Das Gehalt der Bundestagsabgeordneten, die sogenannte Diät, soll steigen. Aktuell liegt es bei 11.227,20 Euro im Monat, eine Anhebung um 606 Euro zum Juli ist geplant. So sieht es das geltende Abgeordnetengesetz vor. CDU, CSU, SPD und Grüne wollen einen entsprechenden Antrag zur Inkraftsetzung der Erhöhung am Donnerstag im Plenum mittragen. Linke und AfD lehnen die Anhebung hingegen ab. Wird der Antrag angenommen, wird ein Automatismus in Gang gesetzt, der Jahr für Jahr das Abgeordnetengehalt um den Anstieg der Nettolohnentwicklung erhöht.

Linke-Fraktionschefin Heidi Reichinnek hatte im „Berlin Playbook“-Podcast von „Politico“ beklagt, die anstehende Erhöhung habe „einfach mit der Realität der Menschen nichts zu tun“. Sie sei entsetzt, „dass der Bundestag die zweithöchste Diätenerhöhung der Geschichte plant, in der aktuellen Situation, bei der es die Regierung nicht mal schafft, 15 Euro Mindestlohn zu ermöglichen“, so Reichinnek. Ein „Skandal“ sei das, sagte sie zudem, und dass sie daher mehr von ihrem Abgeordneten-Gehalt an ihre Partei abgeben werde als bisher. Schon jetzt spenden einige Linke-Politiker ihr Gehalt: Die Parteichefs Ines Schwerdtner und Jan van Aken etwa deckeln es nach eigenen Angaben auf das deutsche Durchschnittseinkommen rund 2850 Euro netto im Monat.

„Selbstverständlich lehnen wir die automatische Diätenerhöhung ab und bringen einen entsprechenden Antrag in das Plenum ein“, sagte auch Stephan Brandner, Zweiter Parlamentarischer Geschäftsführer der AfD-Fraktion, WELT. „Es kann nicht sein, dass die Menschen in normalen Beschäftigungsverhältnissen um ihre Lohnerhöhungen kämpfen müssen, während Abgeordnete ihre Erhöhung einfach durchgewunken bekommen“, sagte er.

Auf WELT-Anfrage lehnte er allerdings ab, das Zusatz-Geld ähnlich der Linken als Spende zu verwenden. „Auch Spenden lösen das Problem nicht. Es geht hier um strukturelle Veränderungen, nicht um die Verwendung des Geldes“, so Brandner.

Hintergrund der anstehenden Erhöhung ist Paragraf 11 Abgeordnetengesetz. Darin steht: Die monatliche Entschädigung der Abgeordneten „wird jährlich zum 1. Juli angepasst. Grundlage ist die Entwicklung des vom Statistischen Bundesamt ermittelten Nominallohnindex, den der Präsident des Statistischen Bundesamtes jährlich bis zum 31. März an den Präsidenten des Deutschen Bundestages übermittelt“. Nominallohn meint: die tatsächlich gezahlten Löhne in Deutschland, unabhängig von der Inflation. Daraus ergibt sich oben genannte Steigerung.

Nach dieser Regelung können die Abgeordneten-Gehälter steigen oder auch sinken. Je nach Lohnentwicklung in Deutschland eben. Grundsätzlich orientiert sich die „Entschädigung eines Mitglieds des Deutschen Bundestages“ per Gesetz an den Bezügen eines Richters an einem obersten Gerichtshof des Bundes.

Das Gehalts-Anpassungs-Verfahren anhand objektiver Kriterien gibt es seit 2014. Union, SPD und Grüne wollen an diesem Verfahren festhalten. Trotz des Automatismus ist eine Entscheidung im Bundestag nötig. Dieser muss aufgrund einer Regelung im Abgeordnetengesetz regelmäßig über das Inkraftsetzen des Anpassungsmechanismus entscheiden. In den Corona-Jahren etwa gab es Beschlüsse, den Mechanismus auszusetzen. 2020 und 2021 verharrte die Abgeordneten-Entschädigung auf demselben Niveau, etwas über 10.000 Euro. 2022 sank das Salär auf etwas unter 10.000 Euro. Das „Anpassungsverfahren der Abgeordnetenentschädigung“ soll am Donnerstag auf der Tagesordnung des Bundestages stehen.

Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder von der Universität Kassel verteidigt das Verfahren. „Was ist denn die Vorstellung der Linkspartei?“, fragt Schroeder: „Dass die Abgeordneten auf dem Niveau von Hartz-IV-Empfängern arbeiten, damit sie endlich mal sehen, wie schwer das Leben ist?“ Das wäre höchst unvernünftig, so Schroeder, denn der Bundestag müsse die gesamte Bevölkerung repräsentieren. „Es geht um 630 Menschen, die diese Gesellschaft repräsentieren und den Souverän darstellen. Will man die jetzt auf 3000 Euro runtersetzen oder auf 20.000 hochsetzen? Man muss eben einen Wert für alle finden.“ Die Einkommen müssten dabei derart gestaltet sein, dass auch jene, die auf dem Arbeitsmarkt mehr Möglichkeiten hätten, sich dadurch angesprochen fühlen.

Debatte sei „billige Nummer“, kritisiert Experte

„Man kann aber noch so rational argumentieren: Man ist mit Akteuren konfrontiert, die der Verheißung des Ressentiments und der populistischen Agitation nicht ausweichen können und wollen“, sagt Schroeder. „In dieser Debatte werden gesellschaftlich vorhandene Ressentiments ausgebeutet gegen einen zutiefst transparenten und angemessenen Prozess“, so der Politikwissenschaftler. Er bezeichnet die Debatte als „offenkundig eine opportunistische und billige Nummer, in der so getan wird, als stünden sich nun die guten Parlamentarier, die auch für weniger Geld arbeiten, und die bösen, gefräßigen und gierigen Abgeordneten gegenüber. Das ist doch Populismus hoch acht.“

An der durch den Bundestag gefundenen Regelung – einerseits Automatismus, andererseits braucht es Bundestagsentscheidungen darüber – gibt es aber auch Kritik von politikwissenschaftlicher Seite. Ausgangspunkt dieser Kritik ist das sogenannte Diäten-Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1975.

Der Politikwissenschaftler Oliver Lembcke von der Universität Bochum sagt, er verstehe dieses wie folgt: „Im Grunde sollte es gar keinen Automatismus geben; eine einmalige Debatte über das erstmalige Inkraftsetzen wäre daher keineswegs ausreichend.“ Vielmehr verlange die Rechtssprechung, dass das Parlament „vor den Augen der Öffentlichkeit“ seine Entscheidung über die Erhöhung der Diäten rechtfertigen soll. „Mit anderen Worten: Wenn die Politik über die eigenen Spielregeln entscheidet, dann mit einem Höchstmaß an Transparenz – als Voraussetzung für eine wirksame Kontrolle durch öffentliche Kritik.“

Auch Stephan Brandner kritisierte im Februar: „Besonders negativ“ an dem gefundenen Mechanismus sei, „dass die Erhöhung stets ohne Aussprache im Deutschen Bundestag stattfindet“.

An der Erhöhung von Abgeordnetendiäten entzünde sich leicht Ärger, sagt Lembcke. Schon Anfang der 1950er-Jahre, berichtet „Das Parlament“, kritisierte der „Spiegel“ die steuerfreie Abgeordneten-Entschädigung von 600 Mark pro Monat. Nach vielen Jahrzehnten einzelgesetzlicher Regelungen mit Debatten über die Ausgestaltung der Diäten-Höhe sei dann der 2014 eingeführte „Quasi-Automatismus“, so Lembcke, ein Versuch gewesen, das „Thema zu entschärfen“.

„Das hat in den letzten zehn Jahren halbwegs funktioniert“, so der Politikwissenschaftler. „Aber jetzt gerät er zunehmend unter Druck durch den Populismus von links und rechts. Der Quasi-Automatismus wird dadurch selbst Teil des Problems, weil man dem Parlament vorhalten kann, in eigener Sache und zum eigenen Vorteil das Licht der Öffentlichkeit zu scheuen.“ Ein Ausweg, sagt Lembcke, sei „alles andere als leicht, weil viele der immer wieder diskutierten Vorschläge das Problem mangelnder Akzeptanz nicht lösen werden“.

„Vielleicht ist es an der Zeit, dass die Parlamentarier sich offen und öffentlich mit der Frage nach angemessenen Diäten – auch im europäischen Vergleich – auseinandersetzen“, so Lembcke. „Es kann nicht schaden, den Abgeordnetenalltag, inklusive Arbeitsintensität, Entscheidungsdruck und Terminstress, einer breiteren Öffentlichkeit zugänglicher zu machen.“

Jan Alexander Casper berichtet für WELT über innenpolitische Themen.

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