Der Schreck sitzt noch immer tief, und die Erinnerung an den Tag, an dem vermummte Gestalten das von ihm mitorganisierte Volksfest im brandenburgischen Bad Freienwalde stürmten, ist präsenter, als es ihm lieb ist. „Es waren vielleicht zwölf bis 15 Leute“, sagt Samuel Signer. „Und als wir sie gesehen haben, war sofort klar, dass diese Leute das Ziel hatten, uns anzugreifen und Menschen zu verletzen.“

Samuel Signer arbeitet im Netzwerk für Demokratie und Courage, einem Verein, der es sich zum Ziel gesetzt hat, gegen Diskriminierung und Rechtsextremismus einzutreten. Am 15. Juni organisierte der Verein mit weiteren Initiativen in der 12.000-Einwohner Stadt Bad Freienwalde etwa 40 Kilometer nordöstlich der Berliner Stadtgrenze ein Fest unter dem Motto „Für ein buntes Bad Freienwalde“.

Doch schon bevor es richtig losgehen konnte, wurde das Fest von den Personen gestürmt, von denen Signer ahnte, dass sie Gewalt anwenden würden. Kurz vor 12 Uhr mittags bestätigte sich die Vermutung: Eine der Vermummten, schlank und hochgewachsen und mit schwarzer Jogginghose, wandte sich zur Mittagszeit einem Besucher des Festes zu – und schlug ihm mit der Faust ins Gesicht. Die Szene ist in einem Handy-Video zu sehen. Augenzeugen bestätigten den Vorfall.

Laut Polizei wurde auch ein weiterer Festbesucher bei dem Angriff verletzt. Die Angreifer hätten „Schlagwerkzeuge oder Holzstöcke“ genutzt. Samuel Signer sagt: „Diese Typen waren wirklich aggressiv.“

Der mutmaßlich rechtsextremistisch motivierte Angriff reiht sich in eine regelrechte Serie rechtsextremer Angriffe ein und sorgte bundesweit für Schlagzeilen. Zurückbleiben ein Gefühl der Verunsicherung und eine Reihe offener Fragen – etwa nach dem Verhalten der Ermittlungsbehörden und der Reaktion des Bürgermeisters der Stadt.

Aber der Reihe nach: Den Mann, der mit der Faust losschlug, meinten die Ermittlungsbehörden nach Informationen von WELT bereits kurz nach der Attacke identifiziert zu haben. Luca B., ein szenebekannter Rechtsextremist, Anfang 20 und in der Region nicht nur als Amateur-Spieler eines örtlichen Fußballvereins bekannt. Er gilt auch als Anhänger der Neonazi-Kleinstpartei „Der III. Weg“, deren Mitglieder in der Vergangenheit immer wieder mit teils schweren Gewalttaten auffielen.

Ein Augenzeuge sagte gegenüber der Polizei unmittelbar nach der Attacke aus, den Angreifer mit dem Faustschlag erkannt zu haben. Er habe den Mann trotz seiner Vermummung anhand der Augenpartie als Luca B. erkannt, weil er diesen als Mitglied der rechtsextremen Szene kenne und ihn schon bei anderen Veranstaltungen gesehen habe. Daher sei er sich sicher.

Am Tag nach dem Angriff erreichte die Polizei nach Informationen von WELT ein weiterer Hinweis aus einer anderen Sicherheitsbehörde. Der Verdacht gegen Luca B. erhärtete sich somit. Die Staatsanwaltschaft teilte – ohne den Namen von Luca B. zu nennen – auf Anfrage von WELT denn auch mit, das Verfahren sei „hier am 16.06.2025 gegen den Beschuldigten erfasst“ worden.

Am 17. Juni, also zwei Tage nach dem Angriff, beantragte die Staatsanwaltschaft nach Informationen aus Justizkreisen dann einen Durchsuchungsbeschluss für die Wohnräume von Luca B. Die Maßnahme wurde allerdings erst am 19. Juni vollstreckt – also erst zwei Tage später.

