- Die neue Bundesregierung will mehr als ein Dutzend Expertengremien zu zahlreichen Themen einsetzen.
- Der Erfolg hängt nach Ansicht früherer Sachverständiger von mehreren Faktoren ab.
- Früheren Expertenkommissionen gelangen kräftige Impulse, etwa der Kohlekommission.
Sven Siefken hat im Koalitionsvertrag genau nachgezählt. 15 Expertenkommissionen will die schwarz-rote Bundesregierung einrichten, um Lösungen zu verschiedenen Themen zu erarbeiten. Darunter sind große Fragen wie die Zukunft der Rente, der Pflege oder der Schuldenbremse. Ob das sinnvoll ist, kommt aus Sicht des Politikwissenschaftlers auf den konkreten Fall an. "Ein pauschales Urteil kann man sicherlich nicht geben, weil Expertenkommissionen eben sehr unterschiedliche Funktionen erfüllen können", erklärt er.

Siefken nennt drei Zwecke. Erstens ginge es tatsächlich um inhaltliche Beratung durch ausgewiesene Fachleute oder Interessensvertreter. Zweitens dienten die Gremien dazu, Blockaden bei einem Thema zu lösen, die zwischen den Parteien an anderer Stelle nicht überwunden werden könnten. Und drittens böten die Kommissionen in Koalitionsverhandlungen einen Ausweg, wenn man sich nicht einigen kann. "Damit wird das Thema praktisch warmgehalten, wird auf die politische Agenda gesetzt, aber die Lösung erstmal vertagt", sagt Siefken, der viele Jahre an der Universität Halle-Wittenberg lehrte.
Der Politologe vermutet, dass sich Schwarz-Rot einen Großteil der Expertenkommissionen aus dem letztgenannten Grund in den Vertrag geschrieben hat. Als ein Beispiel sieht Siefken die Kommission zur Rente. "Dieses Thema ist ein Evergreen auch für Kommissionen. Ich weiß gar nicht, wie viele es da schon gegeben hat, weil es auch ein komplexes Thema ist, das nicht einfach aufzulösen ist, wo es starke Interessen gibt."
Empfehlungen früherer Rentenkommission gingen unter
Davon kann Annelie Buntenbach aus erster Hand berichten. Die frühere Bundestagsabgeordnete der Grünen aus Nordrhein-Westfalen und langjährige Funktionärin des Deutschen Gewerkschaftsbundes gehörte der bislang letzten Rentenkommission mit dem Titel "Verlässlicher Generationenvertrag" an. Das Gremium tagte ab 2018 und legte im März 2020 einen Abschlussbericht vor. Aus Buntenbachs Sicht zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt: "Das Unglück war, dass wir die Ergebnisse vorgestellt haben, als gerade Corona ausbrach. Ich weiß nicht, ob es sonst eine andere Wirkung gehabt hätte, aber das ist schlicht untergegangen."

Im Bericht der Kommission finden sich mehrere altbekannte Reformansätze. Buntenach und die weiteren Fachleute empfahlen unter anderem eine Versicherungspflicht für Selbstständige, eine Reform des Riester-Systems oder Maßnahmen, damit Beschäftigte länger in Arbeit bleiben können. Vieles harrt einer Umsetzung.
Buntenbach hält es daher für einen entscheidenden Erfolgsfaktor solcher Gremien, dass sie nah an den politischen Betrieb angedockt werden, damit die Ergebnisse auch tatsächlich in Gesetzgebung einfließen. Mit Blick auf die neuen Arbeitsgruppen zu Sozialstaatsreformen sagt die heute 70-Jährige Ex-Politikerin: "Wenn Kommissionen nur deshalb eingesetzt würden, damit man nach außen zeigt, wir haben das Thema im Blick – aber nicht ernsthaft darum ringt, hier auch in gemeinsames Handeln zu kommen, um die sozialen Sicherungssysteme zukunftsfähig aufzustellen –, dann wäre es fatal."
Modelle für Wahlrechtsreform liegen auf dem Tisch
Dass die Parteien im Bundestag nach dem Votum eines Expertengremiums letztlich Entscheidungen treffen, mahnt auch Halina Wawzyniak an. Die frühere Bundestagsabgeordnete der Linken aus Berlin wirkte in der vergangenen Legislaturperiode als Sachverständige in der Wahlrechtskommission mit, deren Arbeit in einer Reform mündete. Sie findet es nicht überzeugend, dass sich nun erneut ein Gremium damit befassen soll: "Es ist am Ende eine politische Entscheidung. Wenn man das Wahlrecht wieder ändern will, dann gibt es eine ausreichende Grundlage – mit dem, was bisher erarbeitet worden ist." Eine neue Kommission könne kaum zu neuen Ideen kommen.

Generell hält Wawzyniak die Arbeit der Kommissionen aber für sinnvoll. Es könne so Expertise eingeholt und Themen könnten in einem nicht-öffentlichen Raum neu ausgelotet werden. Als wichtigsten Erfolgsfaktor sieht Wawzyniak die Unabhängigkeit der Mitglieder. "Die Sachverständigen dürfen sich nicht als Parteivertreter verstehen", sagt sie. Umgekehrt dürften auch die Fraktionen, die die Experten entsenden, keinen Druck aufbauen, dass Fachleute eine bestimmte Linie vertreten.
Viel umgesetzt von Hartz- und Kohlekommission
Politikwissenschaftler Siefken vermag keine Prognose abzugeben, wie erfolgreich die nun angekündigten Kommissionen sein werden. Er verweist aber darauf, dass es in der Vergangenheit durchaus wirkmächtige Gremien gegeben habe, beispielsweise die Hartz-Kommission unter der Regierung von Bundeskanzler Gerhard Schröder. "Man kann unterschiedlich bewerten, ob das zum Guten oder Schlechten war. Aber fraglos ist, dass sie es geschafft hat, sehr weitreichende Veränderungen in einem vergleichsweise kurzen Zeitraum in Bewegung zu bringen."
Ein weiteres Beispiel sei die Kohlekommission. Auch hier seien die Verabredungen zügig und umfänglich in Gesetze überführt worden. Berufen wurde diese Kommission ebenfalls von einer "Großen Koalition", damals noch unter Kanzlerin Angela Merkel.
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