Das Bundeskriminalamt erhält neue Befugnisse bei der Überwachung des Umfelds von Terrorverdächtigen und dem behördenübergreifenden Austausch. Der Bundestag nahm am späten Donnerstagabend zwei Gesetzesentwürfe zur Änderung des Bundeskriminalamtgesetzes mit den Stimmen von Union, SPD und AFD an. Die Linksfraktion und die Fraktion der Grünen stimmten dagegen.
Was ändert sich im Kern? Daten von Beschuldigten dürfen nur gespeichert werden, wenn die Sicherheitsbehörden zuvor eine sogenannte Negativprognose durchgeführt haben, die detaillierter ausfallen muss als bisher. Dabei geht es um eine polizeiliche Einschätzung, ob eine Person zukünftig mit großer Wahrscheinlichkeit Straftaten begehen wird. Erst dann dürfen die Daten im polizeilichen Informationsverbund genutzt werden. Hier hatte das Gericht Nachbesserungen gefordert.
Heimliche Überwachung von Kontaktpersonen Verdächtiger
Der Schwerpunkt des zweiten Gesetzesentwurfes ist die heimliche Überwachung von Kontaktpersonen von Verdächtigen, meist um terroristische Bedrohungen abzuwehren. Die neuen gesetzlichen Regelungen konkretisieren nun, gegen wen sich solche – in der polizeilichen Praxis eher selten genutzten – Maßnahmen richten dürfen: Gegen Personen, die nicht nur in einem zufälligen Kontakt mit einem Terrorverdächtigen stehen, die von der Vorbereitung einer Tat Kenntnis haben oder davon profitieren und derer sich ein Verdächtiger für die Begehung einer Tat bedienen könnte.
Der parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium Christoph de Vries (CDU) sagte in seiner Rede: „Bei einer Serie von Wohnungseinbrüchen muss ein Polizist aus Hamburg auch auf Erkenntnisse aus Bayern zugreifen können. Verfügbarkeiten dürfen nicht an Ländergrenzen haltmachen.“ Auch bei Terrorismusabwehr müsse es für das Bundeskriminalamt möglich, das Umfeld in einem rechtlich eng abgesteckten Rahmen in den Blick zu nehmen. Mit den neuen Änderungen stärke man Rechtssicherheit und Innere Sicherheit.
Der Grünen-Abgeordnete Lukas Benner mahnte an, die Koalition habe hier schnell vor der Sommerpause noch Entwürfe vorlegen wollen. Er halte die Gesetzesentwürfe für „überarbeitungsbedürftig“ und fürchte eine weitere Befassung Karlsruhes. Der Linken-Innenexperte Jan Köstering sagte: „Um dem Datenschutz zu genügen, muss es ein besseres Schutzkonzept geben.“
Doch dazu kommt es nun nicht, die Änderungen sind beschlossen. Damit macht die Koalition ein Versprechen wahr, das sich auch an anderen Stellen des Koalitionsvertrags findet. Man könnte es unter dem Motto „Sicherheit geht vor Datenschutz“ zusammenfassen. Sei es die dreimonatige Speicherpflicht für IP-Adressen und Portnummern, um Straftäter besser zu ermitteln oder der verbesserte Austausch zwischen den Sicherheitsbehörden über Landesgrenzen hinweg: Die Befugnisse der Sicherheitsbehörden sollen wachsen, auch gegen Datenschutz-Bedenken. Nur so, davon sind besonders Unionspolitiker überzeugt, sei heute modernde Polizeiarbeit möglich. Bei der Auswertung großer Datenmengen erhofft man sich auch von automatisierten und KI-gestützten Prozessen einen Schub in der Verbrechensbekämpfung.
Das Bundesverfassungsgericht hatte im Oktober 2024 beim Bundeskriminalamt-Gesetz Änderungsbedarf erkannt. Einzelne gesetzliche Befugnisse zur Datenerhebung und -speicherung seien in Teilen verfassungswidrig, entschied das Gericht in Karlsruhe. Sie seien mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nicht vereinbar. Unter anderem bemängelte das Gericht die heimliche Überwachung von Kontaktpersonen von Verdächtigen.
Die Gesellschaft für Freiheitsrechte hatte bei den obersten Richtern in Karlsruhe gegen mehrere Regelungen des 2017 unter dem damaligen Innenminister Thomas de Maizière (CDU) reformierten BKA-Gesetzes Verfassungsbeschwerde eingereicht. Der gemeinnützige Verein hatte konkrete verfassungsrechtliche Maßstäbe für das Sammeln und Speichern von Daten gefordert.
Die Karlsruher Richter hatten dem Gesetzgeber ursprünglich eine Frist bis zum 31. Juli 2025 zur Umsetzung gesetzt. Auch deshalb preschte Schwarz-Rot nun schon in den ersten Wochen der Legislatur mit seinen Gesetzesvorhaben vor. Inzwischen wurde die Frist aus Karlsruhe bis März 2026 verlängert – auch deshalb hatten mehrere Sachverständige in einer Anhörung Anfang der Woche dafür plädiert, sich mehr Zeit für die Prüfung der Neuerungen zu nehmen. Professor Matthias Rossi von der Universität Augsburg etwa befürchtete, dass das Gesetz erneut auf den Prüfstand des Bundesverfassungsgerichts gelangen werde.
Alexander Throm, innenpolitischer Sprecher der CDU/CSU Fraktion, widersprach dieser Lesart: „Das Bundesverfassungsgericht hat die Anforderung an die polizeiliche Arbeit erhöht, und die Gesetze erfüllen diese Anforderung. Die Sicherheitsbehörden brauchen so schnell wie möglich Klarheit darüber, dass sie ihren Auftrag auch weiterhin erfüllen dürfen. Ich sehe keinen Grund, warum wir dieses Gesetz verzögern sollten – zumal der Bundesrat auch noch zustimmen muss.“
Korrespondent Philipp Woldin kümmert sich bei WELT vor allem um Themen der inneren Sicherheit und berichtet aus den Gerichtssälen der Republik.
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