Die Linke tanzt. „Guess who’s back?“, fragt die quengelig-nasale Stimme des Rappers Eminem immer wieder in die Chemnitzer Messe-Halle: „Rate, wer zurück ist?“ Heidi Reichinnek und Sören Pellmann, die Linke-Fraktionsvorsitzenden, sowie Ines Schwerdtner und Jan van Aken, die Parteichefs, laufen lachend und im Takt auf die Bühne.
Reichinnek winkt in den großen Saal. „Die Linke ist zurück!“, ruft sie kurze Zeit später am Rednerpult.
Im vergangenen Jahr sei ihre Partei noch ausgelacht worden, sagt sie zur Eröffnung des Bundesparteitags. „Aber jetzt haben sie Angst: diese ganzen Superreichen, diese ganzen Macker, diese Rechten, diese Wirtschaftsbosse und die Springer-Presse. Die zittern“, so Reichinnek, die kürzlich die Überwindung des Kapitalismus forderte. WELT gehört zum Verlag Axel Springer.
An diesem Freitagmittag unterstreicht Reichinnek ihre Wortmeldung. „Ja, wir wollen ein Wirtschaftssystem abschaffen, in dem die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden. In dem Rentner Pfandflaschen sammeln und Kinder hungrig in der Schule sitzen“, ruft sie. Arbeitslose würden schikaniert, Menschen ausgebeutet, wegen der Profitorientierung der Krankenhäuser verlören viele früh ihr Leben. Inklusion rechne sich nicht, Menschen schließe man einfach aus der Gesellschaft aus, führt sie aus.
„Ja, ein solches System wollen wir abschaffen“, sagt Reichinnek. „Denn egal, was Konservative, Neoliberale oder Rechte behaupten, ein solches Wirtschaftssystem hat mit Demokratie nichts, aber auch rein gar nichts zu tun!“ Wenn es radikal sei, Freiheit und Rechte für alle ohne Ausgrenzung zu fordern, sagt sie, dann sei man eben radikal. „Dann muss man radikal sein in diesen Zeiten!“
Der Auftakt des Parteitags unterstreicht: Die Linke ist im Aufwind – und äußerst selbstbewusst. Im Februar wurde sie mit überraschend gutem Ergebnis von fast neun Prozent in den Bundestag gewählt. Am Dienstag zeigte sich die neue Macht der Partei, die für eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag – als Alternative zur AfD – für die Bundesregierung wohl zur regelmäßigen Gesprächspartnerin wird: Sie bewahrte Friedrich Merz (CDU) nach verlorenem ersten Wahlgang vor einer übermäßigen Blamage – und ermöglichte den später erfolgreichen zweiten Wahlgang noch am Dienstagnachmittag.
„Man weiß nicht, für wen es am Tisch eigentlich schwieriger war“, berichtet Parteichefin Ines Schwerdtner in ihrer Parteitagsrede von den Gesprächen mit den Christdemokraten. „Aber sie sind auf uns zugekommen, weil sie mussten. Weil wir zu stark geworden waren, dass wir nicht mehr länger ignoriert werden konnten.“
Schwerdtner fordert nun Gespräche auf Augenhöhe zwischen ihrer Partei und der Union, die sich das per Unvereinbarkeitsbeschluss – wie auch Gespräche mit der AfD – eigentlich verbietet. Man werde für soziale Politik aus der Opposition kämpfen.
Am Freitag und Samstag steht die Neuaufstellung der Linken im Zentrum des Parteitags. Schwerdtner und van Aken schlagen in einem Leitantrag das Konzept der „organisierenden Klassenpartei“ vor – der sozialistische Markenkern solle unterstrichen werden. In der Partei solle „revolutionäre Freundlichkeit“ ein Wiederkehren des Dauerstreits der letzten Jahre verhindern.
Schwerdtner begründet die Neujustierung der Linken auch mit ihrer Familiengeschichte. „Arme Menschen sterben früher“, sagt sie bei der Einbringung des Leitantrags am Freitagmittag. „Mein Vater ist einer von ihnen. Er hat die Rente nicht erreicht.“ Für Menschen wie ihn sei das Leben eine ständige Rechnung: „Wie viele Tage bis zum Monatsanfang, wann kommt die Heizkostenabrechnung, was, wenn die Waschmaschine kaputtgeht?“ Für jene Menschen und mit ihnen wolle man Politik machen.
