Der designierte Kanzleramtsminister Thorsten Frei (CDU) hat angekündigt, unmittelbar nach der für Dienstag geplanten Wahl des CDU- und Unionsfraktions-Vorsitzenden Friedrich Merz und der Regierungsbildung mit Zurückweisungen von Asylbewerbern an den deutschen Grenzen zu beginnen. Frei sagte im Interview mit WELT AM SONNTAG zum Thema Zurückweisungen: „Der Bundesinnenminister wird alle Maßnahmen ergreifen, um von diesem Tag an die im Koalitionsvertrag vereinbarten Schritte einzuleiten.“
Der CDU-Politiker ist überzeugt, dass Deutschlands Nachbarländer das Vorgehen mittragend und abgewiesene Schutzsuchende wiederaufnehmen. Das hätten Gespräche bereits gezeigt. „Friedrich Merz hat mit dem französischen Präsidenten, mit dem österreichischen Bundeskanzler und mit dem Ministerpräsidenten von Polen gesprochen. Das Ergebnis war ein hohes Maß an Übereinstimmung“, sagte Frei.
Doch in den Nachbarländern regt sich Widerstand. „Wir werden niemand zurücknehmen, der außerhalb eines rechtmäßigen Verfahrens von einem Nachbarland zurückgewiesen wurde“, sagte Österreichs Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) der WELT AM SONNTAG. „Der Rechtsrahmen wurde vom Europäischen Gerichtshof festgestellt, der entschieden hat, dass bei Stellung eines Asylantrages eine formlose Zurückweisung rechtlich nicht möglich ist. Die deutschen Behörden müssen zunächst eine Prüfung durchführen.“
Aus den Bundesländern wird der neuen Regierung in Berlin Unterstützung bei den angekündigten Zurückweisungen von Asylbewerbern an den Bundesgrenzen zugesichert. „Die bayerische Grenzpolizei wird das mit aller Kraft unterstützen“, sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) WELT AM SONNTAG.
Hermann sagte weiter: „Wir werden nicht mehr jeden nach Belieben einreisen lassen, die Politik des einfachen Durchwinkens wird nicht mehr funktionieren. Je klarer andere Länder das sehen, desto mehr werden sie sich darum kümmern, viele Illegale, die keinen Pass haben, gar nicht erst bei sich einreisen zu lassen.“
Auch Sachsen sagt Hilfe zu. „Wir haben jetzt die Chance, zusammen mit unseren Nachbarn an den Hauptmigrationsrouten den seit 2015 nahezu ungesteuerten Asylzuzug endlich zu stoppen“, erklärte Innenminister Armin Schuster (CDU) in Dresden. „Sollte die Bundespolizei für diese Aufgabe auf Unterstützung im Rückraum angewiesen sein, ist die sächsische Polizei darauf vorbereitet.“
Im SPD-geführten Brandenburg begrüßt man die Ankündigung des designierten Kanzleramtschefs Thorsten Frei (CDU), umgehend für Zurückweisungen zu sorgen. Brandenburgs Innenministerin Katrin Lange sagte dazu, es müsse „die Entscheidungskontrolle an unseren Grenzen“ wieder gewahrt und ausgebaut werden. „Das ist so lange erforderlich, bis der Schutz der EU-Außengrenzen wirksam gewährleistet ist, was derzeit und auch absehbar nicht der Fall ist“, sagte die Sozialdemokratin. „Es wird nun darauf ankommen, dass die neue Bundesregierung ihren Ankündigungen auch Taten folgen lässt – darauf warten nicht nur wir, sondern insbesondere auch die Landkreise und Gemeinden in Deutschland.“
In den Regierungen der Nachbarstaaten herrscht jedoch entgegen der Einschätzungen Freis Skepsis. Nach dem österreichischen Bundeskanzler kritisiert auch Polens Chef-Diplomat in Berlin, Jan Tombiński, die angekündigten Maßnahmen. „Die jetzigen Kontrollen an der deutsch-polnischen Grenze sind schon ein Problem für den täglichen Grenzverkehr und das Funktionieren des EU-Binnenmarktes“, sagte Tombiński dem Portal „Politico“. „Wir wünschen daher nicht, dass es zu einer Verschärfung der Grenzkontrollen kommt.“
