Zwei Tage nach den amerikanischen Militärschlägen gegen die iranischen Nuklearanlagen in Natanz und Fordo ist weiter unklar, wie viel Schaden die Amerikaner tatsächlich anrichten konnten. Und ob die umfangreichen, tief in den Berg eingegrabenen Anreicherungsanlage in Fordo tatsächlich zerstört werden konnte. Der amerikanische Generalstabschef Dan Caine sagte am Sonntag, dass es zusätzlicher Überprüfungen bedürfe, bevor das Pentagon ausschließen könne, dass einige der iranischen Atomanlagen die Angriffe überstanden hätten.
Rafael Grossi, Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), geht von erheblicher Zerstörung in Fordo aus. „Wenn man die Größe der benutzten Sprengladungen in Betracht zieht und die extreme Empfindlichkeit der Zentrifugen gegen Erschütterungen, dann ist zu erwarten, dass sehr erheblicher Schaden entstanden ist“, sagte Grossi am Montag in Wien.
David Albright ist Leiter des Institute for Science and International Security (ISIS) und einer der führenden Kenner des iranischen Atomprogramms. Er schreibt auf X, dass die Form der unterirdischen Anlage von Fordo bekannt sei, weil die Israelis in dem 2018 aus Teheran entführten Archiv des Atomprogramms Pläne der Anlage gefunden hätten. Nach der Auswertung aktueller Satellitenaufnahmen geht Albright davon aus, dass die amerikanischen Bomben über einen Luftschacht in die Anlage eingedrungen sind, über den die Haupthalle der Anlage mit tausenden von Anreicherungszentrifugen belüftet wurde.
Das legt nahe, dass die Amerikaner tatsächlich erheblichen Schaden anrichten konnten. Allerdings zeigten Satellitenbilder aus den Tagen vor den Angriffen auch, dass die Iraner die Schächte offenbar vorher mit Material gefüllt hatten, um die kinetische Energie eventueller Angriffe zu dämpfen. „Am Tag vor dem Angriff tauchten Lastwagen in der Anlage von Fordo auf, möglicherweise, um sensibles Gerät wegzuschaffen und sicherlich, um die Eingänge mit Dreck zu verschließen“, schreibt Jeffrey Lewis, Proliferationsexperte und Professor am Middlebury Institute im kalifornischen Monterey, auf X.
Das Institute for the Study of War (ISW) stellt nach Auswertung von Satellitenbildern fest, dass „mehrere Löcher/Krater mit großem Umfang auf dem Grat über dem Untergrundkomplex zu sehen sind. Eine Schicht von grau-blauer, durch die Luftangriffe ausgelöster Asche ist über einem großen Bereich der Anlage zu sehen.“ Zusätzlich seien mehrere Tunneleingänge zur unterirdischen Anlage verschüttet worden.
Die „New York Times“ berichtete am Sonntag unter Berufung auf zwei israelische Offizielle, dass die Amerikaner laut ersten israelischen Einschätzungen die Anlage von Fordo zwar deutlich beschädigt, aber nicht gänzlich zerstört hätten. Israel setzte am Montag seine Angriffe auf Atomanlagen fort.
Am zweiten Ziel der amerikanischen Angriffe, der Anlage in Natanz, hatten die Israelis im Vorfeld schon viele oberirdische Gebäude und unter anderem die Stromversorgung für die Anreicherungsanlage zerstört. Die Stromunterbrechung dürfte laut Einschätzung der IAEA vermutlich schon erheblichen Schaden an den Zentrifugen ausgelöst haben, auch wenn die Israelis die Zentrifugenhalle selbst noch nicht bombardiert hatten.
Das Atomprogramm ist noch nicht komplett zerstört
Das haben dann aber offenbar die Amerikaner getan, die zwei ihrer größten bunkerbrechenden Bomben auf Natanz abwarfen. „In Natanz ist ein Loch/Krater von einem Durchmesser von etwa fünfeinhalb Meter in der Erde zu sehen, der sich direkt über dem unterirdischen Militärkomplex befindet“, befindet das ISW.
