Ein amerikanischer Kampfhubschrauber nimmt Kurs auf einen gigantischen Öltanker. Wenige Sekunden später lässt sich ein halbes Dutzend Spezialkräfte an Seilen auf das Schiff herab. Bewaffnet mit Maschinengewehren, stürmt die Gruppe hinauf zur Brücke und übernimmt das Kommando. Es sind Szenen wie aus einem Actionfilm, die US-Justizministerin Pam Bondi vor wenigen Tagen in den sozialen Medien postete.
Der Tanker habe unter Sanktionen gestanden, erklärte Justizministerin Bondi weiter, weil er Öl aus Venezuela an den Iran geliefert habe und somit Teil eines „illegalen“ Handelsnetzwerks sei, das „ausländische Terrororganisationen“ unterstütze. Venezuelas Regierung reagierte empört: Die USA betrieben „internationale Piraterie“.
Es ist das erste Mal, dass ein Öltanker gekapert wurde, seit die US-Regierung im Jahr 2019 Sanktionen gegen das Regime von Venezuelas Präsidenten Nicolás Maduro erlassen hat. Aber der Zugriff ist mehr als das. Er ist die vorläufige Eskalation einer militärischen Machtdemonstration, die US-Präsident Donald Trump Anfang September mit Angriffen auf Boote von vermeintlichen Drogenschmugglern vor der Küste Venezuelas begann. Am Samstagabend beschlagnahmte Washington einen weiteren Tanker vor der venezolanischen Küste. Trump nimmt für sich in Anspruch, so Zehntausende US-Bürger vor dem Tod durch Drogensucht zu retten. Mittlerweile hat das US-Militär Tausende Soldaten vor die Küste Lateinamerikas geschickt, zudem den größten Flugzeugträger, etliche Zerstörer und Kampfjets.
Diese Woche ordnete Trump zudem eine Seeblockade aller sanktionierten Öltanker an, die Venezuela anlaufen oder verlassen. Zudem ließ er Maduros Regierung wegen „Terrorismus, Drogen- und Menschenhandels“ offiziell als „ausländische Terrororganisation“ einstufen, was aus Sicht des Weißen Hauses eine juristische Basis für militärische Interventionen darstellt. Seit Jahrzehnten hat die Welt keine so massive militärische Drohkulisse in der Region gesehen.
Die Frage ist aber, was den US-Präsidenten wirklich antreibt und welche Ziele er verfolgt. Geht es ihm darum, sämtlichen Drogenschmuggel zu unterbinden – oder beabsichtigt Trump vielmehr den Sturz des Regimes in Caracas? Oder gilt sein eigentliches Interesse den riesigen Vorkommen Venezuelas an schwerem Rohöl? Schon bald dürfte sich zeigen, was die größte Militärmacht der Welt in ihrer Nachbarschaft vorhat.
Denn zweifellos ist die Konfrontation zwischen Trump und Maduro auch ein Machtkampf um den amerikanischen Kontinent. Der US-Präsident ist die Leitfigur der amerikanischen Rechten, Maduro die der totalitär regierenden lateinamerikanischen Linken. Das Duell der beiden Männer hat eine lange Vorgeschichte. Bereits im Jahr 2018 verweigerte das Weiße Haus die Anerkennung von Maduros nachweislich manipuliertem Wahlsieg und sagte der „Tyrannen-Troika“ aus Venezuela, Kuba und Nicaragua den Kampf an. Trump ließ damals Sanktionen verhängen.
Aber militärisch ging der US-Präsident seinerzeit nicht gegen Maduro vor. Inzwischen droht er offen mit Gewalt. Vor einem Telefonat mit Maduro am Anfang Dezember erklärte Trump, man könne die Dinge auf die „einfache Art“ angehen – es sei aber auch „in Ordnung“, wenn „wir es auf die harte Tour machen müssen“.
Diese doppelte Strategie verfolgt Trump seit Beginn seiner zweiten Amtszeit. Im Frühjahr gab es durchaus diplomatische Erfolge für beide Seiten. So vereinbarten Washington und Caracas Abschiebeflüge aus den USA für Migranten aus Venezuela, im Gegenzug kamen venezolanische Häftlinge aus US-Gefängnissen frei. Aber seither hat Trump Verhandlungen zugunsten militärischer Muskelspiele aufgegeben.
