Shirin Ebadi hofft von ganzem Herzen: „Eines Tages werde ich in einen freien Iran zurückkehren.“ Die iranische Anwältin, die in wenigen Tagen 78 Jahre alt wird und 2003 den Friedensnobelpreis gewann, lebt seit 2009 im Exil in London. Dort traf sie die italienische Tageszeitung „La Repubblica“, die wie WELT zur Leading European Newspaper Alliance (Lena) gehört, zum Interview.

WELT: Frau Ebadi, was geschieht derzeit im Iran und wie geht es weiter?

Shirin Ebadi: Ich hoffe, dass mein Volk immer mehr zusammenrückt und die Iraner in ihrem Protest zusammenstehen. Das ist noch nicht der Fall. Aber derzeit werden in verschiedenen Städten und in Teheran immer mehr Parolen gegen das Regime laut, die ein Ende der Islamischen Republik fordern.

WELT: Stärken oder schwächen die israelischen Bomben Ihrer Meinung nach das iranische Regime?

Ebadi: Das kommt darauf an. Abgesehen von der staatlichen Propaganda hatte die Mehrheit der iranischen Bevölkerung nie Probleme mit den Israelis, weil das Regime sie nicht repräsentiert. Deshalb stoßen die Angriffe Israels gegen die Pasdaran (Islamische Revolutionsgarden, Anm. d. Red.) nicht auf Widerstand in der Bevölkerung. Aber die Stimmung der Bürger hat sich geändert, als Zivilisten und Infrastruktur angegriffen wurden, trotz der Erklärungen des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu in den ersten Stunden. Denn mein Volk hat in den letzten Jahren bereits viel gelitten, und bei diesem Tempo wird es für den Iran schwierig werden, sich wieder zu erholen.

WELT: Wie sehr kann eine solche ausländische Intervention dem Iran und dem iranischen Volk wirklich helfen?

Ebadi: Meiner Meinung nach werden militärische Interventionen und Krieg allein nicht dazu beitragen, das Regime zu stürzen. Der Schlüssel liegt im Internet.

WELT: Warum sind Sie sich da so sicher?

Ebadi: Weil das Regime offensichtlich noch aggressiver wird, wenn es sich online verwundbar fühlt. Vom ersten Tag an haben die Behörden gedroht, dass niemand Nachrichten jeglicher Art in den sozialen Medien teilen dürfe. Sie haben mehrere Personen verhaftet, darunter eine bekannte feministische Aktivistin, die gerade nach vielen Jahren aus dem Gefängnis entlassen worden war, nur weil sie den Krieg verurteilt hatte.

WELT: Werden die israelischen Bomben gegen die Ajatollahs Ihrer Meinung nach Wirkung zeigen?

Ebadi: Die Tötung zahlreicher Führer der Islamischen Republik trägt sicherlich zur Schwächung des Regimes bei, ebenso wie die Ausschaltung der Unterdrückungskräfte, die es am Leben erhalten, etwa das für die Regierung lebenswichtige Geheimdienstministerium. Aber das reicht nicht aus. Denn ich hoffe, dass das Regime durch die Iraner selbst und nicht durch einen Krieg ausländischer Mächte gestürzt wird.

WELT: Warum?

Ebadi: Weil Aktivisten von grundlegender Bedeutung sind und kommunizieren müssen. Das Ajatollah-Regime wäre in der Lage, bis zur letzten Rakete, bis zum bitteren Ende zu widerstehen. Es sei denn, die Iraner erheben sich vorher. Aber um sich organisieren zu können, müssen sie Informationen austauschen und Zugang zum Internet haben. Dann bin ich überzeugt, dass immer mehr Führungskräfte des Regimes sich davon überzeugen werden, die Ajatollahs zu verlassen und sich wieder dem iranischen Volk anzuschließen. Gegen die Islamische Republik.

WELT: Und was könnte dann passieren?

Ebadi: Wenn die jungen Iraner in ihrem Kampf unterstützt werden, könnte das Regime bald zusammenbrechen und der Iran könnte zu einem Referendum und zur Demokratie geführt werden.

WELT: Reza Pahlavi, Sohn und Erbe des Schahs von Persien, hat bereits seine Bereitschaft erklärt, das Land in einer Übergangsphase zu führen.

Ebadi: Das ist in Ordnung, aber das Regierungssystem im Iran muss in einem freien Referendum entschieden werden. In diesem Referendum kann das Volk zwischen einer Monarchie oder einer Republik als Staatsform wählen. Pahlavi hat nicht mehr Rechte als andere.

WELT: Glauben Sie, dass Sie den Iran noch zu Lebzeiten in Freiheit sehen werden?

Ebadi: Ich bin überzeugt, dass ich in mein demokratisches Land zurückkehren werde. Eines Tages wird es frei sein. In der Zwischenzeit bin ich hier, um den freien Menschen eine Stimme zu geben.

Dieses Interview erschien zuerst bei „La Repubblica“, wie WELT Mitglied der Leading European Newspaper Alliance (Lena).

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