Die Behauptung von Freundschaft kann in der Außenpolitik eine strategische oder eine taktische Waffe sein. Zwar sind Israel und Deutschland tatsächlich strategische Verbündete, aber dass die Außenminister beider Länder beim gemeinsamen Treffen mit ihrer österreichischen Amtskollegin in Wien derart ihre Verbundenheit bekräftigten, dürfte auch taktische Gründe haben. Bei der Pressebegegnung nach dem Dreier-Gespräch sagte Johann Wadephul, er danke seinem „Freund“ Gideon Saar, und der Israeli erwiderte, er danke Wadephul „für seine Freundschaft“. Ja, mehr noch: „Die Beziehungen zwischen Deutschland und Israel sind besser als je zuvor.“
Dabei schien es in den ersten Wochen der Regierung Merz, das deutsch-israelische Verhältnis sei schon mal besser gewesen. Etwa, als Wadephul gewarnt hatte, es dürfe keine „Zwangssolidarität“ mit Israel geben. Später erklärte er, diese Formulierung würde er nicht wieder wählen. Aber auch mit seiner Kritik an Israels Kriegsführung in Gaza war Wadephul sehr deutlich geworden.
Bei Saars Besuch in Berlin Anfang Juni sagte der Außenminister: „Was im Moment an humanitärer Hilfe nach Gaza gelangt, das ist zu wenig.“ Er habe im Gespräch mit Saar „die dringende Bitte erneuert, humanitäre Hilfe für Gaza zuzulassen, entlang der Prinzipien von Menschlichkeit, Unparteilichkeit, Neutralität und der Unabhängigkeit und ohne Einschränkungen“.
Auch in einer Erklärung vor seinem Abflug nach Wien hatte Wadephul gefordert, Israel müsse Hilfsorganisationen „sofort umfassenden Zugang“ zum Gaza-Streifen gewähren, um die Bevölkerung mit humanitärer Hilfe zu versorgen. Es gelte, hunderttausende Palästinenserinnen und Palästinenser in Gaza „vor dem Hungertod zu bewahren“.
Solche Mahnungen wiederholte der Minister in der Pressekonferenz mit Saar, lobte aber auch die Entscheidung des israelischen Kabinetts vom Wochenende, mehr Hilfslieferungen nach Nord-Gaza zuzulassen. „Es ist ein gutes Signal, dass Hilfsorganisationen wieder Zugang nach Gaza erhalten.“
Zeitweise hatte die israelische Regierung praktisch alle internationalen Helfer aus Gaza verbannt und die humanitäre Betreuung allein der privaten Stiftung Gaza Humanitarian Foundation (GHF) übertragen. Die wird von dem evangelikalen Prediger Johnnie Moore geleitet, der zum engen Umfeld von US-Präsident Donald Trump gehört.
Gegen die Stiftung hatte es immer wieder Vorwürfe wegen angeblich chaotischer Verteilungen und zu geringen Hilfen gegeben. Nach der Entscheidung aus Jerusalem wird die GHF die Hilfe in Gaza nicht mehr allein organisieren. Der Schritt zeige auch, dass es gut sei, engen Kontakt zu halten, sagte Wadephul in Wien.
Tatsächlich hatte es vor der Entscheidung der israelischen Regierung intensive Gespräche mehrerer EU-Staaten und auch von EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas mit Jerusalem gegeben. Aber mit Sicherheit ist Deutschland der für Israel wichtigste unter den europäischen Partnern und ähnlich wie Österreich einer der engsten.
Deshalb ist die Vermutung, dass deutsche Bemühungen eine Rolle bei dem Kurswechsel in Jerusalem gespielt haben könnten, nicht ganz abwegig. Zugleich betonte Wadephul in Wien, dass die Hamas nicht Teil einer neuen Regierung in Gaza sein könne. „Für die Hamas darf es in Gaza keine Zukunft geben“, sagt Wadephul und bekräftigt damit die Sicht Israels.
Leichte Annäherung
Andererseits stellte Saar klar: „Es wird so etwas wie eine erzwungene Umsiedlung von Bewohnern Gazas nicht geben.“ Damit antwortete er auf Befürchtungen von Beobachtern, Israels Pläne für ein Groß-Aufnahmelager für etwa 600.000 Binnenflüchtlinge im Süden des Gaza-Streifens könnte zur Vorbereitung von Vertreibungen dienen.
Netanjahus Koalitionspartner Itamar Ben Gvir und Bezalel Smotrich, die der Siedlerbewegung nahestehen, befürworten die Förderung freiwilliger Ausreisen von Bewohnern des Gaza-Streifens und eine jüdische Besiedelung des Gebietes. Sie hatten sich auch gegen die Ausweitung der Hilfe in Nord-Gaza ausgesprochen, die das Kabinett nun trotzdem beschlossen hat.
Die Sichtweisen Israels und seiner engsten Freunde in Europa haben sich einander also leicht angenähert. Als Österreichs Außenministerin Beate Meinl-Reisinger gefragt wird, was sie von der Debatte um eine Aussetzung des EU-Assoziierungsabkommens mit Israel hält, spricht sie sich klar dagegen aus und fügt hinzu, dadurch würde keinem einzigen Palästinenser geholfen. Dann ist Wadephul an der Reihe und sagt: „Das ist exakt auch die deutsche Position.“ Und mehr sagt er nicht. Mit seiner norddeutsch nüchternen Art kann er also auch Solidarität mit Israel ausdrücken.
Daniel-Dylan Böhmer, Senior Editor im Ressort Außenpolitik, bereist die Länder des Nahen Ostens seit Jahrzehnten. Er befasst sich vor allem mit regionalen und globalen Sicherheitsthemen und wird regelmäßig als Experte in nahöstlichen TV- und Radiosendern befragt.
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