, die Kritiker beschwichtigen. Sie sehe in der möglichen Nutzung russischen Vermögens kein besonders großes rechtliches Risiko für die Staatengemeinschaft. „Der aktuelle Vorschlag hat eine solide rechtliche Grundlage“, sagte Kallas laut Übersetzerin dem Deutschlandfunk. „Damit können wir auf jeden Fall gut arbeiten.“

In ihrem Heimatland Estland sei man an Drohungen aus Russland gewöhnt, sagte Kallas. „Wir müssen uns mit diesen Dingen ganz nüchtern auseinandersetzen: Vor welches Gericht will Russland denn mit dem Fall ziehen? Und welches Gericht würde dann, angesichts der russischen Zerstörung, die ja auch extrem gut dokumentiert ist, entscheiden, dass Russland gar keine Reparationen würde zahlen müssen?“ Kallas resümierte: „Wenn man das Ganze also pragmatisch angeht, muss man zu dem Schluss kommen, dass das eigentliche Risiko nicht besonders hoch ist.“

Kallas zeigte sich indes äußerst zuversichtlich, dass die Mitgliedstaaten eine Lösung finden werden. „Es ist wirklich wichtig, dass wir uns auf den aktuellen Vorschlag einigen, denn das ist unser Plan A.“

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erwartete ebenfalls eine Einigung über die Finanzierung der Ukraine. „Ich werde den Rat nicht ohne eine Lösung für die Finanzierung der Ukraine verlassen“, sagte sie vor Reportern. Zugleich äußerte sie Verständnis für die Position von Ländern wie Belgien. Diese fordern bei der Nutzung eingefrorener russischer Vermögenswerte eine Teilung der finanziellen Risiken. „Ich unterstütze Belgien voll und ganz.“

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