Das bedeute eine Überwindung des Kapitalismus, stimmt Schwerdtner ihrer Genossin Reichinnek zu. Das sei keine Phrase, sondern „Blutkern unserer Politik“, so Schwerdtner: Es bedeute „eine Wirtschaftsordnung zu überwinden, die die Menschen knechtet. Es bedeutet, ihnen Würde und ihnen Gesundheit wiederzugeben.“
Schwerdtner befürchtet eine Politik auf Kosten von Armen, die zu einem Leben zwischen Alkohol und Gewalt, Arbeitslosigkeit und Scham führe. Dies habe es unter Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) gegeben, nun drohe das Gleiche unter CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann oder Kanzler Merz, sagt die Linke-Chefin. „Sie verachten unsere Leute, und deswegen verachten wir ihre Politik.“
Der Israel-Streit bricht wieder aus
Am Morgen, kurz vor dem Parteitag, kündigte sich noch ein altbekannter Dauerstreit der Partei an: der Nahost-Konflikt. Grund dafür war ein X-Post von Ulrike Eifler, Mitglied des Parteivorstands. „All united for a free Palestine“, stand da. Daneben: Der Umriss Israels und der Palästinenser-Gebiete, zusammengesetzt aus weißen, grünen und roten Handabdrücken auf schwarzem Grund – die palästinensischen Nationalfarben. Viele in der Partei fordern einen sehr viel kritischeren Kurs gegenüber Israel, dem sie einen Völkermord im Gaza-Streifen vorwerfen.
Der Bundesvorstand ging allerdings auf scharfe Distanz zu dem X-Beitrag: „Das Existenzrecht des Staates Israel ist für uns nicht verhandelbar“, beschloss das Gremium kurz vor Beginn des Parteitags. Die Partei distanziere sich „von jedem Aufruf, jedem Statement und jedweder bildlichen Darstellung, die unter dem Deckmantel der Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung die Existenz Israels negiert oder die Auslöschung Israels propagiert“. Man fordere die Freilassung israelischer Geiseln, sei zudem solidarisch mit den Palästinensern.
Das gefiel nicht allen. „Nicht das Existenzrecht Israels ist bedroht – sondern akut das Leben der Palästinenser:innen und das Existenzrecht Palästinas“, schrieb die Europaparlamentsabgeordnete Özlem Alev Demirel auf X. Die Bundestagsabgeordnete Nicole Gohlke verteidigte ihre Genossin Eifler: Wer ihr „Massenmordfantasien und den Vernichtungswunsch von 7 Millionen Israelis unterstellt, diffamiert damit nicht nur die Solidarität mit jenen, die am meisten leiden, den Menschen in Gaza, sondern verharmlost auch Antisemitismus.“
Auf dem Parteitag will Parteichefin Schwerdtner das Thema offenbar kleinhalten. In ihrer Rede kommt das Thema nur kurz vor. „Kinder im Gaza-Streifen werden in diesen Tagen vor unseren Augen bewusst ausgehungert“, sagt sie. „Wir sind der Widerstand dagegen. Gegen Kürzung, gegen Aufrüstung, gegen Krieg.“ Es dürfe keine „doppelten Standards bei Kriegsverbrechern“ geben.
Fraktionschefin Reichinnek sieht die Erfolgswelle ihrer Partei derweil als lange nicht gebrochen. Bei den Landtagswahlen im kommenden Jahr werde man anknüpfen, auch in Berlin, wo man bei der Bundestagswahl stärkste Partei wurde. „Der erste linke Bürgermeister für Berlin, das ist doch mal ein Ziel!“, ruft sie. Man mache weiter. „Die Linke, das sind wir, und wir fangen jetzt erst richtig an.“
Politikredakteur Kevin Culina berichtet für WELT über die Linkspartei und das Bündnis Sahra Wagenknecht.
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