Die EU-Staaten planen nach WELT-Informationen zum 4. Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine die Verabschiedung eines 20. Sanktionspakets gegen Russland. Damit soll Moskau für seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine weiter bestraft und die russische Wirtschaft zusätzlich geschwächt werden.

Geplant sind Reisebeschränkungen und das Einfrieren von Vermögenswerten in der EU von weiteren Einzelpersonen und Organisationen, wobei insbesondere Personen, die für die Verschleppung und ideologische Umerziehung von Kindern verantwortlich sind, in den Blick genommen werden sollen.

Auch weitere Sanktionen im Energiebereich und Bankensektor sind nach Angaben von Diplomaten vorgesehen. Außerdem sollen Schlupflöcher zur Umgehung der bisherigen Sanktionen geschlossen werden. Überlegt wird in Brüssel, den Import von russischem Uran zu verbieten und damit die Föderale Agentur für Atomenergie Russlands (Rosatom) zu sanktionieren.

Das fordern zahlreiche EU-Staaten seit Langem. Dagegen gibt es bisher aber Widerstand aus Ländern wie Frankreich und Belgien. Dabei könnten nach Angaben aus Diplomatenkreisen diese Staaten das für den Betrieb ihrer Atomkraftwerke benötigte Uran auch in Südafrika, Australien oder Kanada kaufen – allerdings zu höheren Preisen.

Das letzte Sanktionspaket der EU wurde am 23. Oktober beschlossen. Zentrale Maßnahmen waren dabei ein vollständiges Einfuhrverbot für russisches Flüssigerdgas (LNG) ab Anfang 2027 und die Sanktionierung von Drittstaat-Unternehmen, darunter auch chinesische Raffinerien und Händler, die russisches Rohöl kaufen. Kurz vor Weihnachten sanktionierte die EU zudem weitere 41 Schiffe der sogenannten russischen Schattenflotte. Diese Schiffe sind an der Umgehung von Strafmaßnahmen der Europäer beteiligt, insbesondere im Energiebereich.

Trotz der bestehenden Sanktionen importierten die EU-Länder im Jahr 2024 Güter im Wert von 33,5 Milliarden Euro aus Russland. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres lag der Wert bei rund 15 Milliarden Euro. Russlands Machthaber Wladimir Putin nutzt das Geld aus Europa auch, um den Krieg in der Ukraine zu finanzieren. Allerdings beharren die Europäer darauf, dass die Sanktionen gegen Russland dem Land mittlerweile einen erheblichen Schaden zugefügt und zur aktuellen Schwäche der russischen Wirtschaft beigetragen hätten.

So ist Russlands Industrie einer Umfrage zufolge im Dezember so stark geschrumpft wie seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine vor ⁠fast vier Jahren nicht mehr. Der Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe fiel auf 48,1 Punkte von 48,3 Zählern im November, wie ‍der Finanzdienstleister S&P Global am Montag zu seiner Unternehmensumfrage mitteilte. Als Gründe wurden ein deutlicher Rückgang der Produktion und der Neuaufträge genannt.

Damit liegt das Barometer den siebten Monat in Folge unter der Wachstumsschwelle von 50 Punkten. Der Rückgang fiel so stark aus wie seit März 2022 nicht mehr. Die Produktion nahm bereits den zehnten Monat in Folge ab. Die Unternehmen begründeten dies mit einer schwachen Nachfrage und ⁠weniger neuen Bestellungen.

Auch die Neuaufträge sanken ⁠den siebten Monat in Folge. Eine Zurückhaltung der Kunden und eine geringere Kaufkraft belasteten die Nachfrage. Zudem baute der Sektor Personal ab. Die Zahl der Beschäftigten sank zum dritten Mal binnen vier Monaten. Der Optimismus für ‍die zukünftige Produktion fiel auf den niedrigsten Stand seit Mai 2022.

Russland leidet seit Beginn des ​Krieges in der Ukraine unter einem akuten Arbeitskräftemangel, da Hunderttausende in die Armee ‍eingetreten ⁠sind. Großzügige Zahlungen an Freiwillige haben zudem eine Lohnspirale ausgelöst. Wegen westlicher Sanktionen sind zudem wichtige Absatzmärkte weggebrochen.

Pläne für die Sicherheitsgarantien sind ausgearbeitet

Wie WELT aus Brüsseler Diplomatenkreisen weiter erfuhr, sind die Europäer bereit, sich im Rahmen einer Koalition der Willigen zur Überwachung eines möglichen Waffenstillstands zwischen Russland und der Ukraine zu beteiligen. „Die Pläne dafür, wie die Sicherheitsgarantien für die Ukraine aussehen könnten, sind bereits fertig ausgearbeitet. Sie wurden im Wesentlichen von Militärexperten der britischen und französischen Streitkräfte in Zusammenarbeit mit Brüssel erstellt“, hieß es in Diplomatenkreisen, die mit den Beratungen vertraut sind.

Dabei sind Frankreich und Großbritannien offenbar bereit, sogenannte robuste Sicherheitsgarantien abzugeben. Im Klartext: Sie wären im Notfall bereit, mit Bodentruppen für die Einhaltung des Friedens zu kämpfen. Als Größenordnung für den Einsatz der europäischen Bodentruppen wird für die ersten sechs Monate je nach Einmeldungen der beteiligten Staaten eine Zahl „von 10.000 bis 15.000“ genannt.

Weiter verlautet aus Diplomatenkreisen, dass „Frankreich und Großbritannien bereit sind, sich auch ohne ein Mandat der Vereinten Nationen (UN) oder der Europäischen Union an der Überwachung eines Waffenstillstands zu beteiligen“. Beiden Ländern würde eine Einladung der Ukraine genügen.

Die Überwachung des Waffenstillstands aus der Luft und von der See soll von den Nachbarstaaten der Ukraine aus sichergestellt werden. In den Planungen zur Überwachung des Waffenstillstands spielt auch die Türkei eine Rolle. Ankara könnte die Schwarzmeer-Region überwachen, hieß es.

Russland ⁠will nach angeblichen ukrainischen Drohnenangriffen auf eine Residenz seines Präsidenten Wladimir Putin eine härtere Position bei möglichen Friedensverhandlungen einnehmen. „Diese terroristische Aktion zielt darauf ab, den ‍Verhandlungsprozess zum Scheitern zu bringen“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Dienstag vor Journalisten. Die diplomatische Konsequenz werde eine Verschärfung der Verhandlungsposition der Russischen Föderation sein. Das Militär wisse zudem, wie und wann es zu reagieren habe.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte die Anschuldigungen als „eine weitere Runde von Lügen“ zurückgewiesen. Diese zielten darauf ab, zusätzliche Angriffe gegen die Ukraine zu rechtfertigen und den Krieg zu verlängern. Der ukrainische Außenminister Andrij Sybiha rief andere Länder auf, ⁠nicht auf die russischen Vorwürfe zu reagieren. ⁠Russland habe auch einen Tag nach dem angeblichen Angriff keine Beweise vorgelegt, sagte er: „Weil es keine gibt. Keine solche Attacke hat stattgefunden.“

Christoph B. Schiltz ist Korrespondent in Brüssel. Er berichtet unter anderem über Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU, die europäische Migrationspolitik, die Nato und Österreich.

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