Missliche Verzögerung

Diese Verzögerung war misslich, heißt es im Umfeld der Sicherheitsbehörden. Denn schon am 18. Juni, also einen Tag, nachdem die Durchsuchung beantragt wurde und einen Tag, bevor die Polizei die Maßnahme dann tatsächlich durchführte, berichtete der RBB, die Ermittler hätten einen Mann aus der rechtsextremen Szene als Tatverdächtigen identifiziert. Luca B. war durch diesen Bericht womöglich gewarnt – und weil die Polizei trotz vorliegenden Beschlusses erst am Tag nach dem RBB-Bericht bei ihm aufschlug, hatte der tatverdächtige Rechtsextremist Zeit, etwaiges Beweismaterial verschwinden zu lassen.

Warum die Durchsuchung – anders als in ähnlichen Fällen – nicht unmittelbar nach Vorlage des richterlichen Beschlusses erfolgte, ist unklar. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) ließ die Frist einer von WELT hierzu gestellten Anfrage ohne inhaltliche Beantwortung verstreichen.

Fragen wirft auch das Verhalten des Bürgermeisters von Bad Freienwalde, des CDU-Politikers Ralf Lehmann, auf. Vom RBB zu dem mutmaßlich von Rechtsextremisten begangenen Angriff befragt, bezeichnete Lehmann die per Video dokumentierte mutmaßliche Körperverletzung als „Störung“. Er selbst sei bei einem anderen Fest gewesen, habe aber sich aber über die Ereignisse informiert, wenn auch nicht persönlich, sondern „über die Medien, über Internet“.

Die Frage des RBB, ob er das Fest im Herzen der von ihm verwalteten Stadt zumindest nach dem Angriff besucht habe – etwa um seine Solidarität zu bekunden – verneinte Lehmann. Einen Grund, seine Äußerungen einzuordnen, sieht der Bürgermeister offenbar nicht. Auf die Frage von WELT, wie er seine Äußerungen nachträglich bewerte und ob er zumindest im Nachhinein mit den Organisatoren des Festes gesprochen habe, teilte Lehmann lediglich mit: „Weitere Pressemitteilungen wird es erst nach Abschluss der laufenden Ermittlungen geben“.

Die Polizei sieht sich derweil dem Vorwurf ausgesetzt, das Fest trotz mehrerer Zwischenfälle in den vergangenen Jahren nicht ausreichend geschützt zu haben. „Als der Angriff erfolgte, war die Polizei nicht vor Ort“, heißt es in einer nach dem Fest verbreiteten Stellungnahme des Bündnisses „Bad Freienwalde ist bunt“. Die Gefahr sei falsch eingeschätzt worden. „Die Bedrohung durch gewaltbereite rechtsextreme Jugendliche muss ernst genommen werden.“

Tatsächlich hatten Rechtsextremisten bereits im Sommer vergangenen Jahres, vor allem in den östlichen Bundesländern, wiederholt als links wahrgenommene Feste angegriffen, insbesondere Veranstaltungen der queeren Community zum Christopher Street Day.

Die Gewalttaten, die Mitgliedern des „III. Weg“ zugeschrieben werden, sowie der Aufstieg rechtsextremer gewaltbereiter Gruppen wie „Deutsche Jugend Voran“, „Jung und Stark“ oder „Letzte Verteidigungswelle“, sind innerhalb und außerhalb der Sicherheitsbehörden zudem gut dokumentiert. Auch das Bundeskriminalamt (BKA) warnte jüngst vor Straftaten und Störaktionen.

Vor Ort – aber „nicht unmittelbar dort, wo es passierte“

Ein Sprecher der für den Schutz zuständigen Polizeidirektion Ost behauptete auf Anfrage von WELT, am Tag des Angriffs seien Beamte „vor Ort präsent“ gewesen. „Zum Zeitpunkt der Tat befanden sich die eingesetzten Kräfte jedoch nicht unmittelbar dort, wo dies passierte“.

Das Bündnis „Bad Freienwalde ist bunt“ kündigte an, das Fest „Bad Freienwalde ist bunt“ werde es auch im nächsten Jahr wieder geben. Mitorganisator Samuel Signer sagt: „Wir hoffen, dass die Gefahreneinschätzung für Demokratinnen und Demokraten im ganzen Land angepasst wird.“

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