Kanzleramtsminister Thorsten Frei will den Gerichtsentscheid zu Zurückweisungen an der Grenze berücksichtigen, sieht darin aber keine grundsätzliche Bedeutung. „Ein Verwaltungsgericht kann natürlich keine politische Entscheidung mit Wirkung für das gesamte Land treffen“, sagte der CDU-Politiker beim ZDF im „heute journal“.

Im konkreten Fall werde man den Beschluss befolgen, allerdings handele es sich bei dem Thema um „schwierigen juristischen Stoff“, über den am Ende möglicherweise erst der Europäische Gerichtshof (EuGH) entscheiden werde.

Das Verwaltungsgericht Berlin hatte in einer Eilentscheidung festgestellt, dass die Zurückweisung dreier Somalier bei einer Grenzkontrolle am Bahnhof Frankfurt (Oder) rechtswidrig war. Ohne eine Klärung, welcher EU-Staat für einen Asylantrag der Betroffenen zuständig sei, dürften sie nicht abgewiesen werden. Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) hatte wenige Stunden nach seinem Amtsantritt Anfang Mai eine Intensivierung der Grenzkontrollen verfügt.

Die Bundesregierung werde nun „nacharbeiten“, betonte Frei: „Es geht jetzt natürlich darum, sehr genau zu spezifizieren und auch darzulegen, worin die besondere Situation liegt, die eine solche Regelung nicht nur erforderlich, sondern auch geboten macht.“ Er sehe als Begründung eine „Überforderungssituation“, entstanden durch zu viel Migration – zum Beispiel bei der Kinderbetreuung, in Schulen und im Gesundheitswesen.

Polizeigewerkschaft beklagt Verunsicherung bei Beamten

Der Vorsitzende der Bundespolizei in der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Andreas Roßkopf, befürchtet juristische Probleme für Polizisten, die an Grenzkontrollen beteiligt sind. Er bezog sich auf den Gerichtsentscheid des Verwaltungsgerichtes Berlin, wonach die Zurückweisung von drei Klägern aus Somalia rechtswidrig war.

„Natürlich ist es eine Einzelfallentscheidung zunächst, aber es bleibt festzuhalten, dass es Fälle sind, die wir tagtäglich haben und somit kommt jetzt eine gewisse Verunsicherung im Kollegenkreis auf“, sagte Roßkopf im WDR-„Morgenecho“. Polizisten seien letztlich selbst für ihr Handeln verantwortlich und müssten dafür geradestehen.

Hier müsse Bundesinnenminister Dobrindt Klarheit schaffen, der weitere Zurückweisungen angeordnet hat. „Die Weisung ist umzusetzen, aber die Haftung der Kollegen muss explizit letztendlich rausgenommen werden“, sagte der Gewerkschafter.

Roßkopf verwies darauf, dass Beamte eine sogenannte Remonstrationspflicht hätten, wenn sie es mit offenkundig rechtswidrigen Anweisungen zu tun hätten. Sie müssten sich dann zu Wort melden, „damit sie eben aus dieser Verantwortung rauskommen“, sagte er. Das Problem nach dem Berliner Gerichtsurteil sei, dass Juristen „sehr zwiespältig in ihrer Meinung“ seien, welche Konsequenzen eigentlich aus diesem Urteil zu ziehen seien.

Juristin: Dobrindt muss sich an EU-Recht halten

Die von Dobrindt forcierten Zurückweisungen stoßen auf vehemente Kritik beim Deutschen Anwaltverein. Die Fachanwältin für Migrationsrecht, Gisela Seidler, sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), Dobrindt missachte mit seinem Festhalten an der umstrittenen Maßnahme ein Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin wie auch die Rechtsprechung des EuGH. „Auch wenn ein Gesetz oder eine Rechtsprechung einem nicht gefällt, muss man sich als Exekutive daran halten“, sagte Seidler, Vorsitzende im Gesetzgebungsausschuss des Deutschen Anwaltsvereins. Sollte Dobrindt sich nicht an EU-Recht halten, drohe der Rechtsstaat auf der Strecke zu bleiben.

Dem RedaktionsNetzwerk Deutschland sagte Seidler zudem, der Innenminister „wäre gut beraten, die Entscheidungen des Berliner Verwaltungsgerichts zu respektieren und die Zurückweisungen von Schutzsuchenden unverzüglich zu beenden.“ Das Berliner Verwaltungsgericht hatte in mehreren Eilverfahren die von Dobrindt verfügte Zurückweisung von Asylbewerbern an den deutschen Grenzen für rechtswidrig erklärt. Deutschland müsse bei den drei somalischen Antragstellern, darunter auch eine unbegleitete Minderjährige, zunächst in einem sogenannten Dublin-Verfahren, klären, welcher EU-Mitgliedstaat für das Asylverfahren zuständig ist.

Der Bundesinnenminister hatte dies nicht für notwendig gehalten und die Entscheidung der Berliner Richter zum Einzelfall erklärt. „Dabei hatte jeder ernsthafte Jurist gesagt, dass die von Dobrindt propagierten Zurückweisungen von Asylbewerbern ohne Durchführung des Dublin-Verfahrens gegen EU-Recht verstoßen“, sagte Seidler.

Als Reaktion auf die unanfechtbaren Entscheidungen des Verwaltungsgerichts hatte Dobrindt angekündigt, die Rechtsfrage im Hauptsacheverfahren klären zu lassen. „Dies ist aber nicht möglich, da die Berliner Richter mit ihren Beschlüssen das Hauptsacheverfahren vorweggenommen haben“, kritisierte die Anwältin.

Zudem habe das Gericht keine reine Einzelfallentscheidung getroffen, sondern sich vielmehr grundsätzlich mit der Frage auseinandergesetzt, ob Asylsuchende bei Grenzkontrollen ohne Beachtung des EU-Rechts zurückgewiesen werden dürften. Entschieden habe kein Einzelrichter, sondern eine ganze Kammer des Gerichts, welche sich umfassend mit der EuGH-Rechtsprechung auseinandergesetzt habe, erklärte Seidler. Eine Notfallsituation, die Zurückweisungen ausnahmsweise rechtfertigen könnten, gebe es laut dem Verwaltungsgericht nicht.

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