Die Union will die deutlich gesunkenen Asylantragszahlen weiter verringern und dazu die geplante große EU-Asylreform verschärfen. „Damit die Zahlen weiter rückläufig bleiben und wir den Migrationsbewegungen und vielfältigen Krisen unserer Zeit wirksam begegnen können, muss auch das Europäische Asylsystem nachgeschärft werden“, sagte der CDU-Innenpolitiker Alexander Throm WELT. „Dafür gibt es jetzt ein Zeitfenster, da sich eine Mehrheit der EU-Staaten und des EU-Parlamentes für eine nachhaltige Migrationswende einsetzt. Deutschland wird hierbei treibende Kraft sein und nicht mehr wie bisher​ blockieren.“

Am Samstag hatte das Bundesinnenministerium neue Zahlen veröffentlicht: Im Juni seien weniger als 7000 Asyl-Neuanträge gestellt worden – „das niedrigste Niveau seit über einem Jahrzehnt“, wenn man die Corona-Pandemie ausnehme. „Das sind deutliche Erfolge der Migrationswende“, erklärte Minister Alexander Dobrindt (CSU). „Wir gehen den Weg, die Migration wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen, konsequent weiter.“

In der Tat zeigen die ausführlichen Zahlen, die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am Montag veröffentlichen wird, eine bemerkenswerte Entwicklung. Demnach wurden im gesamten ersten Halbjahr 61.336 Asylerstanträge von der Behörde entgegengenommen. Niedriger lag der Wert zuletzt 2013, wenn man das Pandemie-Jahr 2020 ausnimmt.

Allerdings machen die Daten auch deutlich, dass der Rückgang nicht mit dem Amtsantritt der neuen schwarz-roten Bundesregierung einsetzte. Tatsächlich sinken die Zahlen schon seit Monaten. Im November 2023 beantragten demnach 35.316 Personen erstmals Asyl, im Januar 2024 dann 26.376 Personen, im Januar 2025 schließlich 14.920 Personen. Im April lag der Wert bei 9108 Personen.

Die neuesten Zahlen reihen sich also ein in eine Entwicklung, die deutlich vor der Dobrindts Migrationswende begann. Allerdings könnten seine Maßnahmen nach Ansicht von Experten dazu führen, die Zahlen noch weiter zu drücken. Eine Gesamtzahl von weniger als 100.000 Asylsuchenden pro Jahr scheint nach mehr als einem Jahrzehnt wieder möglich.

Rückgang vor allem bei Syrern

Auffällig ist vor allem der Rückgang bei syrischen Asylbewerbern – lange Zeit die stärkste Zugangsgruppe. Im ersten Halbjahr 2025 stellten nur noch 14.633 Syrer einen Asylerstantrag, deutlich weniger als im ersten Halbjahr 2024, als die Zahl bei 37.633 lag. Offenbar macht sich der Sturz des syrischen Diktators Baschar al-Assad im Dezember 2024 nun in den Zahlen bemerkbar.

Auch aus den anderen beiden wichtigen Asylherkunftsländern Afghanistan und Türkei nahmen die Migrationsbewegungen ab. Afghanen stellten im ersten Halbjahr 2025 noch 11.139 Erstanträge, im selben Vorjahreszeitraum waren es 19.511 Erstanträge gewesen. Türken reichten von Januar bis Ende Juni 2025 6438 Erstanträge ein – im Vergleich zu 15.782 Erstanträgen im ersten Halbjahr 2024.

Für die sinkenden Zahlen in den vergangenen Monaten machen Experten ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren verantwortlich. Schon im Oktober 2023 hatte die damalige Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) Grenzkontrollen zu Polen, Tschechien und der Schweiz angeordnet, im September 2024 weitete sie diese Maßnahmen auf alle Grenzabschnitte aus. Die Folge: Wer unerlaubt einreisen will und nicht glaubhaft Asyl sagt, kann seitdem an den Grenzen zurückgewiesen werden. Zehntausende wurden schon damals an der Einreise gehindert.

Hinzu kamen vorgelagerte Maßnahmen. So weitete etwa Serbien die Schleuserbekämpfung ab Oktober 2023 deutlich aus, in der Folge kamen weniger Migranten überhaupt an Deutschlands Grenzen an. Weitere politische Schritte machten die Reise nach Deutschland eher unattraktiver. So wurden etwa Leistungen für bestimmte Migranten gekürzt.

