Hiermit nehme ich die mündliche Weisung vom 13. September 2015 gegenüber dem Präsidenten des Bundespolizeipräsidiums zurück.“ So beginnt das Schreiben des neuen Bundesinnenministers Alexander Dobrindt (CSU) an den Chef der Bundespolizei Dieter Romann, datiert auf den 7. Mai 2025. Es könnte ein durchaus historisches Dokument werden, steht es doch für einen Neustart in der deutschen Asylpolitik.
„Seit gestern ist die Asylwende in Deutschland eingeleitet worden. Jetzt gilt wieder der alte Zustand, wie vor 2015“, jubilierte etwa Bayerns Ministerpräsident Markus Söder in einem auf X geteilten Video. Sein Parteifreund und Intimus Dobrindt hatte zudem angekündigt, an den Grenzen von Tag eins an schärfer zu kontrollieren – und damit eines der zentralen Wahlkampfversprechen des neuen Bundeskanzlers Friedrich Merz (CDU) umzusetzen.
Im Schreiben ist auch vermerkt, dass Schutzsuchenden bei einer Einreise aus einem sicheren Mitgliedsstart die Einreise „verweigert werden kann“. Für Schwangere, Kinder und andere Angehörige vulnerabler Gruppen sollen Ausnahmen gelten. Damit erweitert Bundesinnenminister Dobrindt den Spielraum der Bundespolizisten an der Grenze.
Es gehe nicht darum, ab morgen alle zurückzuweisen, sondern darum, „dass wir die Zahlen reduzieren“, erklärte der Innenminister bei der Vorstellung der Pläne. Ist das schon die viel beschworene „Asyl-Wende“ oder eher alter Wein in neuen Schläuchen? Darüber sind sich die Bundestagsfraktionen uneins, selbst bis in die neu gestartete Koalition hinein.
Kritik aus SPD und Opposition
Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion Alexander Throm sagte WELT: „Das bisherige System der Dublin-Überstellung von illegal eingereisten Migranten funktioniert seit Jahren nicht mehr. Deswegen ist es politisch und rechtlich konsequent, dass wir gar nicht erst die Einreise zulassen.“
Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Sonja Eichwede rechnet dagegen nicht damit, dass die Bundespolizei durch die neue Marschroute im großen Stil Asylsuchende an Deutschlands Grenzen zurückweisen wird. Die Zurückweisung bei Asylgesuchen bleibe „europarechtswidrig“ und könne nur „in Absprache mit den europäischen Partnern erfolgen“, sagt die Innenexpertin und frühere Richterin im Deutschlandfunk.
Linke und Grüne argumentieren ähnlich und sehen hohe rechtliche Hürden. Marcel Emmerich, innenpolitischer Sprecher der Grünen, sagte: „Die pauschale Zurückweisung Schutzsuchender an der Grenze ist offen europarechtswidrig und treibt die Beamtinnen und Beamten der Bundespolizei in einen Rechtsbruch.“ Kanzler Merz beschwöre auf seinen ersten Auslandsbesuchen Kooperation und Zusammenhalt. „Die antieuropäische Grenzpolitik seiner Regierung, ohne Abstimmung mit den Nachbarländern, spricht eine andere Sprache.“
Die Linken-Innenexpertin Clara Bünger erklärte: „Die Zurückweisungen, wie sie jetzt angekündigt wurden, sind rechtlich und politisch höchst problematisch. Sie verstoßen in mehrfacher Hinsicht gegen EU-Recht.“
Die größte Oppositionspartei AfD spricht dagegen von einem „Täuschungsmanöver“ der neuen Koalition, ihr gehen die Schritte nicht weit genug. „Von Merz' markigen Versprechen, dass am ersten Tag ausnahmslos alle Asylsuchenden zurückgewiesen würden, ist an diesem ersten Tag schon nichts mehr übrig“, kommentiert der innenpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion Gottfried Curio.
Der Innenminister habe in seinem Brief an den Chef der Bundespolizei nur davon gesprochen, dass gemäß §18 Abs. 2 des Asylgesetzes Zurückweisungen vorgenommen werden können. „In Wahrheit ist dies im Gesetz jedoch keine Kann-Bestimmung, sondern ganz klar eine zwingende Bestimmung“, so Curio.
Auch BSW-Chefin Sahra Wagenknecht sagte: „Die Grenzkontrollen sind mehr Symbol als Lösung. Natürlich ist es richtig, illegale Einreisen nach Möglichkeit zu unterbinden, aber wenn es dabei bleibt, dass Flüchtlinge in Deutschland die höchsten Leistungen in ganz Europa erhalten, egal ob sie anerkannt werden oder nicht, dann werden die Zahlen nicht auf ein verkraftbares Maß sinken.“
Koalitionsvertrag lässt Raum für Deutungen
In der Frage des neuen Grenzregimes kommt es auf Details an. Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD war vereinbart worden: „Wir werden in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn Zurückweisungen an den gemeinsamen Grenzen auch bei Asylgesuchen vornehmen.“ Das Wort „Abstimmung“ lässt viel Raum für Deutungen und schafft Unsicherheiten bei den Nachbarn – das erlebte auch der neue Bundeskanzler Merz bei seinen ersten außenpolitischen Gehversuchen.
Zeitweise klang es so, als ob Merz die neue Härte in der Migrationspolitik wieder etwas einfangen musste. Bei seinem Antrittsbesuch in Polen etwa sagte der Kanzler auf die Kritik des polnischen Regierungschefs Donald Tusk hin: „Wir werden auch Grenzkontrollen vornehmen in einer Art und Weise, die für unsere Nachbarn verträglich ist.“ Er habe noch auf dem Weg nach Warschau mit Dobrindt telefoniert und ihn gebeten, den Kontakt mit den europäischen Nachbarn zu suchen.
Tusk hatte bei dem Treffen in Warschau die Migrationspolitik der neuen Bundesregierung kritisch kommentiert. „Deutschland wird in sein Gebiet lassen, wen es will. Polen wird nur in sein Gebiet lassen, wen es akzeptiert“, sagte Tusk. Es solle weder der Eindruck entstehen noch die Fakten geschaffen werden, dass irgendwer einschließlich Deutschlands bestimmte Gruppen von Migranten nach Polen schicke.
Auch aus anderen Nachbarstaaten kommt Kritik. „Systematische Zurückweisungen an der Grenze verstoßen aus Sicht der Schweiz gegen geltendes Recht“, schrieb das Schweizer Justizministerium auf der Plattform X. Die Schweizer Behörden „prüfen gegebenenfalls Maßnahmen“. Auch das Innenministerium in Wien pochte auf die Einhaltung des geltenden EU-Rechts. Generell begrüße Österreich aber die Bestrebungen Deutschlands im Kampf gegen die Schleppermafia und illegale Migration, hieß es.
Am späten Donnerstagnachmittag erfährt WELT dann: Merz beruft sich bei den Zurückweisungen auf eine sogenannte nationale Notlage an der Grenze. Diese Maßnahme erleichtert und macht mehr Grenzkontrollen sowie Zurückweisungen an der Grenze möglich. Dieser Schritt, über den im Wahlkampf lange debattiert wurde, dürfte darauf hinweisen, dass es die neue Regierung mit der neuen Härte an der Grenze tatsächlich ernst meint.
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