Es war wie ein Wunder. Während der drei Tage, an denen der Gipfel der Arabischen Liga (AL) in Bagdad Mitte Mai stattfand, gab es 24 Stunden Strom. Das hatte die irakische Hauptstadt seit 22 Jahren nicht erlebt, seitdem Amerikaner und Briten in den Irak einmarschiert waren und Saddam Hussein gestürzt hatten. Die acht Millionen Einwohner Bagdads wähnten sich bereits in einem neuen Zeitalter.

Sobald die Delegationen der 22 Mitgliedstaaten der Liga abgereist waren, brach die Stromversorgung jedoch wieder zusammen. Vier bis fünf Milliarden Dollar gibt die irakische Regierung angeblich jährlich für die Energieversorgung ihrer 45 Millionen Bürger aus – ohne Erfolg. Es heißt, die Lobby der Generatorenbetreiber sei zu mächtig und die Korruption zu grassierend.

Der Irak ist eines der korruptesten Länder weltweit. Das besagt der Index von Transparency International. Zurzeit gibt es vierzehn Stunden Strom aus dem staatlichen Netz, der Rest kommt vom Generator. Dabei ist das Land der zweitgrößte Ölproduzent der Welt und hat Reserven, die weitere 250 Jahre reichen.

Trotz des Stromchaos erstrahlt Bagdad gerade im Lichterglanz. Die ehemals gefährlichste Straße der irakischen Hauptstadt ist heute die sicherste und hell erleuchtet. Vom Flughafen in die Stadt sind Gebäude links und rechts angestrahlt, tragen Palmen bunte Lichterketten, sind Wasserspiele installiert, Brücken in wechselndem blau, grün und rot geschmückt.

Wie Tausend und eine Nacht könnte es aussehen, wären da nicht die bärtigen Mullahs mit ihren weißen und schwarzen Turbanen, schiitische Geistliche, die Saddam Hussein ermorden ließ und die al-Sadr hießen. Oder der weißhaarige Qassem Soleimani, Kommandierender der iranischen Auslandsbrigaden Al-Quds, der durch einen Drohnenangriff der Amerikaner Anfang Januar 2020 auf der Flughafenstraße von Bagdad ermordet wurde und seitdem in der ganzen Stadt präsent ist.

Den Befehl zu seiner Tötung gab damals Donald Trump in seiner ersten Amtszeit als US-Präsident. Auch Hassan Nasrallah, von Israel getöteter Hisbollah-Führer im Libanon, fehlt nicht in der Reihe der übergroßen Plakate schiitischer Märtyrer, die ebenfalls üppig angestrahlt werden und jedem zu erkennen geben, wer im Irak wichtig ist.

Provokation kurz vor dem wichtigen Gipfel

Aber damit nicht genug. Soleimanis Nachfolger Esmail Qaani traf in einem unangekündigten Besuch zwei Tage vor dem Arabergipfel in Bagdad ein, sprach mit den Spitzen der Iran-hörigen Schiitenmilizen. Eine Provokation sondergleichen. Von 22 eingeladenen arabischen Staatschefs kamen nur fünf, der Emir von Katar reiste ab, bevor er seine Rede hielt und auch die Vertretung der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) verließ vorzeitig den Konferenzpalast. Die Saudis waren erst gar nicht erschienen.

Der Gipfel wurde zum Flop, zu „einem Schlag gegen die Position Iraks in der Region und zeigte kein Vertrauen in Bagdads Möglichkeiten, die drängenden Probleme in der Region anzugehen“, sagt Nahro Zagros vom Gold Institute for Internationale Strategy, ein Thinktank aus Washington.

Als Vasall Teherans wurde Bagdad hinter vorgehaltener Hand gehandelt, „eine Kolonie Irans“, war da noch eine harmlose Bezeichnung. Iraner sind keine Araber und zudem mehrheitlich Schiiten, während die meisten der AL-Staaten mehrheitlich sunnitisch sind. In Bagdad schien die über Jahrhunderte andauernde Konfrontation der beiden Konfessionen wieder aufzuflammen.

Die Koranverse (al-Kauthar), die zum Anfang der Konferenz rezitiert wurden, sind umstritten und werden von Schiiten und Sunniten unterschiedlich interpretiert. Damit wurde der Finger in eine Wunde gelegt, von der viele gehofft hatten, dass sie jetzt endlich langsam vernarbe. Der Bürgerkrieg im Irak zwischen Sunniten und Schiiten 2006/07 und 2008 während der amerikanischen Besatzung scheint aber noch lange nicht überwunden.

Muhi al-Ansari sitzt im Garten und grübelt. Im Gegensatz zu den Politikern spielt Religionszugehörigkeit für ihn keine Rolle. Ob Sunniten oder Schiiten: „Wir sind alle Iraker.“ Der 33-Jährige repräsentiert die Generation der Aufständischen, die sich Tishreenies (die Zehner) nennen, weil sie im Oktober 2019 mit Massendemonstrationen das Land überzogen.

Er hatte drei Zelte am Tahrir Platz in Bagdad aufgebaut, kümmerte sich um die Medien und fütterte den saudischen TV-Sender NBC mit Informationen über die Protestbewegung. Er wurde zu einem ihrer Anführer. Als sie den Premierminister und seine Regierung gestürzt hatten, wähnten sie sich fast am Ziel. Der neue Übergangspremier Mustafa al-Kadhimi versprach baldige Neuwahlen und berief einen Beraterstab aus den Reihen der Tishreenies zu sich.