In diesen Trend reiht sich nun auch Dobrindts Asylpolitik ein. Seit 8. Mai 2025 darf die Bundespolizei auch Asylbewerber an der Grenze zurückweisen. Bürgerkriegsflüchtlinge, die nur subsidiären Schutz erhalten haben, dürfen ihre Familie in der Regel nicht mehr nachholen. Wer aus einem sogenannten sicheren Herkunftsstaat einreist – die Liste will der Bund ausweiten – muss mit schärferen Regeln im Asylverfahren rechnen. So muss er zum Beispiel während des gesamten Verfahrens in einer Erstaufnahmeeinrichtung wohnen.

Zum Teil handelt es sich dabei um symbolische Maßnahmen – so wurden etwa an den Grenzen bislang nur eine überschaubare Zahl von Asylbewerbern tatsächlich zurückgewiesen. Doch diese Symbolik ist gewollt. Die Migranten, so hatten es Unionspolitiker in den vergangenen Monaten betont, sollten wahrnehmen, dass sich die Migrationspolitik in Deutschland geändert habe. Und Dobrindt will die geplante Asylreform auf EU-Ebene so nachjustieren, dass das sogenannte Verbindungselement wieder gestrichen wird. Es besagt, dass Ausländer nicht ohne Weiteres in Drittstaaten abgeschoben werden können, sondern nur in Länder, zu denen sie einen konkreten Bezug haben — familiäre Verbindungen etwa.

SPD-Fraktionsvize Sonja Eichwede verwies auf die Rolle Faesers sowie auch auf die Entwicklungen in Syrien und intensivere Kontrollen auf dem Westbalkan. „Damit diese Entwicklung nicht nur ein kurzer Moment des Aufatmens bleibt, sondern nachhaltig wird, braucht es jetzt klare, gemeinsame Regeln in Europa“, sagte Eichwede WELT. „Das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) muss zügig Wirklichkeit werden als ein Netz, das Grenzen schützt und Menschlichkeit bewahrt. Denn nur wenn wir gemeinsam Verantwortung tragen, bleibt der Schengen-Raum ein Raum der Freiheit.“ Anders als die CDU spricht sie nicht von Verschärfungen.

Der AfD-Innenpolitiker Gottfried Curio kritisierte, rund 61.000 Erstanträge im ersten Halbjahr seien immer noch sehr viel und würden für das Gesamtjahr immer noch weit mehr als 100.000 Anträge bedeuten, obwohl Kommunen schon jetzt klar überlastet seien. „Was wir in Deutschland wirklich brauchen, ist eine Netto-Abwanderung von Drittstaatlern und nicht bloß eine etwas geringere Netto-Zuwanderung.“ Handlungssouveränität gewinne Deutschland nur, wenn man verhindere, dass Migranten überhaupt illegal in die EU gelangen, wie es etwa durch Vereinbarungen der EU mit nordafrikanischen Transitstaaten versucht werde. „Eine stabilere Lösung, um die sich die neue Regierung bemühen muss, wäre unter anderem eine Verlagerung von Verfahren und Aufnahme in Drittstaaten wie Ruanda; dies wäre ein wirklicher Systemwechsel.“

Linke-Fraktionsvize Clara Bünger nannte es absurd, Grenzkontrollen und Zurückweisungen als Erfolg zu feiern, wenn der Preis dafür Rechtsbruch und ein Rückfall in nationale Abschottung sei. „Dobrindt inszeniert Härte, aber was er wirklich schafft, ist Chaos, Unrecht und ein gefährlicher Dominoeffekt. Jetzt kündigt Polen eigene Grenzkontrollen an – als direkte Antwort auf die deutsche Kontrollpolitik. So bricht nicht nur das Vertrauen, sondern auch das europäische Miteinander.“

Von den Grünen war keine Stellungnahme zu erhalten.

Die BSW-Vorsitzende Sahra Wagenknecht kritisierte, die Zahlen seien „immer noch hoch“ und bedeuteten eine Überforderung für die Republik. „Hochgerechnet nimmt Deutschland damit auch 2025 die nächste Großstadt auf.“ Und die meisten Migranten seien nach wie vor nicht schutzbedürftig, aber blieben trotzdem im Land und erhielten Leistungen. „In den Nullerjahren lagen die Zahlen bei rund 30.000. Dahin müssen wir zurück.“

Thorsten Lieb, Mitglied des FDP-Bundesvorstandes betonte ähnlich wie die Union: „Die im letzten Jahr auf EU-Ebene beschlossene GEAS-Reform muss dazu schneller umgesetzt werden, und wir müssen uns genau anschauen, wo gegebenenfalls nachzuschärfen ist.“ Es müsse gelten: „Einwanderung in den Arbeitsmarkt muss einfacher sein als Einwanderung in die Sozialsysteme.“

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