Das dritte Ziel, die Atomanlagen von Isfahan, wurden von amerikanischen Tomahawk-Marschflugkörpern angegriffen, nicht mit den berüchtigten Bunker Bustern. Laut Auswertung des ISIS wurde „die Hauptanlage für die Urankonvertierung schwer beschädigt, wo natürliches Uran in Uranhexafluorid umgewandelt wird.“ Uranhexafluorid ist das Gas, das dann in Zentrifugen auf einen höheren Anreicherungsgrad gebracht wird, wie er für Atomsprengköpfe benötigt wird. Es seien auch Beschädigungen an den Tunneleingängen zu sehen, die zum Untergrundkomplex im Norden Isfahans führten.
Mindestens drei der vier Tunnel seien eingestürzt, der Status des vierten sei unklar. „Es ist möglich, dass erheblicher Schaden im Untergrundkomplex entstanden ist“, so das ISIS. Auch hier bezeugten Satellitenbilder von vor den Angriffen, dass die Iraner die Tunnel aufgefüllt hätten, um die erwarteten Explosionen zu dämpfen oder das Austreten gefährlicher Stoffe zu verhindern.
Wie viel Schaden genau die amerikanischen Angriffe ausgelöst haben – und wie weit das iranische Atomprogramm damit zurückgeworfen wurde, wird wahrscheinlich noch lange unklar bleiben. Experten sagen jedoch, dass Irans Atomprogramm bisher keineswegs komplett zerstört wurde.
„Am Ende gibt es wirklich wichtige Dinge, die noch nicht getroffen wurden“, sagte Proliferationsexperte Lewis der US-Nachrichtenseite „NPR“. „Wenn das hier endet, dann ist der Angriff unvollendet.“ So habe es bisher keine Anstrengungen gegeben, „den enormen Untergrundkomplex neben Natanz anzugreifen, wo Iran mehr Zentrifugen produzieren und andere Dinge tun kann“, schreibt Lewis auf X.
Der Iran habe im Jahr 2022 eine Anreicherungsanlage dorthin, „ins Herz des Berges“, gebracht. Es handele sich um einen Komplex von geschätzt 10.000 Quadratmetern Größe oder mehr. Zudem wisse niemand, was sich sonst noch darin befinde.
Lewis weist auch darauf hin, dass der Iran vor Kurzem angekündigt habe, über „eine neue Anreicherungsanlage an einem sicheren Ort“ zu verfügen. Das Land habe der IAEA angekündigt, dass es bereit sei, dort mit der Installation von Zentrifugen zu beginnen. Vor den Angriffen der Israelis und Amerikaner habe die IAEA sich darauf vorbereitet, diese neue Anlage in der Nähe von Isfahan zu inspizieren. Lewis zufolge ist sie bisher aber nicht bombardiert worden.
Die Experten Lewis und Albright weisen auch darauf hin, dass der Verbleib von 400 Kilogramm auf 60 Prozent angereichertem Uran – genug für etwa zehn Bomben – unklar ist. Israels Premierminister Benjamin Netanjahu sagte auf einer Pressekonferenz nur, er habe „interessante Geheimdienstinformationen“ über den Verbleib der Bestände – ohne das weiter auszuführen.
„Ich glaube man muss annehmen, dass signifikante Mengen dieses angereicherten Urans noch existieren, das ist also überhaupt noch nicht vorbei“, sagt Albright „NPR“. Er geht wie Lewis davon aus, dass der Iran angereichertes Uran vor den Angriffen auf die Atomanlagen an einen anderen Ort gebracht hat. Auf Satellitenbildern seien Lastwagen zu sehen gewesen, sowohl in Isfahan als auch in Fordo. „Man muss annehmen, dass die Lagerbestände an angereichertem Uran anderswohin gebracht wurden“, so Albright.
Angereichertes Uran befindet sich in kleinen Behältern, die sogar mit normalen Autos einfach an andere Orte gebracht werden könnten. Würden diese Bestände zu einer geheimen Anreicherungsanlage gebracht, könnten sie in relativ kurzer Zeit von 60 Prozent auf waffenfähige 90 Prozent angereichert werden. Es sei jedenfalls möglich, dass der Iran noch über tausende von Zentrifugen verfüge, die bisher noch nirgends installiert worden seien. „Das Programm wurde ernsthaft zurückgeworfen“, konstatiert Albright, „aber es gibt noch viele offene Themen.“
Clemens Wergin ist seit 2020 Chefkorrespondent Außenpolitik von WELT. Er berichtet vorwiegend über den Ukraine-Krieg, den Nahen Osten und die USA.
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