Al-Ansari nahm das Angebot an, wohl wissend, dass er damit die Protestbewegung spalten könnte. Doch dann kamen die Scharfschützen der iranisch-dominierten Schiitenmilizen und beendeten die Zeltstadt am Tahrir und alle anderen Demonstrationen im Land mit Gewalt. Amnesty International spricht von mindestens 600 Toten und fast 2000 Verletzten.

„Iran barra“, raus mit Iran, hatten die Demonstranten gerufen. Passiert ist das Gegenteil. Der iranische Einfluss habe seit dem niedergeschlagenen Aufstand enorm zugenommen, sagt Muhi. „Noch nie gab es so viel Iran im Irak wie heute.“

Seit 2020 unterhält al-Ansari das Rasheed Center, dokumentiert Menschenrechtsverletzungen, Einschränkungen der Meinungs- und Pressefreiheit, setzt sich für Bürgerrechte ein, die im Irak gerade auf dem Rückmarsch sind. In seinem „Irakischen Heim“, einer Villa im Bagdader Stadtteil Yarmouk, veranstaltet er Diskussionsabende zu unterschiedlichen Themen und legt Wert darauf, dass unterschiedliche Meinungen zu Wort kommen.

„Der Iran hat in der Region verloren“

Mithal al-Alusi saß zwei Amtsperioden als Abgeordneter im irakischen Parlament saß, hat seine säkulare Umma-Partei nach europäischem Vorbild gegründet und nimmt politisch kein Blatt vor den Mund. „Der Iran hat in der Region verloren“, sagt er.

Teheran sei durch die Niederlage der Hisbollah im Libanon geschwächt, in Syrien ist Baschar al-Assad, ebenfalls ein Verbündeter, gestürzt, der Hamas im Gaza-Streifen gehen die Kämpfer aus und der Jemen wird gerade von den Amerikanern bombardiert. Der schiitische Halbmond, den der Iran zu seinem Schutz aufgebaut hatte, zerbröckelt laut al-Alusi gerade.

Der Iran stelle sich derzeit neu auf, sagt der 74-Jährige, der seit Jahren den Einfluss Teherans in seinem Land beobachtet. Die Schiitenmilizen, die jahrelang vom Iran finanziert und trainiert wurden, halten zurzeit still – auf Befehl aus Teheran. Amerikaner und Israelis hatten dem Irak gedroht, ihn ebenfalls anzugreifen, sollten die Milizen gegen Israel vorgehen.

Und die Lage scheint sich zuzuspitzen: Die USA ziehen aus Sicherheitsgründen Personal aus ihrer Botschaft im Irak sowie aus militärischen Stützpunkten in der Region ab, verlautete ohne genauere Angaben aus amerikanischen und irakischen Kreisen. Im Irak sind 2500 US-Soldaten stationiert.

Trump hatte am Mittwoch erklärt, seine Zuversicht nehme ab, mit dem Iran werde ein Abkommen über das umstrittene Nuklearprogramm gelingen. Hintergrund sind Drohungen Israels, die iranischen Atomanlagen anzugreifen.

Türkische Waren werden verdrängt

Ein Angriff des Iran auf den Irak scheint hingegen unwahrscheinlich. „Einen Angriff auf den Irak riskiert der Iran derzeit nicht“, glaubt ein europäischer Diplomat in Bagdad. Teheran brauche den Nachbarn wirtschaftlich, er helfe Teheran, die Sanktionen zu umgehen. Durch den Irak komme der Iran an alles, was er brauche. Wie sonst könne Teheran weiter an der Atombombe bauen und Uran anreichern, sagt al-Alusi.

In der Wirtschaft ist der iranische Einfluss besonders sichtbar. Märkte und Supermärkte sind voll mit iranischen Produkten. Sie verdrängen derzeit die türkischen Waren – von der Unterwäsche bis zu Medikamenten. Im Verborgenen blüht dagegen ein anderes Geschäft: Iranischem Öl wird irakisches beigemischt und auf dem Weltmarkt als Öl aus dem Irak verkauft. Dieses Gemisch soll auch in die USA geliefert worden sein, obwohl die US-Sanktionen den Verkauf von iranischem Öl verbieten.

Diese Geschäfte werden über den Euro oder den chinesischen Yuan abgewickelt, um den US-Dollar zu umgehen. „Der Iran dringt derzeit in jeden Winkel unserer Gesellschaft ein“, sagt Aktivist al-Ansari. In Universitäten platziere er Gefolgsleute, die Schulbücher würden umgeschrieben und an die schiitische Leere angepasst.

Dem Iran treu ergebene Parlamentarier, die derzeit die Mehrheit in der Volksvertretung haben, bringen Gesetze gegen Alkohol und Homosexualität ein. Sie setzen die Scharia als Familienrecht in Kraft, die Kinderehen erlaubt und geschiedenen Frauen das Sorgerecht für die Kinder entzieht – ganz nach dem Vorbild der Mullahs in Teheran.

Als Nächstes sei ein Gesetz geplant, das die Meinungs- und Pressefreiheit einschränkt, sagt die kurdische Parlamentsabgeordnete Ala Talabani. Und wo steht Amerika? Die USA hätten nach wie vor viel zu sagen im Irak, sagt al-Ansari, zögen sich momentan aber zurück und überließen dem Iran das Feld. „Die USA haben uns dem Iran ausgeliefert.“

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