Die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft fordert angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage die Streichung eines kirchlichen Feiertags – beispielsweise Pfingstmontag, Ostermontag oder den zweiten Weihnachtsfeiertag. Dabei bezieht sich Verbandsgeschäftsführer Bertram Brossardt in der „Bild“-Zeitung vor allem auf die niedrige Jahresarbeitszeit in Deutschland.
Tatsächlich lag Deutschland bei der durchschnittlichen Jahresarbeitszeit 2023 in einem Vergleich der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) auf dem letzten Platz: mit 1343 Stunden in Relation zu 1742 Stunden.
Die Erwerbstätigenquote war in Deutschland zwar verhältnismäßig hoch: Bei der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter lag sie bei 77 Prozent, der OECD-Durchschnitt hingegen nur bei 70 Prozent.
Das Institut der Deutschen Wirtschaft sprach 2024 in einem Kurzbericht dennoch von einer unterdurchschnittlichen Ausschöpfung des Arbeitskräftepotenzials und stellte fest, „dass die Stellschraube eher bei einer längeren Arbeitszeit liegt und weniger bei der ohnehin schon hohen Erwerbsbeteiligung“. Das Institut rechnete aus, dass die Streichung eines einzelnen Feiertags zu einer Steigerung des Bruttoinlandsprodukts von bis zu 8,6 Milliarden Euro in dem Jahr führen könnte. Das entspräche 0,2 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung.
Liegt die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft also richtig mit ihrer Forderung nach der Streichung eines kirchlichen Feiertags?
„Politik aus dem letzten Jahrtausend“
SPD-Fraktionsvize Armand Zorn gibt auf WELT-Anfrage zu bedenken, Deutschland habe im europäischen Vergleich ohnehin schon wenig gesetzliche Feiertage. Doch: „Gesetzliche Feiertage fördern die Erholung und stärken damit auch die Leistungsfähigkeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.“ Deshalb halte die SPD-Fraktion eine Streichung von Feiertagen für „weder geboten noch sinnvoll“. Für eine Leistungssteigerung seien andere Maßnahmen wie eine „konsequente Digitalisierung“ oder der „Einsatz modernster Technologie“ sinnvoller.
Das Linke-Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Energie Jörg Cezanne nennt gegenüber WELT den Vorschlag, einen Feiertag zu streichen, „Politik aus dem letzten Jahrtausend“. Die Idee löse keines der aktuellen Probleme. Im Gegenteil: „Die Arbeitslosigkeit ist hoch, und in Deutschland wurden letztes Jahr mehr als eine Milliarde Überstunden gemacht. Bei denen, die arbeiten, verdichtet sich die Arbeit. Es gibt mehr Stress und Burn-outs.“
Auch das BSW positioniert sich auf Anfrage klar gegen eine Abschaffung von Feiertagen. Bundesvorsitzende Sahra Wagenknecht sagt WELT, auch Kanzler Friedrich Merz (CDU) wolle, dass sich die Deutschen mehr anstrengen. „Was für ein Hohn! Das Problem ist, dass die Politik kraft- und planlos ist – schon seit Jahren!“ Deutschland solle lieber „die weltweit höchsten Energiepreise“ und „unseren Bürokratiedschungel“ abschaffen.
Auch Horst Ott, Bezirksleiter der IG Metall Bayern, sieht die Lösung woanders als in einer Abschaffung von Feiertagen: „Wir brauchen jetzt kreative Unternehmer, die ihrer Verantwortung für die Arbeitsplätze der Menschen nachkommen und vor Ort kräftig investieren.“ Die Gewerkschaften hätten geliefert, die Politik beginne gerade damit – nun seien die Unternehmer in der Pflicht.
Auch Anja Piel, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbunds, äußert sich auf WELT-Anfrage kritisch: „Die Entfesselung der Wirtschaft funktioniert ganz sicher nicht über das wahllose Einkassieren von gesetzlichen Feiertagen nach Haushaltslage.“ Ein Feiertag weniger bedeute für Beschäftigte realen Lohnverlust – und weniger Geld, das in den Konsum fließen könne. Auch der Aspekt der Erholung sei nicht zu vernachlässigen: „Gerade in einer 24/7-Gesellschaft brauchen wir alle solche Ruhepausen dringender denn je“, so Piel.
Die Deutsche Bischofskonferenz möchte sich aktuell nicht zu dem Thema äußern. Der Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland, Johann Hinrich Claussen, sagt WELT: „Es mag sinnvoll sein, dass mit neuen Schulden Investitionen getätigt werden. Es ist aber überhaupt nicht nachvollziehbar, warum diese ausgerechnet durch die Streichung eines Feiertags ‚gegenfinanziert‘ werden sollten oder wie Mehrarbeit ausschließlich durch Feiertagsreduktion gewährleistet werden soll.“ Nachhaltige Politik sei auch vom Respekt vor Traditionen bestimmt und wisse, was der „seelischen Erhebung“ und Erholung diene.
Die AfD-Bundestagsfraktion vertritt eine andere Position. Ihr wirtschaftspolitischer Sprecher Leif-Erik Holm sagt WELT: „Ich wäre ja schon froh, wenn nicht noch zusätzliche Feiertage eingeführt würden, wie in einigen Bundesländern geschehen.“ Das könne sich Deutschland aktuell nicht leisten. In Zukunft werde mehr Arbeit nötig sein. Dafür brauche es positive Anreize: „Vor allem ist die Regierung gefordert, endlich für eine geringere Steuer- und Abgabenlast, für bezahlbare Energie und für echten Bürokratieabbau zu sorgen. Das hilft Unternehmen, wieder wettbewerbsfähiger zu werden, und es ermuntert Bürger, im Land zu bleiben und mehr Arbeit anzubieten“, so Holm. Viel Hoffnung, dass die neue Regierung diesen Weg beschreite, habe er allerdings nicht.
Die Fraktionen von Union und Grünen ließen die WELT-Anfrage unbeantwortet.
Die Mehrheit der Deutschen, 57 Prozent, zeigt sich nicht dazu bereit, für eine höhere Wirtschaftsleistung auf einen Feiertag zu verzichten. Das ergibt eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa für die „Bild am Sonntag“ vom März 2025. Weitere 34 Prozent positionierten sich für den Vorschlag, neun waren unsicher.
Dass die Arbeitsleistung eines gestrichenen Feiertags nicht nur für die allgemeine Wirtschaft von Vorteil sein könnte, zeigt Dänemark. Dort entschied das Parlament 2023, den „Store bededag“ abzuschaffen und mit den zusätzlichen Steuereinnahmen die Verteidigung zu stärken.
Warum WELT-Autor Per Hinrichs der Meinung ist, Deutschland solle sich das zum Vorbild nehmen, lesen Sie hier.
Uma Sostmann ist Volontärin bei WELT. Ihr Stammressort ist die Innenpolitik.
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