In einem Schlagzeilen machenden Interview verriet nun Trumps mächtige Büroleiterin Susie Wiles, dass die Angriffe auf Schmugglerboote den Sturz Maduros zum Ziel hätten. Trump wolle „Schiffe in die Luft jagen, bis Maduro aufgibt. Und Leute, die weit mehr Ahnung haben als ich, sagen, dass Maduro aufgeben wird.“ Die aktuelle Seeblockade gegen Tanker könnte Caracas von dringend benötigten Einnahmen abschneiden.
Präsident Maduro reagierte darauf mit lauten Tönen. „Trump beabsichtigt auf völlig irrationale Weise, eine Militärblockade gegen Venezuela zu verhängen, um die Reichtümer unseres Landes zu stehlen“, sagte er diese Woche. Gern zeigt sich Maduro in militärischer Kleidung, traditionell spielt er sich als Beschützer des Landes auf.
Maduro begann seine Karriere als loyaler Leibwächter des Revolutionsführers Hugo Chávez, der ihn 2013 auf dem Sterbebett zum Nachfolger ausrief. Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit konnten Maduro bislang ebenso wenig anhaben wie deutliche Wahlniederlagen.
Bereits nach den Parlamentswahlen im Jahr 2015, als die Opposition fast eine Zwei-Drittel-Mehrheit gewann, ließ er das frei gewählte Parlament mit linientreuen Parlamentariern besetzen. Oppositionspolitiker ließ er aus der Nationalversammlung prügeln, demonstrierende Studenten auf offener Straße erschießen. Es war der Startschuss für einen historischen Massenexodus. Acht Millionen Menschen, ein Viertel der Bevölkerung, haben seither das ölreichste Land der Welt verlassen.
Beobachter warnen allerdings vor einem gefährlichen Machtvakuum, sollte Trump Maduro mit militärischen Mitteln aus dem Amt putschen. „Wenn es eine echte US-Invasion gäbe, würden wir ähnliches wie in Vietnam erleben“, warnte der Außenpolitikberater des linken brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva mit Blick auf die Größe des Landes und die dem Präsidenten loyalen und von den Staatsreichtümern profitierenden Machtzirkeln in Caracas.
Aber auch Maduros wichtigste Gegenspielerin Maria Corina Machado, die jüngst mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, warnt vor den Folgen einer möglichen US-Invasion. Denn sie sieht ihr Land bereits besetzt, viele Mächte hätten Netzwerke im Venezuela aufgebaut. „Russische Militärberater, kolumbianische Guerillabanden, die Hamas und die Hisbollah nutzen Venezuela als Drehscheibe für ihre Aktivitäten in ganz Lateinamerika“, sagt die Oppositionsführerin. Niemand wisse, wie stark deren Gegenwehr ausfallen würde.
Gegen Machado wäre Maduro laut Umfragen bei den Präsidentschaftswahlen 2024 chancenlos gewesen. Doch der 58-Jährigen wurde die Kandidatur versagt, sie lebt an einem geheimen Ort. Um den Schein zu wahren, ließen die Sozialisten den unbekannten Oppositionspolitiker Edmundo González antreten. Obwohl Maduro auch gegen González nach allen vorliegenden Erkenntnissen krachend verlor, rief er sich erneut zum Sieger aus.
Bricht das Regime in Caracas zusammen, dürften auch in anderen Linksdiktaturen die Alarmglocken schrillen. In Nicaragua regiert das skrupellose Herrscherpaar Daniel Ortega und Rosario Murillo. Kuba erlebt die schwerste wirtschaftliche und soziale Krise seit Jahrzehnten. Trumps Außenminister Marco Rubio, Sohn kubanischer Einwanderer, träumt von einem „freien Havanna“. Ein Schlüssel dazu wäre der Kollaps des venezolanischen Regimes, von dessen Öllieferungen Kuba abhängt.
Trump wiederum würde Venezuelas Öl innenpolitisch nutzen. Die Raffinerien in Texas und Louisiana, eine wichtige Wählerbasis des Präsidenten, brauchen schweres Rohöl.
Stefanie Bolzen berichtet für WELT seit 2023 als US-Korrespondentin aus Washington, D.C. Zuvor war sie Korrespondentin in London und Brüssel. Hier finden Sie alle ihre Artikel.
Tobias Käufer ist Lateinamerika-Korrespondent. Im Auftrag von WELT berichtet er seit 2009 über die Entwicklungen in der Region.
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