Angelika Müller, 67, ist Rentnerin und hilft ihrer Tochter bei der Kinderbetreuung. Das ist kein seltener Fall: Laut einer Erhebung des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung von 2022 wird mehr als jedes zweite Kind, das unter sechs Jahre alt ist, nach Bedarf oder regelmäßig von seinen Großeltern betreut. Müller beklagt, die Perspektive dieser Omas und Opas werde häufig vernachlässigt – und schildert ihre Erfahrungen und Probleme. Ihr Name wurde von der Redaktion geändert.

„Meine eigene Lebensgeschichte hat sich in meiner Tochter wiederholt: Ich habe sie allein großgezogen – und heute ist sie selbst alleinerziehende Mutter einer kleinen Tochter. Die Politik ist für Frauen wie uns nicht gemacht. Ich wünsche mir, dass sich das ändert – auch, weil es so viele von uns gibt.

Ich bin vergleichsweise spät Mutter geworden und war nach der Geburt schnell alleinerziehend. Ich habe keinen Unterhalt bekommen, weil der Erzeuger meiner Tochter aufgehört hat zu arbeiten, um nichts zahlen zu müssen. Er hat sich jahrelang arbeitslos gemeldet, damit ich kein Geld bekomme – obwohl das für unsere Tochter gedacht gewesen wäre.

Eine Zeit lang habe ich einen Unterhaltsvorschuss bekommen, aber das ist lange nicht das, was dem Kind eigentlich zusteht. Kinder kosten viel Geld. Ich hätte nie gedacht, dass Kinder so teuer sind, vor allem, wenn sie älter werden. Wir haben nicht am Hungertuch genagt, aber wir konnten keine großen Sprünge machen.

Früher war ich Kindergärtnerin. Aber irgendwann ging das nicht mehr. Wenn man die 50 überschritten hat, ist das schon heftig, 25 Kinder auf einmal zu betreuen. Ich hatte eine Art Burn-out und wusste danach, dass ich etwas ändern muss: Ich habe Plakate geklebt, geputzt, in einem Büro ausgeholfen und eine ältere Dame betreut. In einer Schulküche und auf einem Bauernhof habe ich auch mal gearbeitet.

Zwischendurch habe ich drei Jobs gleichzeitig gehabt. Das fand ich weniger anstrengend als die Arbeit im Kindergarten. Die nimmt man mit nach Hause. Beim Kellnern wusste ich hingegen, dass mir nach meiner Schicht alles egal sein kann und ich für nichts weiter verantwortlich bin – keine anderen Leben.

Ich habe viel gearbeitet, weil ich meiner Tochter etwas bieten wollte. So konnte sie die Ausbildung machen, die sie unbedingt machen wollte: zur Schauspielerin. Nicht viel später ist sie dann schwanger geworden.

„Überleg dir gut, was du auf dich nimmst“

Das war für mich ein Schlag. Ich fand das nicht gut und habe ihr gesagt: „Willst du das wirklich? Überleg dir gut, was du auf dich nimmst.“ Ich wusste, dass es mit dem Erzeuger des Kindes nicht funktionieren kann. Sie musste ihre eigenen Erfahrungen machen. Es ist ihr Leben und nicht meins.

Meine Tochter musste ihrer Vorgesetzten irgendwann von der Schwangerschaft erzählen. Sie hatte große Angst davor, aber ihre Vorgesetzte hat gesagt: ‚Zehn, zwölf Monate, das kriegen wir schon irgendwie rum.‘ Ich glaube, das lag daran, dass das eine Frau war. Mit einem Mann wäre das sicherlich schwieriger gewesen.

Nach einem dreiviertel Jahr hat sich die Beziehung meiner Tochter tatsächlich entzweit. In ihrem Beruf kann man keinen Halbtagsjob machen. Sie ist Schauspielerin. Das heißt, sie hat abends Proben von sieben bis elf Uhr oder Mitternacht, länger, wenn es der Premiere entgegengeht. Weil sie arbeiten gehen muss und will, passe ich in diesen Zeiten auf mein Enkelkind auf. Was soll ich anderes tun? Ich kann meine Tochter schlecht sitzen lassen und sagen: ‚Ich mache mir einen Lenz als Rentnerin.‘ Also fahre ich regelmäßig zu ihr und schlafe auf der Couch. Sie hat bald Premiere, deswegen fahre ich aktuell fast jeden Tag hin. Das ist schön, aber auch anstrengend. Eine Fahrt dauert mehr als eine Stunde.

