Derzeit verschickt die israelische Regierung täglich Bilder aus dem Gaza-Streifen. Sie zeigen lächelnde Kinder, Berge von Kartons mit Hilfsgütern und Männer, die rufen: „Danke, Amerika!“. Mit diesen Aufnahmen will Israel der Welt zeigen, dass es nach seiner Blockade wieder ausreichend Hilfsgüter in den Küstenstreifen zulässt.
Anstelle des Palästinenser-Hilfswerks UNRWA verteilt nun die in den USA registrierte Stiftung Gaza Humanitarian Foundation das Essen. Um zu verhindern, dass die Hamas die Hilfsgüter klaut, sagt Israel. Die UN dagegen kritisiert, Israel missbrauche humanitäre Hilfe als strategisches Mittel – etwa, um die zwei Millionen Menschen in dem abgeriegelten Küstenstreifen auf einem kleinen Gebiet zusammenzuziehen und kontrollieren zu können.
Täglich sterben Menschen auf dem Weg zu den Verteilzentren. Die Hamas behauptet, israelische Soldaten würden auf Zivilisten schießen. Israel beschuldigt die Hamas, gezielt Menschen anzugreifen, um das System zu sabotieren, weil es der Terrororganisation die Existenzgrundlage entzieht. Die Islamisten bezeichneten den neuen Mechanismus auf Social-Media-Kanälen als „Verschwörung“. Wer mit der Stiftung zusammenarbeite, würde „einen Preis dafür bezahlen“.
Längst tobt auch ein Krieg der Bilder und der gegenseitigen Vorwürfe. Wie zu Beginn dieser Woche in Rafah im südlichen Gaza-Streifen. Augenzeugen berichteten von Schüssen auf der Route zu einem der vier Verteilungspunkte. Palästinensische Quellen meldeten Tote und Verletzte und meinten, israelische Soldaten hätten auf Zivilisten gefeuert – was ein Armeesprecher zurückwies und sagte, es habe keinen solchen Vorfall gegeben. Recherchen von CNN ergaben aber später, dass es in diesem von Israel militärisch kontrollierten Gebiet tatsächlich viele Todesopfer bei Schüssen gab.
Das israelische Außenministerium veröffentlichte ein Drohnen-Video, das belegen sollte, dass der Beschuss von Männern der Hamas ausging, die sich unter Zivilisten gemischt hatten. Auswertungen von Experten zeigen aber, dass dieses Videomaterial wahrscheinlich an einer ganz anderen Stelle gefilmt wurde. Weil ausländischen Journalisten den Gaza-Streifen noch immer nicht betreten dürfen, ist eine Überprüfung der Ereignisse kaum möglich.
Die israelische Journalistenorganisation „Jerusalem Press Club“ stellte am Donnerstagabend eine Video-Verbindung zu einem mutmaßlichen Zeugen in Gaza her. Mohammed, so nennt sich der Mann, sagte, er habe gesehen, wie Hamas gezielt Menschen vor Hilfszentren angegriffen habe, nicht Israels Armee. Allerdings kritisierte Mohammed das neue Hilfesystem als „schlecht organisiert“, die Ausgabe verlaufe noch chaotisch.
Zivilisten betreten unwissend Kampfzonen
Kritiker des von Israel eingesetzten Systems sehen grundsätzlich das Problem, dass Soldaten die Verteilzentren sichern. Sie seien potenzielle Ziele für die Terrororganisation, das erhöhe die Gefahr für die Zivilbevölkerung. Deshalb wird die Verteilung von Hilfslieferungen gewöhnlich von Organisationen übernommen, die keine Kriegspartei sind. Als UNRWA humanitäre Güter verteilte, konnte es auf ein Netz aus 12.000 Mitarbeitern, Lagern und Verteilungsstellen im gesamten Gebiet zurückgreifen. Der Kontakt zu den Bewohnern war direkter, die Wege kürzer.
Jetzt erfahren die Menschen etwa über eine Facebook-Seite, welche Verteilzentren wann offen sind und welche Wege sie nehmen dürfen. Offenbar kursieren immer wieder Fehlinformationen, was dazu führt, dass Zivilisten in militärische Sperrgebiete gehen und Kampfzonen betreten. Ob ein Ort als ein Sperrgebiet gilt oder nicht, kann sich jederzeit ändern.
Probleme bei der Verteilung gibt es im kriegsgebeutelten Gaza-Streifen schon lange, auch, als UNRWA im Einsatz war. Mehrmals wurden Lkws geplündert. Israel warf der UN-Agentur vor, dass Hilfen in die Hände der Hamas gelangten und untersagte ihr im vergangenen Jahr alle Tätigkeiten auf israelischem Gebiet.
Nach Angaben von Sam Rose, dem Direktor des UNRWA in Gaza, haben Ende März alle internationalen Mitarbeiter den Streifen verlassen. Mehr als 3000 Lkw stünden noch außerhalb des Küstengebiets bereit, die von der israelischen Armee blockiert würden. Die einheimischen Mitarbeiter der UNRWA würden nun teils Gesundheitsversorgung leisten, teils Notunterkünfte betreiben oder Schulunterricht per Fernlehre organisieren, aber keine großflächige Hilfe leisten, so Rose zu WELT AM SONNTAG.
Israel hatte elf Wochen lang keine Hilfslieferungen in den Gaza-Streifen gelassen. Erst als der internationale Druck zu groß wurde und auch die USA und Deutschland das Vorgehen stark kritisierten, sah sich Premier Benjamin Netanjahu gezwungen, wieder Hilfe zuzulassen, allerdings „nur das Nötigste“. Für die laufende Militäroperation rief er das Ziel aus, die Hamas zu vernichten und den Gaza-Streifen dauerhaft zu besetzen.
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