Das Datum war bewusst gewählt, an dem Berlins Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe via Pressemitteilung den neuen Posten verkündete. „Am 1. Juli, dem internationalen Tag gegen antimuslimischen Rassismus, setzt das Land Berlin erstmals eine Ansprechperson zur Bekämpfung von antimuslimischem Rassismus ein“, hieß es darin. Als Grund nannte sie den „besorgniserregenden“ Anstieg von Fällen an Diskriminierung gegen Menschen, die dem Koran folgen. Die Sozialdemokratin präsentierte auch schon die für den Job Ausgewählte: Yücel Meheroğlu, 41 Jahre alt und „promovierte Wissenschaftlerin mit dem Schwerpunkt Rassismus- und Vorurteilsforschung“.
Allerdings: Es handelte sich ganz offenkundig um eine einsame Entscheidung der SPD-Politikerin. Im Senat wusste nach allem, was über den Vorgang bekannt ist, niemand davon, nicht einmal der Regierende Bürgermeister Kai Wegner. Der Christdemokrat erfuhr es aus den Medien, die News hatte zuerst der „Tagesspiegel“ am Dienstagmorgen in seinem morgendlichen Newsletter gemeldet – unter Berufung auf Kiziltepe. Nach Angaben aus der Koalition sollen selbst die SPD-Kolleginnen und -Kollegen in der Landesregierung überrascht gewesen sein.
Wegner pfiff seine Senatorin umgehend zurück, sie musste ihre Erklärung löschen. Wer sie im Internet aufzurufen versucht, bekommt eine Fehlermeldung.
Dadurch kam es zu einer skurrilen Situation. Auf der Pressekonferenz nach der Senatssitzung informierte Kiziltepe über die soeben beschlossene Bundesratsinitiative der „Regenbogenhauptstadt“, wie sie Berlin nannte, mit dem Ziel, einen Satz in Artikel 3 des Grundgesetzes um „sexuelle Identität“ zu erweitern. Momentan lautet er: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“
Journalisten erkundigten sich nach dem Vorgang rund um die – rasch wieder – gecancelte Anti-Rassismus-Stelle. Kiziltepe versuchte daraufhin, die morgendliche Pressemitteilung als Absichtserklärung erscheinen zu lassen. Sie sagte, die Koalition aus SPD und CDU habe sich verpflichtet, entschlossen gegen Diskriminierung von Muslimen vorzugehen und alles zu tun, damit die Stadt bunt und tolerant bleibe.
„Deshalb habe ich mich in der Öffentlichkeit dazu geäußert“, dass Berlin die „Ansprechperson braucht“ und sie diese am „Internationalen Tag gegen antimuslimischen Rassismus auch benennen möchte“. Doch dann räumte sie ein: Über Aufgaben und Funktion des Postens „haben wir noch Abstimmungsbedarf“. Sie sei „sehr zuversichtlich“, dass der Dissens gelöst werden könne.
Da aus den Aussagen das harte Nein Wegners, der richtig verärgert gewesen sein soll wegen des Affronts, nicht abzulesen war, ergriff Senatssprecherin Christine Richter das Wort. „Ich möchte gerne ergänzen“, begann sie, die zwei Stühle neben Kiziltepe saß, und setzte fort: „Also die Senatorin hat die Pressemitteilung, die heute Morgen verschickt wurde, zurückgezogen.“ Denn weder in Staatssekretärsrunden noch im Senat sei das Thema je diskutiert worden. „Es gab keinen Austausch im Vorfeld, es gab keine Senatsbesprechungsunterlage.“ Dann setzte Wegners Sprecherin noch einen drauf: „Der Regierende Bürgermeister hat dann heute festgestellt, dass es keine Einigung dazu gibt.“ Daher existiere der Posten auf Landesebene nicht.
Die Frage, ob sie geglaubt habe, über die Stelle allein und ohne Absprache in der Koalition entscheiden zu können, beantwortete die Senatorin nicht. Sie sagte, die Schaffung des Jobs „zieht keine finanziellen oder große Veränderungen mit sich“. Die Senatorin stellte ihren Vorstoß als Beitrag zur Erfüllung des Koalitionsvertrags dar. Dort heißt es, eine Expertenkommission werde „eine ressortübergreifende Handlungsstrategie gegen antimuslimischen Rassismus auf den Weg bringen“, und dazu gehörten zumindest „Monitoring, eine Sensibilisierungskampagne sowie die Stärkung der bestehenden Beratungs- und Empowerment-Strukturen“.
