Der Einsatz dieser speziellen Software für Datenanalyse ist umstritten, doch einige Bundesländer verzeichnen damit Erfolge: In Hessen wurde ein islamistischer Terroranschlag durch einen 17-Jährigen verhindert. In einem Kinderpornografie-Fall ließen sich riesige Datenmassen auf beschlagnahmten Endgeräten einer pädokriminellen Bande in kürzester Zeit auswerten.
In Nordrhein-Westfalen führte die Software die Ermittler von einem Einbrecher zu einer ganzen Bande. Dann ließ sich damit eine Person identifizieren, die Amokdrohungen gegen die Stadtverwaltung in Siegen ausgesprochen hatte. Nach einer Schießerei mit Clan-Bezug wurden die Namen von etwa 100 Beteiligten herausgefiltert. Mit der Software gelang es auch, über einen Spitznamen und eine Telefonnummer mit gefälschten Besitzerangaben einem Mann auf die Spur zu kommen, der ein 13-jähriges Mädchen missbraucht haben soll.
Die Programme in den Bundesländern tragen unterschiedliche Namen: „Hessendata“, „DAR – Datenbankübergreifende Analyse und Recherche“ in NRW oder „VeRA - Verfahrensübergreifende Recherche- und Analyseplattform“ in Bayern. Es besteht eine Gemeinsamkeit: Sie basieren auf der Software Gotham des US-Unternehmens Palantir, das für Sicherheitsbehörden konzipiert wurde.
Gotham ermöglicht, kurz gefasst, die rasche Zusammenführung zahlreicher Datenquellen, darunter Polizeidatenbanken, Melderegister, Bankdaten, Telefonmetadaten und soziale Medien, und kann daraus Profile und Beziehungsgeflechte herausarbeiten.
Der Einsatz sorgt für eine politische Kontroverse in Deutschland und ist juristisch umstritten. Das Bundesverfassungsgericht hat 2023 Beschwerden von Datenschützern stattgegeben, wonach die Polizeigesetze in Hamburg und Hessen den Einsatz der Palantir-Software nicht klar genug eingrenzt hatten.
Hamburg hat das Projekt vorerst beendet. Hessen hat sein Gesetz überarbeitet, aber auch dagegen hat die „Gesellschaft für Freiheitsrechte“ Verfassungsbeschwerde eingelegt. Zudem läuft eine Verfassungsbeschwerde gegen die Einsatzregelungen in NRW. Andere Bundesländer prüfen den Einsatz von Palantir.
Die unionsgeführten Bundesländer sind von der Effizienz und Sicherheit von „Kommissar Palantir“ überzeugt, ebenso die AfD. Doch bei SPD, Grünen, Linker, FDP und Datenschutzbeauftragten überwiegen die Bedenken.
Grüne Warnung vor „Einkaufstour“ bei „Trump-Unterstützer“
Es geht darum, ob der Datenschutz ausreichend gegeben ist, und um die Nähe von Palantir-Führungspersonen wie Mitgründer Peter Thiel zu US-Präsident Donald Trump. Zusätzliche Brisanz bekommt das Thema, weil unionsgeführte Bundesländer wie NRW, Bayern und Hessen die Nutzung von Palantir auch auf Bundesebene erreichen wollen. Die bisherige Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hat dies abgelehnt, doch ihr Amtsnachfolger Alexander Dobrindt (CSU) kommt aus Bayern.
Auch die Länder erhöhen den Druck. Der Bundesrat forderte in einem Ende März verabschiedeten Entschließungsantrag die Bundesregierung auf, den technischen Aufbau eines gemeinsamen Datenhauses „mit höchster Priorität voranzutreiben“, also einen zentralen Speicherort für polizeiliche Daten, der von allen Polizeien des Bundes und der Länder zur Informationsverarbeitung genutzt werden kann.
Es geht dabei um eine „Multi-Cloud-Lösung auf Basis eigener digitaler Kompetenz und Souveränität“, um das „Zielbild 2030 eines modernen Daten- und Informationsmanagements (gemeinsames Datenhausökosystem) möglichst schnell zu erreichen“. Um bis dahin die „Fähigkeitenlücken der Polizeien des Bundes und der Länder bei der Informationsverarbeitung, Datenzusammenführung und Analyse unverzüglich zu schließen“, kommt Gotham als „Interimslösung“ offenbar in Betracht. Palantir wird im Beschluss nicht explizit erwähnt, doch es wird auf Übergangslösungen rekurriert, die unter anderem von Bayern, Hessen und NRW umgesetzt werden, die Gotham eingeführt oder erprobt haben.