Ich bin bei allem dabei. Im Grunde genommen bin ich der Ersatz für den, der nicht da ist: der Erzeuger meines Enkelkindes. Ich mache das gern, aber es ist auch fordernd.

Es ist nicht immer einfach zwischen mir und meiner Tochter. Aber sie hat keine Wahl. Sie muss mich nehmen, wie ich bin. Ich muss sie auch nehmen, wie sie ist. Das fällt uns beiden manchmal schwer, aber am Ende klappt es. Es muss ja klappen.

Ich will nicht die gesamte Männerwelt schlechtmachen und sicherlich sind nicht alle Väter so, aber diese Art von Erzeuger ruht sich auf der faulen Haut aus, kümmert sich wenig um das Kind und zahlt die Alimente nur unregelmäßig – aber will alle Rechte haben. Diesen Typen geht es nicht wirklich um das Kind. Das ist narzisstisches Gehabe – und sie kommen damit durch. Es gibt auch Fälle, in denen es umgekehrt ist, aber meistens sind es die Väter.

Man muss sich als Frau gut überlegen, ob man juristische Streitigkeiten beginnen will: Das ist ein unheimlicher Aufwand, auch finanziell – und am Ende interessiert es ohnehin die wenigsten Gerichte. So viele Frauen trauen sich nicht, Gewalt in der Partnerschaft oder dem Kind gegenüber zu beklagen, weil sie wissen, dass ihnen Hysterie vorgeworfen werden wird. Aber so kommt die Wahrheit nie auf den Tisch.

Ich habe mich schon oft gefragt, wieso Frauen nicht ernster genommen werden. Ich glaube, es ist so: Am Ende leben wir im Patriarchat, und in führenden Positionen sitzen hauptsächlich Männer. Frauen müssen lernen sich zu wehren, zu kämpfen, den Mund aufzumachen. Aber dann wirst du schief angeschaut, und wir Frauen wollen das nicht. Wir wollen, dass immer alles schön und harmonisch bleibt. Das muss sich ändern.

Unbezahlte Care-Arbeit

Es gibt so viele Großeltern, die ähnlich wie ich ihre Enkel betreuen. Wir arbeiten letztlich, aber bekommen dafür nichts, kein Geld und keine Rentenpunkte. Ich kann mich schlecht von meiner Tochter bezahlen lassen. Ich helfe ihr dabei, arbeiten zu gehen und so ja auch Steuern zu zahlen. Meinem Enkelkind helfe ich dabei, gut aufzuwachsen, um später ebenso in einem geregelten Beruf arbeiten und Steuern zahlen zu können. Das wird oft vergessen: Die Betreuung dieser Kinder ist notwendig für unser aller Zukunft.

Der Staat lässt mich und andere Großeltern trotzdem hängen. Es müsste sich einiges ändern, um Menschen wie mir ein wenig Respekt zu verschaffen:

Meine Rente ist relativ klein und ich bekomme eine Aufstockung. Es sollte eine Art finanzieller Stütze für Menschen wie mich geben, um die wir nicht erst bitten müssen. Oder die Kosten für den öffentlichen Nahverkehr könnten für Rentner – wie es in vielen nordischen Ländern der Fall ist – übernommen werden. Der Weg zu meiner Tochter kostet mich jedes Mal nicht nur Zeit, sondern auch Geld. Ich werde nicht nur für meine Leistung nicht bezahlt, – ich muss draufzahlen.

Ich habe früher im Chor gesungen. Das würde ich heute gern wieder tun. Außerdem würde ich gern Flamenco lernen und meine Freundin in Hamburg ab und an besuchen fahren. Aber dafür bräuchte ich das nötige Kleingeld – und Zeit. Beides habe ich nicht.

Mindestens jeden zweiten Tag denke ich darüber nach, was passiert, wenn mir etwas zustößt. Mein Enkelkind hat mich vor Kurzem gefragt: „Oma, wie alt bist du eigentlich?“ – „Ich bin 67.“ – „Du bist ja steinalt. Oma, wenn du mal stirbst, wer hütet mich da?“

Ich habe geantwortet, dass ich noch gar nicht so bald sterben möchte. Aber das macht mir schon große Sorgen.“

Uma Sostmann ist Volontärin bei WELT. Ihr Stammressort ist die Innenpolitik.

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