Unterstützung der für den Grenzschutz zuständigen Bundespolizei durch die Bundesländer wird nötig sein. So warnt die Gewerkschaft der Polizei (GdP) vor einer Überlastung der Bundespolizei angesichts der geplanten „Migrationswende“. „Die Grenzpolizeiinspektionen der Bundespolizei sind in ihrer Personalstruktur bisher nicht auf dauerhafte Grenzkontrollen ausgelegt und personell immer noch auf dem Stand einer reinen Grenzüberwachung der ,Grünen Grenze‘ mit Schleierfahndung“, sagte GdP-Vizechef Sven Hüber. „Dieser Einsatz ist daher nur temporär machbar. Eine vollständige Kontrolle der 3000 km langen deutschen Grenzen ist gegenwärtig personell und technisch nicht zu leisten.“
Der Vizechef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Heiko Teggatz, begrüßt die Entscheidung für Zurückweisungen. „Ich habe von Beginn an die Rechtsauffassung vertreten, dass dies nach der Einführung von Grenzkontrollen nicht nur zulässig, sondern auch geboten ist. Schließlich kommen die Personen über andere EU-Staaten nach Deutschland“, sagte Teggatz WELT AM SONNTAG.
Auch die Beendigung des Aufnahmeprogramms aus Afghanistan hält er für richtig. „Es ist nach wie vor nicht bei jeder Person von einer zweifelsfreien Identität auszugehen“, sagte Teggatz. Die Nichtregierungsorganisationen, die mit der Auswahl der Personen beauftragt sind, seien der ehemaligen Bundesregierung nicht einmal vollständig bekannt gewesen. „Auch sollen Identitätsdokumente aufgrund eigener Angaben ausgestellt worden sein, auf dessen Grundlage die dringend erforderlichen Sicherheitsüberprüfungen durchgeführt werden“, erklärte Teggatz. Afghanen, denen eine Einreise nach Deutschland bereits suggeriert worden sei, sollten noch einmal gründlich und individuell überprüft werden. Die Zusage, ein Visum für Deutschland zu erhalten, muss Teggatz zufolge „immer abhängig von einer zweifelsfrei überprüfbaren Identität“ sein.
Recherchen von WELT AM SONNTAG ergaben darüber hinaus: Während der designierte Kanzleramtschef sagt, alle Aufnahmezusagen der Ampel-Koalition für Schutzsuchende aus Afghanistan zu prüfen und Einreisen gegebenenfalls zu untersagen, befinden sich immer noch Hunderte Afghanen mit Aufnahmezusage in ihrer Heimat – und reisen auch heute noch von dort, zumindest vereinzelt, weiter nach Pakistan. Zuletzt waren es wenige Dutzend pro Monat, die in Islamabad von deutschen Stellen registriert wurden. Damit der Zustrom stoppt, wurde nach Informationen dieser Redaktion jüngst ein neues Prozedere eingeführt: Bei Menschen mit Aufnahmezusage, die noch in Afghanistan sind, wird erneut geprüft, ob diese tatsächlich (noch) gefährdet sind. Falls nicht, wird die Aufnahmezusage zurückgezogen; die Reise nach Pakistan erübrigt sich damit.
Der Druck auf die neue Bundesregierung rührt auch daher, dass pakistanische Behörden die Bundesregierung zuletzt mehrfach aufgefordert hatten, die Aufnahmeprogramme abzuschließen – und zwar bis zum 31. März, eine Deadline, die Berlin nicht halten konnte. Pikant: Afghanen erhalten bei der Einreise nach Pakistan nur ein Visum für drei Monate – auch jene mit Aufnahmezusage für Deutschland. Die finale Bearbeitung der Anträge durch deutsche Behörden vor Ort in Islamabad dauert aktuell im Schnitt aber acht Monate – unverschuldet sind die Afghanen damit illegal im Land. Immer wieder kommt es zu Abschiebungen.
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