Die Grünen haben ihre Kritik gegen die Palantir-Nutzung verstärkt. Konstantin von Notz, Grünen-Fraktionsvize im Bundestag, untermauert die Bedenken in einem längeren Beitrag für die „Zeit“ mit der Überschrift „Die Polizei braucht KI, aber nicht Palantir“. Der Innenexperte beklagt, trotz der Bedenken der Verfassungshüter scheine auch die schwarz-rote Koalition „wieder damit zu liebäugeln, bei der Firma des Trump-Unterstützers und Demokratiefeinds Peter Thiel auf Einkaufstour zu gehen“. Dies wäre in der aktuellen geopolitischen Lage „maximal fahrlässig“, so von Notz. „Denn Softwarelösungen aus nicht europäischen Staaten unreflektiert einzukaufen, führt im schlimmsten Fall in neue Abhängigkeiten, erleichtert Spionage oder führt gar dazu, dass der Staat die Kontrolle über seine Kernaufgaben verlieren könnte.“
Stattdessen sollten die Innenministerien „in erster Linie auf staatliche Eigenentwicklungen und europäische Lösungen statt auf Angebote dubioser Konzerne zurückgreifen“. Von Notz plädiert für sogenannte „KI-Reallabore“, die „rechtlich eingehegte Experimentierfelder“ seien. Technische Lösungen, die noch nicht zugelassen seien, könnten im Rahmen solcher Projekte in der Praxis erprobt werden. „Dabei können die Beteiligten herausfinden, wie nützlich eine Technik wirklich ist und gleichzeitig Antworten auf offene regulatorische Fragen finden“, so von Notz. Nach der europäischen KI-Verordnung müsse jeder Mitgliedsstaat bis August 2026 ohnehin eines einrichten.
Im Bund sind die Grünen in der Opposition, aber in Nordrhein-Westfalen stellen sie mit der CDU die Landesregierung mit Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU). Auch dort regt sich Widerstand. „In Zeiten, in denen die USA kein verlässlicher Partner mehr sind, sollten wir uns auch in NRW gut überlegen, ob wir solch sensible sicherheitsrelevante Daten in ein System wie Palantir einpflegen, das Trumps ,best buddy‘ gehört“, sagt Julia Höller, innenpolitische Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion NRW. Die Landesregierung müsse sich „auch bei der Nutzung digitaler Infrastrukturen von US-Technologiekonzernen unabhängiger machen und Lösungen auf deutscher und europäischer Ebene vorantreiben“.
Auch in der oppositionellen FDP-Landtagsfraktion gibt es Sorgen: Nach Ansicht des Innenexperten Marc Lürbke muss der Einsatz solcher Systeme „auf einer eindeutigen gesetzlichen Grundlage erfolgen, datenschutzkonform ausgestaltet und jederzeit parlamentarisch kontrollierbar sein“. Gerade im besonders grundrechtssensiblen Bereich der inneren Sicherheit müsse „nachvollziehbar sein, wie Software zu Ergebnissen kommt“. Sicherheitsbehörden dürften „keine ‚Black Box‘-Systeme einsetzen“, sonst drohe „eine gefährliche Entkopplung von Technik und rechtsstaatlicher Verantwortung“.
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) indes verlässt sich auf die Palantir-Variante. „Die Software fügt in Minuten zusammen, wofür Ermittler sonst Wochen bräuchten – ein digitales Puzzle aus Waffenregister, Einwohnermeldedaten und polizeiinternen Systemen“, erklärt Reul auf WELT-Anfrage. Das bedeute Zeitgewinn und Arbeitserleichterung. „Die Erfahrungen an Rhein und Ruhr sind gut damit. Kritik darf es daran geben, aber während wir uns durchs datenschutzrechtliche Dickicht kämpfen, sind die Straftäter schon über alle Berge.“
Das Innenministerium versichert, bei Betrieb und Nutzung der Anwendung in NRW sei sichergestellt, dass kein Datenabfluss erfolgen könne: „Die Server für die Anwendung werden autark in den eigenen Rechenzentren der Polizei Nordrhein-Westfalen betrieben. Es besteht keine Möglichkeit für einen Zugriff auf Polizeidaten durch die Firma Palantir.“ Nach WELT-Informationen soll die Ende 2025 auslaufende Palantir-Lizenz verlängert werden.
Kristian Frigelj berichtet für WELT über bundes- und landespolitische Themen, vor allem in NRW.
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