Es war noch nie so leicht, sich zu verschulden. Online-Kanäle locken ständig mit kommerziellen Angeboten und machen Kaufen kinderleicht - buchstäblich. Wie können Jugendliche darauf vorbereitet werden?
Friedrich präsentiert seine Geschäftsidee mit Überzeugung: Er möchte einen Lieferdienst für frische Brötchen aufziehen. Per Lastenfahrrad sollen die an Frühstück-Gourmets in Berlin ausgeliefert werden. Der Wirtschaftsunterricht am Kant-Gymnasium in Berlin-Lichtenberg bringt den Schülerinnen und Schülern der 8. Klasse den Umgang mit Geld ganz praktisch bei.
Friedrich braucht für seine Firmengründung Startkapital oder muss ein Darlehen aufnehmen, muss dann die laufenden Kosten kalkulieren und den Gewinn berechnen. Am besten ist die Firma auch noch gut versichert. Alles Themen, die Friedrich und seine Mitschüler auch außerhalb ihrer Businesspläne für ihr Leben brauchen.
Verschuldete Jugend
Doch solch einen Wirtschaftsunterricht wie im Kant-Gymnasium bieten nur wenige Schulen hierzulande an. Und das, obwohl jeder Mensch eigentlich grundlegendes Wissen über den Umgang mit Geld brauche, sagen Schuldnerberatungen. Sie haben immer mehr Zulauf von Menschen, die überschuldet sind. Viele davon sind sehr jung.
Die Caritas schätzt, dass 20 Prozent der Unter-30-Jährigen Schulden haben. Nach dem Schuldneratlas 2024 von Creditreform - der einzigen bundesweiten Statistik - sind 6,76 Prozent sogar überschuldet.
Das Risiko "Buy now, pay later"
Vielen wird zum Verhängnis, dass sie beim Online-Shopping bei Angeboten von "Buy now, pay later" (auf deutsch: "Kauf jetzt, zahle später") den Überblick über ihre Raten und am Ende über ihre Budgets verlieren. Andere erkennen bei Online-Spielen beim sogenannten In-Game-Kauf nicht, dass sie möglicherweise Abos erwerben, deren Preise schwer zu kalkulieren sind.
Große Sorgen bereitet Fachleuten auch das neue Angebot TikTok Shop. Es werden bei der Nutzung von TikTok innerhalb der Plattform Produkte beworben, die dann sofort gekauft werden können. TikTok hat sehr genaue Profile der jeweiligen Nutzer, die Angebote sind entsprechend zielgenau und eben sehr verlockend. Zudem kann dann sofort gekauft werden, es muss nicht erst eine andere Website aufgesucht werden. Natürlich auch hier: "Buy now, pay later".
Finfluencer als Ratgeber
Die fehlende Finanzbildung macht es den jungen Menschen oft schwer abzuschätzen, wo die Grenze zwischen normalem Risiko und großer Gefahr besteht. Auch wissen viele nicht, wo sie gute Tipps zum Sparen oder für gewinnbringendes Investment bekommen. Immer mehr vertrauen deshalb auf sogenannte Finfluencer, die im Internet oder Social-Media-Kanälen auftreten. Sie geben Ratschläge oder beschreiben, was sie selbst gemacht haben.
Die wenigsten allerdings weisen dabei auf Gefahren hin - profitabler für diejenigen von ihnen, die von ihren Auftritten leben, ist, wenn sie die Produkte ihrer Geldgeber bewerben. Die meisten kennzeichnen das nicht einmal, und im Zweifel sind diese Tipps eben nicht die besten.
Andere geben zwar explizit keine Tipps, erzählen dann aber nur, was erfolgreich war; sie verschweigen hingegen, wenn sie Verluste gemacht haben. Wenn sie von Jugendlichen als Vorbilder betrachtet werden, kann auch das zu Problemen führen.
Die Schule in der Pflicht
Wer kann jungen Menschen also Wissen zum Umgang mit Geld in der digitalen Welt vermitteln? Das Elternhaus kann oft nicht weiterhelfen, weil auch viele Erwachsene von der Flut neuer Produkte und Kaufmöglichkeiten überfordert sind. Auch Anlagetipps für Altersvorsorge oder Börseninvestments sind den meisten Erwachsenen nicht möglich. Da brauchen sie selbst Unterstützung.
Folglich sehen einer Umfrage des Deutschen Bankenverbandes vom November 2024 zufolge mehr als 50 Prozent der dort Befragten die Schule in der Pflicht. Aber da mangelt es an Bildungsangeboten, obwohl es bereits seit 2013 einen Beschluss der Kultusministerkonferenz der Länder gibt, der die "Verbraucherbildung" in den Schulen verankert. In der Praxis wird es dann aber schwierig, denn die KMK hat es den Ländern und die dann auch den Schulen überlassen, wie sie diese Inhalte vermitteln.
Wirtschaftsunterricht wie in Berlin-Lichtenberg wäre eine Variante. Aber in vielen Schulen fehlt es an Personal und Ressourcen. Lehrkräfte müssten entsprechend geschult werden, Lehrpläne erarbeitet. Deshalb weichen Schulen auf temporäre Angebote wie Projekttage aus, die von externen Dienstleistern angeboten werden. Schuldnerberatungen übernehmen zum Beispiel in Berlin diese Aufgabe. Hierfür gibt es öffentliche Mittel.
Schulfach "Finanzbildung"
In anderen Bundesländern sind die Schulen oft auf Eigeninitiative angewiesen. Da kommt es schon mal vor, dass Banken oder Versicherungen Kurse anbieten. Wie objektiv die sind, sei dahingestellt. Diakonie, Caritas, AWO und die anderen Träger der Schuldnerberatungen hierzulande fordern deshalb, dass endlich ein Schulfach Finanzbildung eingeführt werden sollte. Die Vorbereitung junger Menschen auf das Leben sei schließlich eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Bleibt die Frage, was wird aus Friedrichs Geschäftsidee vom Brötchenservice? Da wird jetzt eine Marktananlyse gemacht und spitz gerechnet. Lohnt es sich? Frühstück-Gourmets in Berlin müssen sich noch gedulden.
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