Etwas unbemerkt hat sich hierzulande eine Branche entwickelt, die sich anschickt, den etablierten Raumfahrt-Nationen Konkurrenz zu machen. Das All gilt als Zukunftsbranche - Deutschland ist vorne dabei.

"Sie haben Ihr Ziel erreicht" - mehrmals täglich ist dieser Satz wohl in den allermeisten deutschen Autos zu hören. Das Navi, der zuverlässige Begleiter, der alle Wege kennt, führt verlässlich ans Ziel. Ursprünglich basierten die Daten, auf denen die schnellsten Routen berechnet werden, auf amerikanischen GPS-Satelliten. Inzwischen nutzen fast alle Geräte zusätzlich europäische Galileo-Satelliten, denn die sind zehnmal genauer als GPS.

Aus Oberpfaffenhofen bei München werden diese Galileo-Satelliten gesteuert, 30 Stück, finanziert von der EU. Neben der Steuerung der Galileo-Satelliten werden hier auch die Daten der europäischen Copernicus-Satelliten gesammelt. Das Europäische Copernicus Programm liefert Erdbeobachtungsdaten für den Umweltschutz, zur Klimaüberwachung, zur Einschätzung von Naturkatastrophen und für andere gesellschaftliche Aufgaben.

Diese weltweit flächendeckende Erdbeobachtung erfolgt mit Fotos, aber auch präzisen Daten zu Bodenbeschaffenheit, Vegetation, Wasser- und Luftqualität. Sie werden in einer riesigen Datenbank gesammelt und sind für jeden, der die Daten nutzen kann, kostenlos zugänglich.

KI entdeckt Auffälligkeiten an Pipelines

Daraus haben Sebastian Bußmann und Karsten Wiertz noch während ihres Studiums eine Geschäftsidee entwickelt. Das Start-up SuperVision Earth in Darmstadt nutzt die von den EU-Satelliten gesammelten Daten für industrielle Zwecke. Ihr erstes Produkt: Überwachung von Pipelines, die bisher regelmäßig mit Hubschraubern abgeflogen werden müssen. Das ist teuer.

Um Kosten zu senken, haben die jungen Hessen eine KI entwickelt. Sie erkennt in für menschliche Augen kryptischen Satellitenbildern, wo sich rund um eine Pipeline etwas verändert - zum Beispiel eine Baustelle, die nah an einer Pipeline ist. Dann kann eine Drohne dort gezielt kontrollieren, ob diese durch die Arbeiten beschädigt wurde. Es ist ein preiswerter Service, der von den Hessen weltweit angeboten werden kann.

Start-ups bekommen Förderung

Und das ist erst der Anfang: "Unser Ziel war von Anfang an, Satellitendaten, die wir aus dem Studium kennen, auch für realwirtschaftliche Zwecke anwendbar zu machen", sagt Bußmann, Mitbegründer von SuperVision Earth. So wolle man der Industrie zeigen, was alles möglich ist, "wo vielleicht Prozesse optimiert werden können." Das Potenzial sei groß, etwa in der Land- oder Forstwirtschaft.

Das scheint man auch anderswo zu sehen: Das Land Hessen und die Europäische Weltraumorganisation ESA hatten das Start-up vor fünf Jahren mit 50.000 Euro gefördert. In diesem Jahr peilt SuperVision Earth eine Million Jahresumsatz an.

Der Chef des Förderprogramms ist überzeugt, dass solche Unternehmen für Deutschland wichtig sind. "In Hessen haben wir schon 150 solcher Start-ups auf dem Weg gebracht und von denen sind zehn Prozent sehr erfolgreich", sagt Andreas Kanstein vom Centrum für Satellitennavigation Hessen (CESAH): "Für uns ist gerade dieser Mittelstandsaspekt sehr wichtig: Hier Unternehmer auf den Weg zu bringen, die jetzt mit Weltraum Geld verdienen und zukünftig die Basis für den Mittelstand sein werden."

Raumfahrtindustrie mit Milliarden-Umsatz

Viel Geld steckt in der weltweiten Raumfahrtindustrie: Laut der Unternehmensberatung McKinsey macht sie schon heute rund 570 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr. Und ist ein echter Wachstumsmarkt - in zehn Jahren sollen es 1.600 Milliarden Euro sein. Auch Europa will daran einen Anteil haben.

Erstmal aber kostet die Raumfahrt: Die von SuperVision Earth genutzten Copernicus-Satelliten kosteten laut EU-Kommission insgesamt acht Milliarden Euro. Ihren wirtschaftlicher Nutzen schätzt die Kommission auf mindestens 60 bis 140 Milliarden Euro in den nächsten zehn Jahren.

Raketen starten in den USA

Während man bei Satelliten Erfolge erzielen kann, ist das bei der Technik, die diese Satelliten ins All bringen soll, anders. Die europäische Ariane Rakete ist fast doppelt so teuer wie die amerikanische Konkurrenz. Darum sind fast alle europäischen Satelliten der letzten Jahre von Elon Musks SpaceX in den Orbit gebracht worden.

