Andreas Rödder, 57, ist Professor für Neueste Geschichte an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz und CDU-Mitglied. Bis September 2023 war er Vorsitzender der CDU-Grundwertekommission, trat aber nach parteiinterner Kritik zurück.
Politico: Herr Rödder, was ist der größte Fehler, den die Union bei der Richterwahl machen kann?
Andreas Rödder: Der größte Fehler ist, selbst Konzessionen zu machen, konsensorientiert und kompromissbereit zu sein und nicht auf die Gegenleistung zu drängen, dass die andere Seite das auch sein soll. Denn dann kommt ein Ungleichgewicht hervor, das letztendlich die Demokratie beschädigt.
Politico: Aber die Union möchte ja selber einen Kandidaten durchbringen. Das ist ein Paket. Insofern ist es doch ein Kompromiss.
Rödder: Nun, die Union hat auf ihren Kandidaten verzichtet, weil die Grünen diesen Kandidaten als zu konservativ kritisiert haben. Die bürgerliche Rechte kritisiert eine von der SPD vorgeschlagene Kandidatin. Die Reaktion ist die, dass Rot-Rot-Grün eisenhart an der Kandidatin festhalten.
Politico: Das heißt, Sie würden sagen, dass die Union unbedingt durchsetzen soll, dass die Kandidatin ausgetauscht wird, mit dem Preis, dass es einen großen politischen Kampf geben würde?
Rödder: Richterwahlen sind ein ganz sensibles Thema. Überlegen Sie mal, wie wir über die Bestellung von Richtern in Ungarn oder durch Trump in den USA reden. Ein ganz sensibles Thema. Und wir haben ein Prinzip eingeführt, dass diese Richterwahl an den Konsens der Mitte gebunden ist. Jetzt tut die Union das, aber die Linke tut das nicht. Ich meine, was ist denn das für ein gesellschaftlicher Konsens, der da angestrebt wird? Und insofern muss die Union, wenn sie glaubwürdig bleiben will, hier auf gleichem Recht für alle bestehen. Der gesellschaftliche Konsens gilt für die Bürgerlichen genauso wie für die Linken.
Politico: Andererseits ist ja gerade die Politisierung des Prozesses in Ungarn oder in den USA auch etwas, was man kritisieren könnte, was in Deutschland ja vielleicht nicht so sein muss. Durch Debatten, wie Sie sie jetzt anstoßen, wird das ja eher noch schlimmer.
Rödder: Na, aber die Debatten sind doch geführt worden. Genau mit diesen Argumenten sind doch immer die Kandidaten herausgenommen worden, die eine Seite für nicht konsensfähig gehalten hat. Und genau das haben wir jetzt genau so erlebt. Die Grünen haben den von der Union vorgeschlagenen Kandidaten als zu konservativ kritisiert. Die Union nimmt sich ihrerseits das Recht heraus, dasselbe andersherum zu tun. Ein völlig normaler Vorgang in unserem konsensorientierten Richterwahlverfahren. Nur die Linke ist der Meinung, für sie gilt das nicht. Und dieses Ungleichgewicht, das beschädigt den Konsens.
Politico: Die Union hat ja noch eine zweite Herausforderung. Sie braucht erst mal eine Zwei-Drittel-Mehrheit, für wen auch immer. Da müsste die Linke ja tendenziell mitstimmen wollen. Wie kommt man daraus?
Rödder: Das ist natürlich schon mal das nächste Problem, das die Union hat. Damit ist nämlich der Unvereinbarkeitsbeschluss mit der Linken und mit der AfD, der doppelte Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU, massiv infrage gestellt. Das greift auch ihre Glaubwürdigkeit grundsätzlich an. Das ist das Grundsatzproblem, das dieser neue Bundestag mit seiner Mehrheit hat.
Politico: Was ist die Lösung?
Rödder: Die Lösung wäre zunächst einmal, dass die linke Seite der Union Kompromissbereitschaft signalisiert und nicht die Abhängigkeit der Union von Rot-Rot-Grün dazu nutzt, Schwarz-Rot ein linkes Diktat aufzuerlegen.
Politico: Aber Herr Rödder, jetzt ist es ja so, dass die Union andere Posten bei der Linkspartei nicht mitgewählt hat. Jetzt geht es in die andere Richtung. Ist das nicht auch verständlich?
Rödder: Für die Linkspartei ist das natürlich verständlich. Das ist das Problem, das wir im Moment in dieser Situation des neuen Bundestages haben. Aber die Union hat einen Unvereinbarkeitsbeschluss mit Linkspartei und AfD. Das ist noch mal ein Sonderproblem, auf das noch mal anders reagiert werden muss.
Das Interview stammt aus dem „Berlin Playbook“-Podcast. Es wurde aus Gründen der Verständlichkeit und Leserlichkeit editiert. Das „Playbook“ von „Politico“ Deutschland finden Sie hier. Gordon Repinski ist Executive Editor „Politico“ Deutschland.
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