Am Sonntag wählen die Menschen in Rumänien ihren nächsten Präsidenten – erneut. Die ursprüngliche Wahl hatte das rumänische Verfassungsgericht annulliert. Ein einmaliger Vorgang, der international Aufsehen hervorrief. Sogar US-Vizepräsident J.D. Vance schaltete sich ein. Im Zentrum steht die Frage, ob die Manipulationen schwer genug wogen, um die Annullierung der Wahl zu rechtfertigen – oder ob der Wählerwille missachtet wurde, weil er den Regierenden nicht passte. Bis heute ist das nicht abschließend geklärt. Es bleibt offen, wie stark diese Zweifel die neue Wahl beeinflussen werden.
Die Wahl am heutigen Sonntag ist ein wichtiger Test für die Institutionen des Landes, manchen gilt sie gar als Referendum über die rumänische Demokratie. Wenn kein Kandidat mehr als 50 Prozent der Stimmen erhält, findet am 18. Mai eine Stichwahl statt. Dies gilt als wahrscheinlich.
Was ist passiert?
Ende November führte nach dem ersten Wahlgang völlig überraschend Calin Georgescu, ein Politiker, der sich zwischen Verschwörungstheorien, Rechtsextremismus und Geschichtsrevisionismus verorten lässt. Wenige Tage vor der zweiten Runde veröffentlichte die rumänische Regierung Geheimdienstinformationen, die Manipulationsversuche sowie Desinformationskampagnen in den sozialen Medien durch russische Netzwerke sowie illegale Wahlkampffinanzierung belegten.
Durch eine groß angelegte Kampagne in den sozialen Medien wurde der Algorithmus der Plattformen beeinflusst und verschaffte Georgescu einen Vorteil. Für seinen Wahlkampf deklarierte er keinen Cent, obwohl die Kampagne einiges gekostet haben muss. Zudem ist von einem Cyberangriff durch einen „staatlichen Akteur“ die Rede. Auf Grundlage dieser Informationen annullierte das rumänische Verfassungsgericht die Stichwahl, die im Dezember angesetzt war.
Was ist die Kritik an dieser Entscheidung?
Georgescu, die rumänische Rechte und auch die US-Regierung wollen Willkür am Werk sehen. Vizepräsident Vance behauptete in einer Rede, Politiker in Europa würden „Wahlen absagen“. „Wenn [die rumänische] Demokratie durch ein paar Hunderttausend Dollar digitaler Werbung aus einem anderen Land zerstört werden kann, dann war sie von Anfang an nicht sehr stark“, sagte er.
Die zentrale Frage ist: Ist die Begründung des Verfassungsgerichts ausreichend, um eine Wahl in einer Demokratie abzusagen? Die Hürden sind hoch.
Die Richter müssen zu dem Schluss kommen, dass die Unregelmäßigkeiten so schwerwiegend waren, dass der Volkswille nicht mehr zählt. Und dass die Manipulationen maßgeblich für das Wahlergebnis waren.
Die Annullierung der Wahl selbst sei „wahrscheinlich richtig“, sagt der rumänische Jurist und Politikwissenschaftler Ioan Stanomir. „Aber die Art und Weise, wie sie es getan haben, hat den gesamten Prozess in den Augen der Öffentlichkeit fragwürdig und verdächtig erscheinen lassen.“ So hatte dasselbe Gericht zunächst die Ergebnisse der ersten Wahlrunde anerkannt und dann plötzlich für ungültig erklärt.
Wer hat ein Interesse an Wahlmanipulation?
Russland. Rumänien ist das Nato-Land mit der längsten Grenze zur Ukraine, grenzt an das Schwarze Meer und bildet einen Korridor für den Transport von Militärgütern an Kiew. Zudem entsteht in Rumänien die größte Nato-Basis Europas. Der Kreml mischt sich regelmäßig in europäische Wahlen ein.
In einer Analyse spricht das Bundesamt für Verfassungsschutz von massiven Einflussversuchen in Rumänien, der Republik Moldau und Polen. Dass die rumänischen Behörden die Krise so intransparent handhaben, dass das Vertrauen der Menschen in die staatlichen Institutionen weiter erodiert, spielt Russland in die Hände.
Welche Kandidaten treten nun an?
Georgescu tritt nicht noch einmal an. Ideologisch am nächsten steht ihm George Simion, der Vorsitzende der rechtsextremen Allianz für die Einheit der Rumänen (AUR). Er hat in der Vergangenheit mehrfach Personen mit prorussischer Haltung unterstützt und wurde in der Ukraine und der Republik Moldau zur Persona non grata erklärt. In Umfragen führt er.
Ein ebenfalls polarisierender Charakter ist Victor Ponta, früherer Premierminister und damals Sozialdemokrat. Heute positioniert er sich als Trump-Anhänger. Ein Sieg Simions oder Pontas würde Rumäniens westliche Verankerung auf die Probe stellen.
Der Bürgermeister von Bukarest, Nicusor Dan, tritt als unabhängiger Kandidat an. Er versteht sich als Reformer, betont staatliche Effizienz, den Kampf gegen Korruption und die Westbindung Rumäniens.
In Umfragen liegt er Kopf an Kopf um den zweiten Platz mit dem gemeinsamen Kandidaten der aktuellen rumänischen Regierungskoalition: Crin Antonescu, der als gemäßigt-konservativ gilt. Hinzu kommt Elena Lasconi, die in die Stichwahl gegen Georgescu hätte ziehen sollen und nun als Unabhängige antritt. Ihr werden kaum Chancen eingeräumt.
Was steht auf dem Spiel?
Rumänien durchlebt die schwerste politische Krise seit 1989. Das Vertrauen der Öffentlichkeit ist erschüttert. Das Kommunikationsversagen der Behörden habe einen Teil der rumänischen Öffentlichkeit entfremdet, sagt Stanomir. „Diese Entfremdung schürt die Unzufriedenheit, die sich wahrscheinlich auf die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen auswirken wird.“
Ob dieser Schaden repariert werden kann, ist offen. Klar ist bislang nur eines: Der Umgang der Regierenden mit den Ereignissen der vergangenen Monate hat die Anti-Establishment-Stimmung noch angeheizt.
Carolina Drüten ist Türkei-Korrespondentin mit Sitz in Istanbul. Sie berichtet außerdem über Griechenland, die Länder des westlichen Balkans, Rumänien und die Republik Moldau. Im Auftrag von WELT ist sie als Autorin und Live-Berichterstatterin für den Fernsehsender unterwegs.
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