Der Verfassungsschutz hat im vergangenen Jahr deutlich mehr Extremisten im Blick gehabt als in den Jahren zuvor. Das geht aus dem Jahresbericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) für 2024 hervor, den Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) und der Vizepräsident des Inlandsgeheimdienstes, Sinan Selen, in Berlin vorgestellt haben.

Zu sehen sei, dass die „verfassungsgemäße Ordnung fast täglich Angriffen ausgesetzt ist“, sagte Dobrindt bei der Vorstellung des Berichts. „Wir rüsten uns gegenüber steigende Bedrohungen, sowohl auf der Straße als auch im Netz.“ Er verwies auf die wachsende Anzahl von Rechts- wie Linksextremisten.

Zahl der Rechtsextremisten und „Reichsbürger“ wächst

Dass die Zahl der Rechtsextremisten binnen eines Jahres um rund 23 Prozent auf 50.250 Rechtsextremisten anstieg, hat unter anderem mit dem Mitgliederzuwachs bei der AfD zu tun. Laut Bericht wurden im vergangenen Jahr 20.000 Mitglieder der Partei, die vom Verfassungsschutz 2024 als Verdachtsfall beobachtet wurde, dem rechtsextremistischen Personenpotenzial zugeordnet. Die AfD hatte nach eigenen Angaben im November 50.000 Mitglieder.

Im Verfassungsschutzbericht heißt es: „Die AfD stellt mit Blick auf ihre politischen und gesellschaftlichen Wirkungen und die Mitgliederzahlen den maßgebenden Akteur innerhalb des rechtsextremistischen beziehungsweise rechtsextremismusverdächtigen Parteienspektrums dar.“

Die Zahl der Rechtsextremisten, die vom Verfassungsschutz als gewaltorientiert eingeschätzt werden, stieg im vergangenen Jahr erneut an – um 800 Personen – auf nunmehr 15.300.

„Es überrascht jetzt nicht, wenn das Potenzial des Rechtsextremismus steigt, dass dann auch die gewaltorientierten Rechtsextremisten steigen“, sagte Dobrindt. „Aber es ist ein dramatischer Befund, dass das auch in dieser Geschwindigkeit vorangeht.“

Einen Aufwuchs sieht der Verfassungsschutz auch bei den sogenannten „Reichsbürgern“ und Selbstverwaltern. Hier schwoll das Personenpotenzial dem Bericht zufolge um 1000 Menschen auf rund 26.000 Menschen an. „Reichsbürger“ erkennen die Bundesrepublik Deutschland nicht als Staat an. Sie erkennen auch demokratische und rechtsstaatliche Strukturen wie Parlament, Gesetze oder Gerichte nicht an. Steuern, Sozialabgaben oder Bußgelder wollen sie nicht zahlen.

Dobrindt: Mehr Linksextremisten

Die Zahl der Linksextremisten wuchs 2024 laut BfV von 37.000 auf etwa 38.000 extremistische Linke. Auch hier spiele der Nahost-Konflikt eine Rolle, sagte Dobrindt. „Auch die linksextremistische Szene fungiert hier als Scharfmacher und Mobilisierungstreiber“, sagte er.

Bei den als gewaltorientiert eingeschätzten Linksextremisten blieb das Personenpotenzial mit 11.200 Extremisten auf dem Niveau des Vorjahres. Dobrindt verwies aber darauf, wie sehr die Anzahl der Personen in diesem Spektrum die vergangenen zehn Jahren zugenommen haben.

Intensivierung bei Islamismus erkennbar

Nach einem leichten Rückgang in den Jahren zuvor sieht der Verfassungsschutz aktuell wieder einen leichten Zuwachs bei islamistischen Gruppierungen. Das Islamismuspotenzial stieg um knapp vier Prozent auf 28.280 Personen an.

Das gewaltorientierte islamistische Personenpotenzial, das in diesem Jahresbericht erstmals ausgewiesen wird, schätzt die Sicherheitsbehörde auf 9540 Personen.

Die Bundesrepublik stehe weiter im Fokus der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS), betonte Dobrindt. Auch beim islamistischen Terrorismus entwickele sich eine Intensivierung, insbesondere bei jungen und allein handelnden Tätern.

Der Salafismus, seit Jahren eine der dynamischsten islamistischen Bewegungen, hat laut Verfassungsschützern gezielt junge Menschen im Blick. Zwar ging die Anhängerzahl seit 2021 hier leicht zurück, 2024 könnte sich laut Bericht aber eine Trendumkehr angebahnt haben. Eine verstärkte Missionierungsarbeit in den vergangenen drei Jahren habe zu einer Verjüngung der Anhängerschaft und zu einem leichten Anstieg des Personenpotenzials auf 11.000 Anhänger (2023: 10.500) geführt. Vor allem über die in Sozialen Medien präsenten Prediger und Akteure, von denen einige in ihrem Kommunikationsmuster herkömmlichen Influencern ähnelten, würden hunderttausende identitätssuchende junge Menschen erreicht.

Im Bericht heißt es: „Diese leicht beeinflussbare Zielgruppe konsumiert insbesondere Kurzvideos, in denen die salafistischen Influencer neben wiederkehrenden Themen wie ‚Paradies und Hölle‘ oder ‚wahre Muslime und Ungläubige‘ häufig Alltagsprobleme aller Art besprechen. Dabei setzen sie ihre extremistische religiöse Auslegung als Maßstab und geben den Nutzern vor, ob bestimmte Handlungen nach dem Islam erlaubt (‚halal‘) oder verboten (‚haram‘) seien.“ Mittlerweile nutzten Salafisten Elemente der Pop- und Jugendkultur, „um ihre religiös bemäntelte Ablehnung des demokratischen Rechtsstaats zu verbreiten“.

Angriffe aus In- und Ausland wachsen stark – „Low-Level-Agenten“ aus Russland

Angriffe aus dem In- und Ausland gegen die freiheitlich-demokratische Ordnung in Deutschland haben laut Verfassungsschutz im vergangenen Jahr weiter zugenommen. „Unser Land ist zunehmend Spionage und Sabotage sowie Cyberangriffen und Desinformation ausgesetzt“, heißt es im Vorwort. „Insbesondere der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine fordert die Arbeit unserer Cyber- und Spionageabwehr.“ Russland schrecke inzwischen auch vor Sabotage nicht zurück.

„Diese Aktivitäten werden auch zunehmend von sogenannten ungeschulten Einzeltätern vorgenommen“, sagte Dobrindt. Er sprach von sogenannten Low-Level-Agenten. „Das sind Menschen, die angeheuert werden, oftmals vielleicht gar nicht den genauen Umfang ihrer Taten erkennend und wissend zu Straftaten angestiftet.“ Als Beispiel nannte er Brandsätze in Luftfrachtpaketen im Frühjahr 2024 in Leipzig.

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