Generell sind die USA auf diesem Gebiet führend: Mit 145 gab es dort im vergangenen Jahr mit Abstand die meisten Raketenstarts. China hat 68 Raketen ins All geschickt, Russland 17, auf Platz vier liegt Neuseeland mit 13 Raketen. In Europa starteten im vergangenen Jahr nur drei Raketen. Nur ein Land hat noch weniger Raketen ins All gebracht: Nordkorea schoss eine Rakete in den Orbit.

Dabei müssen in den kommenden Jahren viele der europäischen Satelliten erneuert werden, erklärt Anke Pagels-Kerp vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR): "Wir haben Erdbeobachtungssatelliten, eine Kommunikationsflotte oder die Galileo-Flotte im All, die kommen so langsam in die Jahre. Das heißt, wir müssen die erneuern und es ist extrem wichtig - gerade wenn man sich die aktuelle politische Lage ansieht - dass wir in der Lage sind, unsere eigenen Satelliten in den Orbit zu bringen."

Mit Satelliten gegen Waldbrände

Und dabei geht es nicht nur um die EU-Satelliten, die in Oberpfaffenhofen gesteuert werden. Das Start-up Ororatech aus München hat einen Satelliten entwickelt, der eine Spezialkamera für hochauflösende Infrarotaufnahmen enthält, um Waldbrände aus dem Weltall zu entdecken. Und zwar schon dann, wenn das Feuer gerade einen einzigen Baum erfasst hat. Der Satellit kann das innerhalb von Minuten an örtliche Feuerwehren melden. Und zusammen mit Wetterdaten kann die Ausbreitung der Feuer präzise vorhergesagt werden.

Zehn solcher Satelliten haben sie schon ins All geschickt. Und die Nachfrage danach sei groß, sagt Axel Roennecke Vorstandsmitglied von Ororatech: "Immer mehr Einsatzkräfte und Behörden nutzen unsere Lösung, zum Beispiel in Kanada, in Griechenland und in Australien. Und durch die immer größere Häufigkeit der Feuer wächst der Bedarf enorm." Deshalb blicke man optimistisch in die kommenden Jahre: "Wir erwarten in den nächsten Jahren ein Umsatzwachstum auf über 100 Millionen Euro."

Abhängigkeit von den USA ist ein Problem

Weltweit einmalig ist die Technologie des Münchner Start-ups - und extrem klein: Die Satelliten sind kaum größer als der Schuhkarton für ein Paar Stiefel, miniaturisiert und vergleichsweise preiswert. Auch die Leitwarte, mit der sie gesteuert werden, passt in ein winziges Zimmer.

Doch auch hier bleibt ein Problem: Wie kommen die Mini-Satelliten ins All? Auch Ororatech flog seine ersten Satelliten mit SpaceX als kleine Beiladung in einer großen Rakete. Doch wann die startet und wo sie ihre Fracht aussetzt, entscheidet der Hauptkunde mit der großen Nutzlast. Und der sitzt eben meistens in den USA.

Diese Abhängigkeit sei ein Problem. "Wenn dort andere politische Entscheidungen getroffen werden oder die Nachfrage steigt, dann kann es sein, dass europäische Satelliten hinten anstehen müssen oder sogar ganz außen vor wären", fürchtet Axel Roennecke und betont: "Europäische oder auch deutsche Anbieter sind die Voraussetzung dafür, das riesige Geschäftspotenzial der Raumfahrt-Anwendungen auch wirklich nutzen zu können."

Absturz nach 30 Sekunden

Aktuell entwickeln sogar drei deutsche Firmen eigene Raketen. Sie sind kleiner, mit weniger Nutzlast, die dann aber punktgenau am gewünschten Ort ausgesetzt werden könnte. Der erste Startversuch der Münchner 'Isar Aerospace' ist Ende März aber nicht weit gekommen - nach nur 30 Sekunden stürzte sie ins Meer. Allerdings hat auch Musk jede Menge Raketen verloren, bevor der erste Start erfolgreich war.

Mit seinen sogar wiederverwertbaren Raketen scheint das amerikanische SpaceX aktuell allen anderen weit voraus. Doch da tröstet vielleicht ein Blick ins Archiv: 1974 stellte Europa den allerersten Airbus vor - zu einer Zeit, als Boeing schon Tausende Flugzeuge bis zum Jumbo Jet entwickelt und verkauft hatte. Inzwischen ist Airbus Weltmarkführer.

Ob das auch in der europäischen Raumfahrt gelingt? "Es gibt europaweit sehr viele von diesen Firmen. Wie viele von denen am Ende wirklich in den Markt rein kommen, wird die Zeit zeigen. Aber der Bedarf ist auf jeden Fall da", betont Pagels-Kerp vom DLR.

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