„Es ist richtig, dass Frau Kiziltepe dazu eine Landesstrategie entwickeln soll“, sagte Senatssprecherin Richter auf Anfrage. „Aber die Ansprechperson ist explizit nicht im Koalitionsvertrag erwähnt.“ Kiziltepe könne die Stelle für ganz Berlin nicht im Alleingang schaffen. Da Diskriminierung von Muslimen in diversen Bereichen der Gesellschaft vorkomme, müsse das Problem ressortübergreifend angegangen werden. Allein deshalb sei eine Abstimmung im Senat notwendig.
Unklar ist, ob Kiziltepe die Stelle hätte öffentlich ausschreiben müssen. Auf Nachfragen von WELT wich sie aus oder antwortete gar nicht, etwa zur Qualifikation der Auserkorenen. Eine Sprecherin der SPD-Politikerin teilte mit: „Informationen zu Dr. Meheroğlu und ihre wissenschaftliche Arbeit sind im Internet zu finden.“ Dort ist die Doktorarbeit abzurufen. Zuletzt sei die Frau „wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Bundesgeschäftsstelle der Melde- und Informationsstelle Antiziganismus (MIA)“ gewesen.
Zum Verhalten Wegners lehnte die Sprecherin ebenfalls einen Kommentar ab. Zum Vorwurf, dass es „keinen Austausch“ im Senat über das Ansinnen gegeben habe, erklärte sie, die Haltung der Senatorin sei „seit Langem öffentlich bekannt und nachlesbar“.
Berliner CDU sieht Judenhass als drängenderes Problem
Tatsächlich hatte die Sozialdemokratin im März ihr „Ziel“ bekannt gegeben, „dass diese Person am 1. Juli ihre Arbeit aufnimmt“. Danach habe sich die Wissenschaftlerin per „Initiativbewerbung“ an die Senatsverwaltung gewandt. „Die Besetzung erfolgte im üblichen Verfahren mit Zustimmung des Personalrats“, ergänzte die Sprecherin. „Solange“ die Koalition „Klärungsbedarf“ habe, „wird Dr. Meheroğlu als Ansprechperson der Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung (SenASGIVA) tätig sein“.
Eine Einigung wird allerdings dauern. Die CDU im Landesparlament bescheinigt Kiziltepe falsche Prioritätensetzung. Der Fraktionsvorsitzende Dirk Stettner sagte WELT: „Natürlich geht es nicht, dass eine Senatorin im Alleingang versucht, durch die Hintertür ihr eigenes politisches Ziel durchzusetzen und den Koalitionspartner zu düpieren.“ Die zuständige Kommission berate in zwei Wochen zum Thema Islamfeindlichkeit. Diese Sitzung hätte Kiziltepe „mindestens“ noch abwarten müssen. „Sie schadet damit ihrem Anliegen, das in der CDU grundsätzlich geteilt wird, nämlich Rassismus und Diskriminierung aller Art zu bekämpfen.“
Die CDU macht sich für die Installierung eines Antisemitismus-Beauftragten speziell für die Berliner Universitäten stark. Stettner sagte, aus Sicht der Christdemokraten müsse zuerst geklärt werden, wo vorrangig angesetzt werde: „Wo ist höchster Handlungsbedarf? Da sagen wir klar: beim Judenhass.“ Opfer dürften nicht gegeneinander ausgespielt oder verrechnet werden. „Aber wie viele Muslime wohnen in Berlin? Und wie viele Juden?“ Das müsse ins Verhältnis gesetzt werden.
Heftige Kritik nicht nur an Kiziltepe, sondern auch an Wegner und seiner Regierung kommt von den linken Oppositionsparteien im Landesparlament, die das Vorhaben der angedachten Stelle im Grundsatz unterstützen. Elif Eralp, antidiskriminierungspolitische Sprecherin der Linksfraktion sprach von „Chaos“. Das Durcheinander beschädige den Posten, der angesichts „massiver Diskriminierung“ von Muslimen wichtiger denn je sei. Dass die CDU das Vorhaben nicht unterstütze, verwundere nicht. Diese engagiere sich zu wenig für den Schutz der Betroffenen.
Werner Graf, Fraktionsvorsitzer der Grünen, sagte auf Anfrage von WELT: „Gut gemeint ist eben nicht gut gemacht.“ In Wegners Senat wisse die linke Hand nicht, was die rechte tue. „Diese Posse offenbart, dass dieser Senat sein Regierungshandwerk nicht versteht. Am Ende wurde aus einer guten Idee mal wieder Regierungschaos, dass nur Verlierer kennt.“
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